Christoph W. Bauer: "wege verzweigt"


Vom virtuosen Umgang mit Wortgestalten der zeitgenössischen Sprache

Christoph W. Bauers erster Gedichtband "wege verzweigt" ist in fünf einzelne Gedichtzyklen (Texte aus den Jahren 1996 bis 1998) eingeteilt, die vom Autor selbst als "Episoden" bezeichnet werden: STUMMZONEN, REICHLICH SONNE TIEFBLAU, WEGE VERZWEIGT, BAJAZZO'S RACHE und IM SCHATTEN DES MÖRDERS. Sie infizieren den Leser mit dem Bewusstmachen alltäglicher Sinneseindrücke.

Viele feine Zwischentöne lassen sich aus den "Reiseberichten", die gleichermaßen in innere wie umgebende Welten (ent)führen, herauslesen. Perspektivenwechsel fungieren wie Aussichtstürme im Gelände als Orientierungspunkte innerhalb einer höchst persönlichen sprachlichen Weite. Als Wegweiser bieten sich treffsichere Ausdrücke an, wenn beispielsweise Landschaftszustände inklusive Tourismushörigkeit behandelt werden.

Christoph W. Bauer richtet seine Sprache scheinwerfergleich auf alltägliche Unbequemlichkeiten, auf Menschen, die ihren Weg suchen, mitunter auf den Schreibenden selbst, der sein Schreiben beschreibt und dabei nicht im Morast einer hinter mancher Wegbiegung lauernden egozentrischen Sackgasse versinkt. Und sogar das Erklettern unwegsamer, wenig zugänglicher Formationen (z. B. reduzierte Schlagzeilenkommunikation) wird auf Grundlage dieses Bandes sinnlich erlebbar.

Teilweise dem EDV-Jargon entnommene Formulierungen ermöglichen interessante Blickwinkel, so man sie auf Bauers Lyrik überträgt: Inhalte werden nicht mehr zwangsläufig in linearer Form gestaltet und präsentiert, sondern sind vielfältig verzweigt; eigene Wege, auch Irrwege, sind möglich und sinnvoll, Strukturen ergeben sich jedoch nicht allein durch das Gehen eigener Wege ... So werden Informationswege logisch verzweigt, teilweise automatisiert und die zu vermittelnden Inhalte erlangen einen optimalen Merkeffekt ...

Zur Illustration des Geschriebenen möge diese Leseprobe dienen:

idyll

reichlich sonne tiefblau
der himmel stürzt in die flügel
ein engel überm kruzifix schwebt
die seilbahn bergan und bergab
ziehen wälder ein lächeln
setz ich auf dies idyll
unfrankiert noch vergilbt
schon in den ecken
zähls kleingeld und kauf

(kre; 08/2001)


Christoph W. Bauer: "wege verzweigt"
Haymon, 2001. 112 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Die zweite Fremde. Zehn jüdische Lebensbilder"

Zehn Menschen, die in den Märztagen 1938 aus Innsbruck und Wien fliehen mussten, die aus ihrer Kindheit vertrieben wurden, aus einem Leben, für das sie Träume und Pläne hatten. Um in ihren Fluchtländern England und Israel Fuß zu fassen, galt es, ihre Muttersprache zu verdrängen, auch zu verheimlichen, denn Deutsch war die Sprache der Täter. So wurde ihnen die Fremde zur neuen Heimat, die alte Heimat zur zweiten Fremde.
Christoph W. Bauer ist ihren Lebenswegen bis in die Gegenwart herauf nachgegangen - zehn Porträts, die zu einer Geschichte über Heimat, Entfremdung und Erinnerung zusammenfinden. In bewegenden Bildern erzählen sie von Abschied und Flucht, aber auch vom Leben danach. Mit zahlreichen Originalfotografien. (Haymon)
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