Wolf Haas: "Das ewige Leben"


Der Brenner ermittelt in Graz. Das hat hauptsächlich damit zu tun, dass Wolf Haas einen Beitrag für "Graz2003" schreiben sollte, und Puntigam liegt ja von der Landeshauptstadt der Steiermark nicht so weit entfernt.

"Lustig samma, Puntigamer" ist auch der Spruch, den der Kommissar ausspricht, als er überraschenderweise aus dem Koma aufwacht. Der Brenner fühlt sich etwas ausgebrannt. Er sieht in so komischen Rot- und Grüntönen. Und der Arzt redet so blöd mit ihm, als wäre er noch ein kleiner Junge. Der Brenner denkt viel nach über seine Jugend, als er nach nur wenigen Wochen aus dem Spital ausbüchst. Unglaublich, wie schnell sich der Kerl erholt hat. Er glaubt nicht daran, dass er sich selbst umbringen wollte, wie ihm der Arzt zu suggerieren versuchte.
Mit der Pistole in die Schläfe, wo doch bekannt ist, dass da die Chance auf Überleben nicht so gering ist. Besser ist es, Wasser oder sonst irgendein wohlschmeckendes Getränk im Mundraum zu belassen, und dann mit der Pistole durch die kleine Fontäne zu schießen. Da ist die Chance auf gelungenen Selbstmord 1a. So aber ist er auf der Suche nach dem Menschen, der ihn ermorden hätte wollen. Der Weg führt an der Mur vorbei. Linkes und rechtes Murufer. Busserl hier, Busserl da. Und nachher die Mitzi oder die Lucy auf dem Betterl. Das war einmal. Der Brenner ist ein alter Mann geworden.
Und als sein ehemaliger Polizeischulkamerad in seinem Beisein einen Schlaganfall erleidet, ist die Sache noch deutlicher. Der Brenner spielt mit seinem Leben, weil die Verletzung in seinem Schädel keineswegs ordentlich verheilt ist. Dann wird er also nochmals operiert. Zweimal dem Sensenmann entronnen. Der Brenner muss "Das ewige Leben" in sich tragen, oder? Pustekuchen.
Die Menschen um ihn herum sterben wie die Fliegen, und er ist direkt in den Fall involviert. Hat alles mit diesem blöden Banküberfall vor gut 30 Jahren zu tun, als die Polizeischüler gewissenhaft die harten Burschen markieren wollten. Der Saarinen ist dann mit seinem Gefährt gegen eine Ampel gekracht, und er segnete das Zeitliche. Da gibt's so ein Töchterl von dem Saarinen, das eine Rolle spielt bei dem Fall. Eine fesche Braut. Und die Mutter ist auch nicht ohne. Und die Zigeunerin, die ihm 20 Euros abluchsen will, um ihm den Fahrplan der Grazer Linien zu verraten. Der Köck war nur Platzwart des Schwarzenegger-Stadions, und sein Tod ist der Anfang vom Ende.
Allerlei Verwicklungen, zwischen denen der Brenner herumläuft. Immer auf der Suche nach der Wahrheit. Irgendwann platzt dem Brenner doch wieder die Naht, oder? Aber sein Kopf muss aus Stahl sein. Dieses Schädelweh, das er ständig hat. Er schaufelt unentwegt Tabletten in sich rein, fährt Moped und kann nicht einmal richtig sehen. Spielt mit Pistolenkugeln herum und versteckt sich vor Männern mit Schirmkappen. Ach ja, und da gibt's auch noch die X-ler, diese Dillos, die Bürgerwehr für ein "sauberes" Graz spielen. Und der Brenner mittendrin in dem Schwachsinn. Wird enttarnt, und die Flucht gelingt. Und immer wieder die Gedanken an bessere Zeiten, als er noch jung war. Am Ende gibt's eine Überraschung für den Brenner, die sich gewaschen hat.

"Das ewige Leben" ist laut Aussage des Autors der definitiv letzte "Brenner"-Roman. Er ist im üblich witzigen Stil geschrieben; mit diesem Erzähler, der den Leser einfach duzt, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Trinität Autor-Erzähler-Brenner wird dem Leser am Ende in aller Heiligkeit offenbart. Darum vielleicht der vielversprechende Titel "Das ewige Leben".

Wo der Brenner seinen letzten Fall zu lösen versucht, mag die geschätzte Leserschaft Rückschau halten und sich fragen, was denn so überdrüber war an diesem Kommissar?! Ich riskiere es einmal und schreibe: Es war wohl in erster Linie das typisch Österreichische. Ja, so etwas gibt es. Der Nenning könnte das genau erklären. Dieser Brenner ist einer, der sich um keinen Fall reißt. Einer, der recht griesgrämig sein kann. Einer, der keinen Streit sucht und trotzdem dauernd in Streit verwickelt ist. Einer, der mit den Frauen so seine Probleme hat. Einer, der in sich selbst gefestigt ist und sich darum oft selbst nicht ausstehen kann. Österreichisch eben. Was immer das zu bedeuten hat. Der letzte Fall vom Brenner hat ein furioses Ende. Ein Ende, das alle Stückeln spielt. Soviel sei verraten. Die Dinge klären sich allerdings auf. Und die letzten Geheimnisse werden gelüftet. Ansonsten ist die Geschichte unterhaltsam, ohne übertrieben komisch sein zu wollen. Ich muss zugeben, dass mir "Der Knochenmann" am besten gefallen hat. Eine Geschichte, die an Komik nicht zu überbieten ist und wo sich der Autor wohl selbst übertroffen hat.
Alle anderen "Brenner"-Romane überzeugten durch das Spannungsfeld, das zwischen dem Brenner, dem Erzähler und der eher nebensächlichen Handlung bestand. Bis zum vorletzten "Brenner" ("Wie die Tiere"). Da hat Haas noch einmal in seine Schatzkiste gegriffen und eine furiose Handlung montiert, die hauptsächlich im Augarten spielt, in dessen unmittelbarer Nähe der Autor ja auch wohnhaft ist. Und nunmehr, nach diesem kleinen Rückblick, ist der Brenner ausgebrannt, und verschwindet von der Bildfläche.

Wolf Haas sagte in einem Interview, dass er ein wenig ausgelaugt sei und die "Brenner"-Romane einfach an eine Grenze gestoßen seien, die nicht mehr überwunden werden kann.

Da kann ich ihm nur recht geben. Es war ein Wagnis, diese vollkommen neue Art des Schreibens etablieren zu wollen. Dem Autor ist es aufgegangen. Die Leser haben es ihm gedankt. Aber der Stil und die spezifischen Strukturen, die ineinander übergehen, sind nicht mehr gewöhnungsbedürftig, und somit in sich schlüssig. Folglich ist das Komische daran nicht auf Dauer projizierbar. Nach fünfzig "Brenner"-Romanen wäre die Sache derartig abgenutzt, dass es überhaupt nichts mehr zu sagen gäbe. Und Wolf Haas hört sicher zum richtigen Zeitpunkt auf, den "Brenner" ermitteln zu lassen. Das hängt in keiner Weise von der Figur des "Brenner" oder des urkomischen "Erzählers" ab, sondern von dem, der alles zusammenhält, und zu Papier bringt.
Mit "Ausgebremst", einem kleinen Roman, der abseits vom Brenner stattfindet, hat Wolf Haas schon einmal bewiesen, was er als Autor drauf hat. "Ausgebremst" ist ein völlig anderer Roman und für mich neben "Der Knochenmann" sein gelungenster. Der Autor hat sicher noch einiges im Talon, das er seiner Leserschaft irgendwann in Zukunft präsentieren wird. Und der Brenner ist sowieso längst zu einem unverzichtbaren Teil der österreichischen Geschichte geworden. Weil wo sonst in der österreichischen Gegenwartsliteratur ist das "Österreichische" so betont?

(Jürgen Heimlich; 03/2003)


Wolf Haas: "Das ewige Leben"
Gebundene Ausgabe:
Hoffmann und Campe, 2003. 224 Seiten.
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Hörbuch:
Hoffmann und Campe, 2003. 3 CDs.
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Taschenbuch:
Piper.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Der Knochenmann"

Das Buch zum Film.
Der Löschenkohl, eine Grillstation mit dem Flair einer Möbelhalle, ist in der ganzen Steiermark berühmt für seine Massenausspeisungen. Die Gäste lassen sich ihren Heißhunger auf die gigantischen Backhendl so leicht nicht verderben. Auch nicht von den menschlichen Gebeinen, die man in den Abfallbergen aus Hühnerknochen entdeckt. Doch bevor der Brenner beim steirischen Hendl-König herumschnüffeln kann, fließt schon das nächste Blut ... (Rowohlt)
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