Sigrid-Maria Größing: "Tragödien im Hause Habsburg"


Naiv, unterschätzt, missbraucht, verhasst: gescheiterte Habsburger

Die Habsburger-Dynastie beherrschte Jahrhunderte hindurch weite Teile Europas; auf der Höhe ihrer Macht ging im Habsburgerreich die Sonne nicht unter. Aber die Stellung der Habsburger unter den Fürstengeschlechtern Europas hatte auch ihre Schattenseiten, und nicht wenige Familienmitglieder erlebten diese am eigenen Leib, zum Beispiel die aus politischem Kalkül an lieblose oder als Herrscher unfähige Ehemänner verheirateten Töchter. Für zwei von ihnen hatte die Ehe tödliche Folgen: Marie Antoinette von Frankreich und Leopoldine von Brasilien.

Marie Antoinette kam in ein bankrottes Land. Ihr Gemahl Ludwig XVI. versuchte mit einigem Sachverstand, die Staatsfinanzen wieder auf Vordermann zu bringen, doch die Intrigen des auf den eigenen Vorteil bedachten Adels machten seine Bemühungen zunichte. Zudem schadeten dem Paar Marie-Antoinettes leichtfertige Verschwendungssucht und ihre Naivität, mit der sie Warnungen vor dem Intrigantentum in den Wind schlug. Erst als sie und ihr Mann im Zuge der Revolution verhaftet worden waren, wuchs Marie-Antoinette über sich hinaus und gewann den Respekt ihrer näheren Umgebung. Das konnte sie und den König jedoch nicht retten.

Erzherzogin Leopoldine, mit dem rüpelhaften, epilepsiekranken Sohn des portugiesischen Königs João verheiratet, war eine vorzügliche Politikerin. Ohne sie wäre ihr unbeliebter Mann Dom Pedro niemals Kaiser eines unabhängigen Brasiliens geworden, dennoch betrog, demütigte und misshandelte er die kluge, im Umgang mit ihm allzu nachsichtige Frau. Sie starb vermutlich an den Folgen seiner Tritte in ihren Bauch, als sie schwanger war.

Den Feinsinnigeren, Fortschrittlichen unter den männlichen Habsburgern erging es nicht besser. Erzherzog Maximilian, jüngerer Bruder des Kaisers Franz Joseph, war ein vorzüglicher Diplomat und viel umgänglicher als sein im spanischen Hofzeremoniell erstarrter Bruder. Als nachgeborener Sohn hatte er jedoch nur die Aussicht, wie die restlichen Erzherzöge ohne politische Bedeutung zu bleiben. Da er sich in Oberitalien als sehr progressiv erwies, zog ihn der Kaiser rasch zurück. Entgegen vielen klugen Stimmen nahm Maximilian die auf französischer Gunst beruhende mexikanische Kaiserwürde an - er sollte den grausam und diktatorisch regierenden Präsidenten Juárez ersetzen. Maximilian hatte in Mexiko jedoch keine Chance, sich gegen die Intrigen der einheimischen Eliten durchzusetzen. Frankreich ließ ihn fallen, und so endete sein Kaisertum mit seiner Erschießung.

Der letzte Habsburger, Karl I., der mitten im Ersten Weltkrieg an die Macht kam, verscherzte sich manche Sympathien, als sein Ersuchen um einen Separatfrieden mit einigen Zugeständnissen an die Sieger in die Öffentlichkeit gelangte, und auch seine Frau Zita war nicht beliebt. Überzeugt vom Gottesgnadentum seiner Herrschaft, weigerte sich Karl, abzudanken, obwohl ihm das ein in finanzieller Hinsicht sorgenfreies Leben beschert hätte. Versuche einer Restauration in Ungarn scheiterten. Unter ärmlichsten Verhältnissen starb der junge Kaiser 1922 auf Madeira.

Die Autorin porträtiert die vier tragischen Habsburger-Persönlichkeiten sehr sensibel. Beginnend bei ihrer Kindheit und der politischen Situation in der jeweiligen Zeit, schildert sie, wie sich ihre Persönlichkeiten entwickelten, welchen Einfluss ihr Umfeld hatte, in welcher Beziehung sie zu Kaiser oder Kaiserin standen, was für Pläne sie hegten oder welchen Träumen sie bezüglich der Zukunft nachhingen. Frau Größing ergründet sorgfältig ihre Beweggründe und ihre Entwicklung, spekuliert auch gelegentlich darüber, welche Möglichkeiten die Protagonisten gehabt hätten, ihr grausames Schicksal abzuwenden, das nicht unbedingt unausweichlich war.

Die vier unglücklichen Habsburger markieren auch Wendepunkte der Geschichte, zu denen sie nicht unwesentlich beitrugen. Das Buch weckt ein Bewusstsein dafür, dass Geschichte oft von Einzelnen geschrieben wurde, und es zeigt auf, dass mancher Herrscher durchaus das Zeug zu erfolgreichen Reformen hatte, die ihm die intrigante und missgünstige Elite um ihn jedoch nicht zugestand. Vor allem aber präsentiert Frau Größing Marie Antoinette, Leopoldine, Maximilian und Karl von Habsburg von der menschlichen Seite her, mit von anderen ausgeschlachteten Schwächen und übersehenen oder unterdrückten Stärken, mit Leidenschaften und einem ausgeprägten Bewusstsein ihrer Verpflichtung, das freilich im Falle der Marie Antoinette erst mit der Zeit erwuchs.

Anschaulich und einfühlsam geschrieben, dazu mit vielen Bildern der Protagonisten illustriert, bietet dieses Buch unterhaltsame und informative Lektüre.

(Regina Károlyi; 12/2006)


Sigrid-Maria Größing: "Tragödien im Hause Habsburg"
Verlag Carl Ueberreuter, 2006. 207 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:

Gabriele Praschl-Bichler: "Ich bin bloß Corvetten-Capitän ... Private Briefe Kaiser Maximilians und seiner Familie"

Mehr als Tausend Briefe von Kaiser Maximilian und seiner Familie, die 150 Jahre lang unter Verschluss gehalten wurden, hat Gabriele Praschl-Bichler gelesen und in ihrem neuen Buch aufbereitet. Die locker verfassten, teils sehr humorvollen Dokumente gewähren nicht nur Einblick in den privaten Alltag von Kaiser Maxmilian, Kaiser Franz Joseph, Kaiserin Charlotte, Kaiserin Elisabeth u. v. a. m., sondern beinhalten auch brisante Neuigkeiten zur Tagespolitik. Die Person und das Leben Maximilians werden nach diesem Buch historisch neu bewertet werden müssen. (Verlag Carl Ueberreuter)
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