Arne Dahl: "Misterioso"

Paul Hjelms erster Fall

Arne Dahl ist es gelungen, mit seinem Kriminalroman "Misterioso" ein Meisterwerk zu schaffen


Paul Hjelm, Vater zweier Kinder, arbeitet als Inspektor bei der Polizei in Stockholm. Als er einen bewaffneten Geiselnehmer, der die Ausländerbehörde von Stockholm in seine Gewalt gebracht hat, anschießt, will er ihm, so eigenartig das klingen mag, das Leben retten, indem er ihn so vor dem Zugriff der Spezialeinheit bewahrt. Von der Presse als Held gefeiert, gerät Hjelm trotzdem ins Visier der internen Ermittlungen. Schließlich wird er zur neu gegründeten Sonderkommission für besonders schwierige Fälle berufen, einer speziellen Ermittlungsgruppe, die sich aus Kommissaren aus ganz Schweden zusammensetzt und nur eingesetzt wird, wenn wirklich schwere und kaum zu lösende Verbrechen begangen werden.

Und hier beginnt die Geschichte, die eigentlich schon Jahre zuvor ihren Anfang genommen hat. Ein Serienmörder richtet innerhalb kurzer Zeit drei scheinbar unbescholtene Geschäftsmänner hin. Jeder Tatort sieht gleich aus: Die Opfer werden in ihrem eigenen Wohnzimmer durch einen gezielten Kopfschuss getötet. Die Kugel wird anschließend vom Täter aus der Wand entfernt. Es gibt keinerlei Spuren, außer der Tatsache, dass es keine Spuren gibt. Dadurch schließen die Ermittler zunächst auf einen Profikiller. Doch zwischen den Opfern gibt es eine Verbindung: Sie alle waren Mitglieder des Mimerordens, einer geheimen Bruderschaft, innerhalb derer es vor ein paar Jahren zur Rebellion gekommen ist. Sind die Morde heute eine späte Rache dafür?

Weitere Spuren führen ins Strichermilieu und zu einem exklusiven Golfklub. Doch so gut sich die Ermittlungen in diese Richtungen auch entwickeln und soviel Schreckliches auch ans Tageslicht kommt, den Täter finden die Ermittler nicht.
Als ein Kollege von Paul Hjelm nach Tallin fährt, um dort einer Mafiaspur nachzugehen, wird er von Mafiosi gekidnappt und brutal misshandelt. Die Verbrecher lassen ihn allerdings am Leben um zu beweisen, dass sie mit den Morden nichts zu tun haben.

Der wahre Täter mordet weiter. Doch er muss den vierten Tatort überstürzt verlassen und hinterlässt eine Spur: Eine Tonband mit dem bekannten Jazzstück "Misterioso" von Thelonius Monk. Da es sich um eine alte und nie veröffentlichte Aufnahme aus den 1950er Jahren handelt, beginnen die Ermittler auch in einem sehr speziellen und exklusiven Jazzliebhabermilieu Nachforschungen anzustellen. Als sie schließlich den Grund erfahren, warum der Mörder gerade diese Aufnahmen hört wenn er seine Verbrechen begeht, können sie einen kurzen Blick in die Seele eines Menschen werfen, der an einem einzigen Tag und trotzdem über lange Zeit zum Mörder gemacht wurde. Doch auch wenn sie nun die Identität des Täters kennen, gelingt es ihnen nicht, einen weiteren Mord zu verhindern.

Die Geschichte findet schließlich ein spannendes aber auch trauriges Ende, in dem der Leser erkennt, wer da eigentlich gemordet hat und wie es dazu kommen konnte, dass sich ein wirklich ganz normaler Mensch scheinbar in ein Monster verwandelt hat.

Als ich "Misterioso" gelesen habe, habe ich mir auch gleich das bekannte Jazzstück von Thelonius Monk angehört und war überrascht. Ich hatte erwartet, ein trauriges, schweres Stück zu hören, gehört habe ich jedoch ein Jazzstück, das mindestens ebenso spannend ist wie der Krimi, den ich gerade las. Was mich aber am meisten beeindruckt hat war die Tatsache, dass es Arne Dahl gelungen ist, ein Buch zu schreiben, dessen Handlung so verläuft wie das Jazzstück, nach dem es benannt ist. Und besonders gefreut hat mich die Tatsache, dass es auch mir, obwohl ich in keinster Weise so etwas wie eine Musikspezialistin bin, gelungen ist, solche Besonderheiten zu erkennen. "Misterioso" wird für den Leser mehr sein als nur ein Lied, das ein Mörder während seiner Taten gehört hat. Genau wie die Geschichte beginnt auch das Stück "Misterioso" einfach. Der Leser lernt den Ermittler kennen, erfährt langsam mehr über ihn und kann erleben, wie Paul Hjelm und seine Kollegen an den neuen Fall herangehen. Nach einem angenehmen Anfang geht es im Jazzstück kompliziert weiter. Immer wieder wird eine Melodie begonnen, von anderen unterbrochen, um irgendwann erneut zu beginnen. Im Buch finden die Ermittler immer wieder neue Spuren, die sie verwerfen müssen, um sie dann doch wieder aufzunehmen. Ständig passieren Dinge, die niemand, am wenigsten der Leser, voraussehen konnte. Das plötzliche, fast abrupte Ende des Jazzstücks kommt genauso überraschend wie das Ende der Geschichte.

Nach dem Lesen des Kriminalromans fühlt man sich, als hätte man bei einem Konzert ein besonders beeindruckendes Stück gehört und müsse ein, zwei Sekunden warten, bevor man klatscht, einfach um das gerade Erlebte noch einmal zu genießen.

Besonders gut gefallen hat mir auch die Art und Weise wie Arne Dahl seine Geschichte erzählt. Wie bei einem Roman von Henning Mankell kennt der Leser den Täter, bevor die Ermittler ihn kennen lernen. Er erlebt mit, wie der Täter mordet und kann erfahren, was so ein Mensch empfindet. Der Autor wechselt gekonnt zwischen den Sichtweisen des Täters, der Opfer und der Ermittler. Über Letztere erfährt man auch viel Persönliches, vor allem lernt man sie als erfrischend normale Menschen kennen, die Kinder haben, im Kirchenchor singen, gutmütig oder jähzornig sind, die geschlagen haben und geschlagen wurden. Es gibt in Dahls Krimi keine Übermenschen, und gerade das macht ihn so besonders.

Beeindruckt hat mich auch, dass es Dahl gelungen ist, einen zwar bösen, aber nicht verachtenswerten Mörder zu schaffen. Je besser der Leser den Täter kennen lernt, umso mehr Mitleid empfindet er für ihn. Einziges Manko in "Misterioso" sind die Opfer. Sie alle sind genau das, was man sich unter schmierigen Geschäftsmännern vorstellt. Kein einziges Opfer ist die Art von Mensch die man gerne gekannt hätte.

Obwohl Paul Hjelm die Hauptfigur des Krimis ist, wird seiner Person nicht übermäßig viel Aufmerksamkeit geschenkt. Er ist so etwas wie der rote Faden, der sich durch die Geschichte schlängelt. Nebenbei erfährt der Leser mehr über seine Familie, seine Sorgen, seine Ängste, jedoch stellen diese nie das Hauptproblem der Geschichte dar, sondern runden diese nur gekonnt ab.
Der Leser darf nach "Misterioso" schon gespannt auf weitere Krimis von Arne Dahl sein.
Alles in allem ein Meisterstück - nicht nur für Jazzliebhaber.

Arne Dahl ist das Pseudonym eines schwedischen Autors.

(Anna Mehlmann; 08/2003)


Arne Dahl: "Misterioso"
Aus dem Schwedischen von Maike Dörries.
Piper, 2002. 345 Seiten.
ISBN 3-492-27040-9.
ca. EUR 14,-. Buch bestellen

Piper, 2003. 352 Seiten.
ISBN 3-492-23992-7.
ca. EUR 8,90. Buch bestellen

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