Franz Binder: "Dalai Lama"



Die vorliegende Biografie (die wievielte eigentlich?!) informiert uns über das Leben dieses weltweit populären Charismatikers, der heuer seinen 70. Geburtstag feiert (?), sowie über die historischen und politischen Ereignisse in Tibet bzw. eben auch in China. "Tanzin Gyatso, der 14. Dalai Lama, Sohn einer osttibetischen Bauernfamilie, wurde im Alter von fünf Jahren als geistliches und weltliches Oberhaupt Tibets inthronisiert. Nachdem das kommunistische China Tibet besetzt hatte, floh er 1959 ins indische Exil. Durch sein unermüdliches Engagement für eine friedliche und tolerante Welt wurde aus dem mythenumrankten 'Gottkönig' eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Erde" (Klappentext).

Die Institution des buddhistischen Dalai Lama (= Ozean der Weisheit) ist bekanntlich eine Quasi-Dynastie durch Wiedergeburt - stirbt ein Dalai Lama, findet man innerhalb weniger Jahre in einem Kind irgendwo in Tibet seine Reinkarnation! Eine irre Vorstellung! Dieses speziell tibetische Tulku-System beruht auf der "Fähigkeit, sich willentlich und gezielt zu verkörpern" (Binder). Vor seinem Tod gibt der jeweils Betroffene "Hinweise auf die Umstände seiner Wiedergeburt" (ebd.), wodurch man ihn finden kann. Man entdeckte bei dem hier thematisierten zweijährigen Knaben "auch die körperlichen Merkmale, die eine Wiedergeburt des Dalai Lama aufweisen soll - unter anderem getigerte Haut an den Beinen, ein Muschelmuster in den Handflächen und zwei kleine Höcker an den Schulterblättern" (ebd.). Der Dalai Lama gilt ja als irdische Verkörperung des allumfassendes Mitgefühl repräsentierenden Erleuchtungswesens Bodhisattva Avalokiteshvara.

Außer einer Überschau zu den "Dalai Lamas in der Geschichte Tibets" bietet das Buch übersichtlich gegliedert Kapitel zu den wesentlichen Lebensphasen dieses 14. Dalai Lama mit der Auffindung (1935-1939), der Kindheit und Jugend (1939-1949), den Jahren bis zur Flucht (1949-1959) und den ersten Jahren im Exil (1959-1972). Die ursprüngliche Traditionslinie der Dalai Lamas begann im Jahre 1391, sie musste naturgemäß öfters ein, zwei Jahre Unterbrechung erfahren bis zur jeweiligen Wiederfindung des Neuinkarnierten. Dies ist an sich eine logistische Schwachstelle dieses spirituellen Systems und schafft ein wiederkehrendes Orientierungsvakuum.

Jedenfalls erfahren wir von der strengen Ausbildung von Kindesbeinen an und dem Potala, dem ursprünglichen Sitz der geistigen und weltlichen Macht in Tibet, mit ca. 1000 Räumen auf 13 Stockwerken verteilt. Am 17. November 1950 erfolgte die offizielle Thronbesteigung mit der Überreichung des Goldenen Rades, welches weltliche und spirituelle Macht symbolisiert. Zu dieser Zeit hatte Tibet noch den schizophrenen Status weitreichender Autonomie, allerdings unter chinesischer Oberherrschaft. Der Dalai Lama versuchte sich mit Mao Tsetung zu arrangieren, aber die "Befreiung" Tibets nahm immer deutlicher den Charakter einer Besetzung an. Indem der Dalai Lama sogar nach Peking reiste (eine direkte Verbindungsstraße hatten die Chinesen aus strategischen Gründen gebaut), dokumentierte er seine (naive?) Überzeugung, dass sich "zwischen Buddhismus und Kommunismus eine Brücke schlagen ließe, traten beide doch für Gleichheit und Gerechtigkeit ein" (Binder).

Der Dalai Lama schien sogar einen guten Draht zu Mao zu entwickeln - allerdings gab ihm dieser knallhart zu verstehen: "Die Religion ist Gift. Sie schwächt die Nation und verhindert den Fortschritt" (zit. Mao, ebd.). Während in der Folge tibetische Widerständler gegen die chinesischen Okkupanten kämpften, setzte sich der Dalai Lama am 31. März 1959 nach Indien ins Exil ab. Gegenwärtig leben über 130.000 Tibeter im Exil. Im letzten Kapitel wird der "Weg zum Weltruhm" (mit Friedensnobelpreis etc.) dieses "Popstars der Erleuchtung" erläutert. In seinem "Ausblick" äußert Binder die Befürchtung, dass dieser 14. Dalai Lama die letzte Inkarnation gewesen sein könnte. Man könnte sagen: Na und?! Andererseits - was wäre die Welt ohne bestimmte geistige Galionsfiguren (zu denen sicher auch Martin Luther, Karl Marx, Martin Luther King und Jean Paul Sartre zu zählen sind)?! Insgesamt liegt hier ein kenntnisreiches, interessant geschriebenes Buch vor - zwar ohne jegliche kritische Distanz, aber dafür mit vielen Details in relativer Kürze.

(Karl-Heinz Schreiber; 06/2005)


Franz Binder: "Dalai Lama"
dtv, 2005. 192 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen.
ISBN 3-423-31080-4.
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Franz Binder lebt und arbeitet in München als freier Schriftsteller und Fotojournalist mit bislang über 20 Buchveröffentlichungen im Bereich Belletristik und Sachbuch.

Weitere Bücher des Autors (Auswahl):

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Der Band vermittelt einen umfassenden Überblick über Land, Leute, Geschichte, Religion und Kunst Tibets. Opulente Farbaufnahmen in großzügigen Bildsequenzen lassen eintauchen in das Reich der Mönche, Lamas, Bauern, Nomaden und Pilger, der kargen Hochebenen und heiligen Schneegipfel. Landschaften, Tempel und Klöster mit ihren Kunstschätzen erwachen zum Leben. Der Text beschreibt die wechselvolle Geschichte Tibets von den mythischen "Himmelskönigen" bis zur Gegenwart und zeichnet Stile und Formen der tibetischen Kunst nach. Eine Einführung in die Gedankenwelt des tibetischen Buddhismus ermöglicht ein tieferes Verständnis Tibets, in dem die Religion Nährboden und formende Kraft aller Ausprägungen von Kultur und Kunst war. Im Dokumentationsteil wird diese Gesamtschau tibetischer Kultur durch prägnante Bilderklärungen und ergänzende Artikel bereichert. (Hirmer)
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"Mittelasien"
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Zerrissen von Kriegen, überrannt von den Steppenvölkern Asiens, von Turkstämmen, Hunnen und Mongolen, erobert von Griechen, Persern, Arabern und Chinesen, aufblühend in goldenen Epochen und immer wieder grausam zerstört, ist dieses Land der Wüsten, Steppen und Gebirge eine der geschichtsträchtigsten Weltgegenden, Wiege vieler Völker, Schmelztiegel von Sprachen, Religionen und Künsten. Baudenkmäler und Kunstschätze haben sich in den Städten erhalten, die zu den schönsten und eindrucksvollsten der islamischen Welt zählen. Das Buch "Mittelasien - Tor zwischen zwei Welten" vermittelt in Wort und Bild eine Gesamtschau von Geschichte, Kunst und Religion dieser faszinierenden, in Europa fast vergessenen Region. Eine vergleichende Zeittafel, mehrere Karten und ein kleines Glossar runden das Buch ab. Den Kern des Bandes aber stellt der Tafelteil dar, dessen 174 Farbaufnahmen in großzügigen Sequenzen Landschaften, Menschen, Kunstwerke und natürlich die Baudenkmäler und Basare der mittelasiatischen Städte lebendig werden lassen. (Hirmer)
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Oper, das Drama der Leidenschaften, das Kraftwerk großer Gefühle, die Manufaktur der Illusionen, macht seit über 400 Jahren die Herzen des Publikums in nicht nachlassender Heftigkeit fiebrig; sie entzückt, berauscht, erschüttert, verzaubert, elektrisiert mit menschlichen Abgründen wie Mord, Ehebruch, Inzest, Intrige, Folter, Raub, Betrug, Vergewaltigung.
Menschen, die ein hohes C für ein Glas Orangensaft halten, werden nie verstehen, warum sich Opernenthusiasten nächtelang um Karten für ein Stück anstellen, das sie schon fünfzigmal gesehen haben, nur um jedes Mal wieder in Ekstase zu geraten über Rachearien, Liebesduette, auf dem Sterbelager geschmetterte Abschiedsgesänge oder Gefangenenchöre. Wie ein Virus befällt die Opernleidenschaft selbst Leute, die völlig immun schienen - so etwa den Autor dieses Buches, der selbst auf seinen Reisen ans Ende der Welt noch Opernhäuser aufstöbert. (dtv)
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