Noam Chomsky: "HYBRIS"

Die endgültige Sicherung der globalen Vormachtstellung der USA


"Sein vordergründiger Pessimismus lebt von einem tiefverwurzelten Glauben an die republikanische Tradition in den USA. An diese appelliert er, sie will er wachrütteln eben weil sie die Kraft zum Widerständigen, zur Selbstheilung noch nicht verloren hat."
Also schrieb die "Zeit", und weil' s so schön war, wird es gleich auf dem Bucheinband zitiert, in Großbuchstaben, damit es jeder leicht lesen kann.

Glücklicherweise ist Chomskys Buch frei von dergleichen Albernheiten. An eine "republikanische Tradition in den USA" kann er nicht glauben, a) weil er ein nicht nur intelligenter, sondern auch unbestechlicher Geschichtsbetrachter und Chronist des Zeitgeschehens ist und b) weil es dergleichen einfach nicht gibt.

Gerade Punkt b) zählt du den erschreckendsten Erkenntnissen, die aus der Lektüre von "Hybris" gewonnen werden können. Das us-amerikanische Gesellschaftsleben ist wohl das drastischste Beispiel für völliges ziviles Versagen, was an nichts so deutlich wird wie an den vielgerühmten Zeitungen "New York Times","Washington Post" und wie sie alle heißen. Chomsky weist ihre völlige Gleichschaltung in allen wichtigen (vor allem außen-) politischen Fragen nach. Ein trostloser moralischer Befund im Land der unbegrenzten Freiheit, fürwahr.

"Es wäre jedoch falsch, aus diesen Ereignissen und Entwicklungen den Schluss zu ziehen, dass die Aussichten nichts als düster sind." So beginnt der eigentliche Schlussabschnitt des Buches, nicht als solcher gekennzeichnet, sondern in das Schlusskapitel mit dem Titel: "Ein Alptraum, der vorübergeht?" integriert. Auf dessen gerade mal zweieinhalb Seiten bietet Chomsky tatsächlich so etwas wie einen halbwegs tröstlichen Ausblick, zu dem die bis dahin ca. 280 Seiten keinerlei Veranlassung bieten. Schließlich haben sie auch im Wesentlichen nur einen Gegenstand zum Inhalt: die Eiterbeule der Menschheit, genannt USA.
Diese ca. 280 Seiten berichten also Entsetzliches. Was die USA an Scheußlichkeiten, an Niederträchtigkeiten, an Bestialitäten und bodenlosen Gemeinheiten, garniert mit ihrer sattsam bekannten Mischung aus Brutalität und Heuchelei, so alles begangen haben, selbst nur in ihrer jüngeren Geschichte, also unter Außerachtlassung etwa des jahrhundertelangen Indianer-Genozids und der Weltkriegsverbrechen, ist immerhin so mannigfaltig, dass ca. 280 Seiten zu einer höchst summarischen Darstellung notwendig sind, ohne in Details zu schwelgen, ohne Ereignisse wie My Lai, deren Kenntnis (vielfach zuunrecht?) vorausgesetzt wird, irgendwie breitzutreten, alles im Rahmen einer Betrachtung der gegenwärtigen Politik der Sicherung der globalen Vormachtsstellung der USA. Eine Seite dieses Buches reicht aus, um einem empfindsamen Leser nachhaltig gute Laune und Feiertagsstimmung zu verderben, weshalb der Wert dieses Buches bei (und wegen!) all seine/n/r Qualitäten als Weihnachtsgeschenk fragwürdig erscheinen mag. Aber wie heißt es so wunderschön: "Die Wahrheit ist immer zumutbar." Na also. Überdies ist dieses Buch daher nicht nur zumutbar, sondern höchst notwendig, ja es muss sogar gesagt werden: Ein notwendigeres Buch als dieses ist kaum vorstellbar. Deshalb gebührt Chomsky für die Reportierung dieser Vielzahl von Fakten, die der Öffentlichkeit weitestgehend unbekannt geblieben sind, höchster Dank.

Klarerweise kann Chomsky nicht zu den Ergebnissen etwa Fernaus und Deschners gelangen, wonach unsere einzige gegenüber den USA angebachte Empfindung, Hass, unser einziger Trost der unausweichliche Untergang dieses Molochs sein könne. Er lebt schließlich in diesem Land, wird diesem gegenüber auch nicht völlig frei von Rudimenten positiver Gefühle sein, und muss schließlich auch in irgendeiner Form die öffentliche Meinung berücksichtigen, was er mit den letzten zweieinhalb Seiten ohnehin nur äußerst spärlich, geradezu ersichtlich alibihaft tat. Auch erscheint es verständlich, dass die "Zeit" dergleichen wie die oben angeführte verniedlichende Rezension veröffentlicht, schließlich liegt Hamburg bekanntlich in der BRD, welche immer noch ein von amerikanischen Truppen besetztes Land ist (eine zugegeben sehr vereinfachte Begründung diffiziler, aber im Grund nicht zu leugnender Machtverhältnisse). Dass der Europaverlag dieser Rezension im wahrsten Sinne des Wortes breiten Raum einräumt, ist folglich keineswegs als Angst vor der eigenen Courage zu werten, sondern klares, wohl nicht zuletzt auch wirtschaftliches Kalkül. Es schmälert nicht unsere Dankbarkeit für die Verlegung des Buches, nicht zuletzt deshalb, weil nicht einmal die omnipräsente Macht jenes bösen Staates uns Leser zu zwingen vermag, offensichtliche Unrichtigkeiten zu glauben.

(Franz Lechner; 12/2003)


Noam Chomsky: "HYBRIS"
Aus dem Amerikanischen von Michael Haupt.
Europa Verlagerlag, 2003. 320 Seiten.
ISBN 3-203-76016-9.
ca. EUR 19,90. Buch bestellen

Lien:
Noam-Chomsky-Forum.de

Noam Chomsky, geboren 1928, politischer Aktivist und Professor am Massachusetts Institute of Technology, gilt als "Pessimist, der Mut macht" (The Guardian). Er ist Autor einer ganzen Reihe von Bestsellern über Linguistik, Philosophie und Politik, die immer wieder weltweit Aufmerksamkeit erregen; darunter "Profit Over People", "War Against People", "People Without Rights", "The Attack", "Offene Wunde Nahost", "Media Control".

Ergänzende Buchtipps: 

"Offene Wunde Nahost"
"Offene Wunde Nahost" ist eines der gewichtigsten Werke des libertären Juden und politischen Aktivisten Chomsky und behandelt das schicksalhafte Verhältnis zwischen Israel, den Palästinensern und den USA. Auf Grundlage vor allem israelischer Dokumente, aber auch alternativer und vergrabener Quellen sowie eigener Reiseerfahrungen im Nahen Osten, übt Noam Chomsky scharfe Kritik an der Palästina-Politik Israels und vor allem Amerikas. Der PLO und den arabischen Regierungen wirft Chomsky (selbst-) zerstörerische Maßnahmen vor und untersucht die Hintergründe. 
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Kontrolle der Medien - Noam Chomsky begibt sich in diesem Buch in ein unerhörtes Spannungsfeld: Zum einen sind die Medien - ohne direkter staatlicher Kontrolle zu unterliegen - Propagandainstrumente der Außenpolitik, zum anderen dienen sie der gesellschaftlichen Herstellung von Konsens, unterdrücken Nachrichten, die die Bevölkerung verunsichern könnten, mildern sie ab, so dass an der Einstellung der politischen Führung kein Zweifel aufkommt. Dazu gehört die Methode, Verbrechen des Feindes, wer immer es gerade sein mag, akribisch zu beleuchten und mit dem Vergrößerungsglas zu untersuchen, während eigene Untaten oder die verbündeter Staaten in das milde Licht alles rechtfertigender Nachsicht getaucht werden.
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Hy|bris, die; - [griech. hýbris, H. u.] (bildungsspr.): Hochmut; Überheblichkeit; Vermessenheit
(Quelle: Großer Duden)

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