Hans-Josef Irmen: "Joseph Haydn"

Leben und Werk


Kurzweilig zu lesen, inhaltlich anspruchsvoll

Joseph Haydn wird häufig als "Vater der klassischen Sinfonie" bezeichnet, ein Ehrentitel, der sicher angemessen ist. Er gehört zu den produktivsten Komponisten, und obwohl längere Etappen seines Lebens vergleichsweise ereignislos verliefen, lohnt es sich, auch einmal den Menschen Haydn und nicht nur das Werk zu betrachten.

Haydn, Sohn eines Wagenbauers, wurde zunächst von einem Schuldirektor und entfernten Verwandten aufgenommen, als es galt, die durch ständige Schwangerschaften erschöpfte Mutter zu entlasten. Von diesem erhielt er Grundschulunterricht, erste musikalische Unterweisungen eingeschlossen. Und dort wurde er als Achtjähriger vom Hofkapellmeister Reutter entdeckt und nach Wien mitgenommen. Bis zu seinem relativ späten Stimmbruch zehn Jahre später blieb er Sängerknabe im Stephansdom und erhielt zudem eine gründliche musikalische Ausbildung.

Nachdem er als Sängerknabe ausgemustert worden war, schlug er sich zunächst mit musikalischen Gelegenheitsarbeiten, dann in einer wenig einträglichen ersten Stellung durch. Schließlich kam er als Vizekapellmeister an den Hof eines der reichsten und hochrangigsten Fürsten der Donaumonarchie, Fürst Paul Anton von Eszterházy. Dieser verstarb bald nach Haydns Dienstantritt, doch sein Nachfolger, Fürst Nikolaus "der Prächtige" übernahm Haydn und sollte rund dreißig Jahre lang als dessen Dienstherr fungieren. Bald stieg Haydn zum Kapellmeister auf.
Bis auf ein kurzes Intermezzo in London blieb Haydn fast bis zu seinem Lebensende Angestellter der Eszterházys.

Wie bereits kurz angeschnitten, hat Haydns Lebenslauf nicht allzu viele spektakuläre Ereignisse zu bieten. Haydns Musik und musikhistorische Bedeutung lassen sich jedoch nur anhand einiger Kenntnisse über sein Leben und seine Zeit verstehen, und diese bietet der Autor der vorliegenden Haydn-Biografie in umfassender und gründlicher Ausarbeitung.

Der Leser erfährt nicht nur alles, was dem aktuellen Stand der Forschung gemäß über Haydns Vorfahren und unmittelbares Leben bekannt ist, die Entstehung zahlreicher wichtiger Werke eingeschlossen, sondern auch alles Wissenswerte über das politische und soziale Umfeld des Komponisten inklusive recht ausführlicher Lebensbeschreibungen und Charakterisierungen bedeutsamer Persönlichkeiten in Haydns Umgebung. Dass der Autor hierbei gelegentlich seinem Unmut über Haydns verschwenderischen, geltungs- und prunksüchtigen, dabei seine Untertanen auspressenden Dienstherrn und andere unsympathische Personen ausgesprochen freien Lauf lässt - handelte es sich um lebende Persönlichkeiten, würde man von Polemik sprechen -, werden die meisten Leser hinnehmen. Unberechtigt sind die Angriffe aus heutiger Sicht nicht, und der Autor stützt sich auf seriöse Quellen. Diese finden auch in Form zahlreicher Zitate Eingang in das Buch und tragen oft zu einer ganz unmittelbaren Sicht des Lesers auf Ereignisse und Personen bei.

Fünf so genannte Intermezzi fungieren zwischen verschiedenen Kapiteln als Exkurse zur Erläuterung von Hintergrundwissen zur Epoche und mit Bezug zu Haydn, zum Beispiel geht es darin um den Bau des Eszterházy-Schlosses am Neusiedlersee und um die Freimaurerei. Auch in die eigentlichen Biografiekapitel sind solche Informationen integriert, unter anderem über das zu Haydns Zeit weit verbreitete Kastratentum und einige damals moderne, heute vergessene Instrumente. Die Biografie schließt mit der "Schöpfung" und den "Jahreszeiten"; ein Epilog befasst sich mit Haydns letzten Lebensjahren in Wien und der ziemlich haarsträubenden Geschichte um dessen Schädel, der bald nach der Beerdigung aus dem Grab entwendet und erst 1954 zurückgegeben wurde.

Der rund siebzig Seiten umfassende Anhang bietet unter anderem eine Zeittafel, eine Werkübersicht, Notenbeispiele, Literaturverzeichnis, Erläuterungen zu Abkürzungen sowie damals gebräuchlichen Münzen und Maßen und ein Personenregister.

Trotz ihrer Gründlichkeit und vieler Fachinformationen wirkt die reich bebilderte Biografie auch auf musikinteressierte Laien an keiner Stelle trocken oder langweilig, im Gegenteil, sie fesselt den Leser bis zur letzten Seite. 2009, im 200. Todesjahr des Komponisten, werden vermutlich zahlreiche Haydn-Biografien erscheinen - die vorliegende hat die Marke, an der sie gemessen werden, hoch gelegt!

(Regina Károlyi; 11/2007)


Hans-Josef Irmen: "Joseph Haydn. Leben und Werk"
Böhlau Verlag Köln, 2007. 363 Seiten.
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Haydn hat Musik für alle gemacht, keine künstlichen Klanggebäude für einen kleinen Kreis Eingeweihter oder solcher, die sich dafür halten: Musik, die Menschen über Jahrhunderte erfreut - "Klassik" eben - und die von seinen "Schülern" Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven virtuos weiterentwickelt wurde.
Es war eine beispiellose Erfolgsgeschichte in einer für Europa prägenden Epoche: Joseph Haydn, Sohn einfacher Leute aus dem kleinen Dorf Rohrau an der Leitha im heutigen Dreiländer-Eck Österreich - Slowakei - Ungarn stieg auf zur gefeierten Berühmtheit der internationalen Musikszene. Die Tätigkeit als Kapellmeister, Komponist, Operndirektor und am Hofe des Fürsten Eszterházy, eines der mächtigsten Adelshäuser Europas, war Grundlage für sein wachsendes Ansehen. Er feierte musikalische Triumphe in England, wo ihm ein Ehrendoktorat der Universität Oxford verliehen wurde und erntete seinen größten Erfolg mit dem Oratorium "Die Schöpfung". Seine Musik zur Kaiser-Hymne "Gott erhalte ..." ist noch heute als deutsche Bundeshymne lebendig. Privat blieb er der unprätentiöse Mensch, der sich um alles und um alle kümmerte - auch um die Damenwelt und um das Wohl seiner Schüler und Freunde, u.a. Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven, was ihm sehr bald den Kosenamen "Papa Haydn" eintrug. Der Autor zeigt die unbekannten Seiten und die Facetten der Persönlichkeit des Erfolgskomponisten Joseph Haydn auf und setzt sie in Bezug zu seiner Zeit und ihren Protagonisten. (Amalthea)
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