Rosa Montero: "Geliebte und Feinde"

Ob ich dich liebe, weiß ich nicht.
Seh ich nur einmal dein Gesicht,
Seh dir ins Auge nur einmal,
Frei wird mein Herz von aller Qual.
Gott weiß, wie mir so wohl geschicht!
Ob ich dich liebe, weiß ich nicht.

(Goethe)


   Der vorliegende Band versammelt neunzehn Annäherungen an das Thema "zwischenmenschliches Mit- bzw. Nebeneinander" in Form von unterhaltsamen bis nachdenklich stimmenden Kurzgeschichten, welche Rosa Montero in einem Zeitraum von zwanzig Jahren geschrieben hat, und von denen fünf hier erstmals erscheinen.

   Rosa Montero, 1951 in Madrid geboren, studierte Publizistik, Literatur und Psychologie. Ab 1969 schrieb sie zunächst als Kolumnistin und Sonderkorrespondentin für verschiedene Medien, bevor sie Ende 1976 bei der Tageszeitung "El País" Redakteurin wurde, für die sie auch heute noch exklusiv arbeitet. Sie ist die angesehenste Journalistin Spaniens und eine der meistgelesenen Romanautorinnen. Für "Die Tochter des Kannibalen" erhielt sie den Premio Primavera de Novela 1997.

   Die tragenden Charaktere der Kurzgeschichten in "Geliebte und Feinde" sind allesamt um die vierzig Jahre alt, was sie keineswegs über die Torheiten der Liebe erhaben macht, sondern den mitunter tragischen Verwicklungen zusätzliche Würze verleiht, weil die leichtfertige Unbefangenheit der jungen Jahre allzuoft einer starren Sichtweise gewichen ist. Ob es um die masochistische Geliebte eines Messerwerfers geht, die diesen mit einer geheimnisvollen chinesischen Substanz vergiftet, ob die verkohlten Überreste ehemals leidenschaftlicher Beziehungen unheilvoll weiterglosen, ob ein Mann in beinahe jeder Frau auf Anhieb diejenige zu erkennen meint, "mit der man durch dick und dünn gehen kann, die man lieben und mit der man alt werden kann, die Gefährtin für immer, bis in alle Ewigkeit" und daher zwangsäufig an den eigenen Ansprüchen scheitern muss, oder ob eine Frau ihre atemberaubend schöne, allerdings kaltherzige neue Schwiegertochter mit einem Fluch belegt.

   Rosa Montero nimmt glaubhaft unterschiedlichste Erzählperspektiven ein; sei es die eines selbstmitleidigen Gigolos, der einer in die Jahre gekommenen Dame körperliche Wonnen bereitet und sich im Gegenzug ungeniert aushalten lässt, sei es, dass Ehepartner vom für einander empfundenen Hass berichten, der sie geradezu schicksalhaft zusammenschweißt, dass eine Protagonistin sich via E-Mails bedenklich tief in eine virtuelle Affaire versenkt, oder dass eine Frau zwanzig Jahre lang zwanghaft das Leben ihres Retters stellvertretend an seiner Stelle zu führen versucht ...
   Ein Gustostückchen besonderer Art ist "Blinde Liebe": In dieser Kurzgeschichte finden ein blinder Ehemann und seine schauderhaft hässliche Frau erneut zueinander, nachdem sich die Dame mehrmals in Anwesenheit ihres Gemahls, der auf dem Balkon der Übertragung eines Nachmittagskonzerts lauschte, alle Lustschreie unterdrückend einem jugendlichen Liebhaber hingegeben hat.

   Die Autorin bedient sich gekonnt mannigfaltiger Denk- und Sprechweisen und liefert wunderbare Beweise dafür, dass Liebe nicht zwischen Guten und Bösen, Sexbesessenen und Enthaltsamen, Dummen und Gebildeten, Alten und Jungen unterscheidet.

(Felix; 12/2001)


Rosa Montero: "Geliebte und Feinde"
dtv, 2001. 207 Seiten. ISBN 3-4231-2896-8.
ca. EUR 9,46.
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