Mia Couto: "Asche und Sand"


Afrika - Europa: buntes Grauen zwischen Schwarz und Weiß

Die Protagonistin des vorangehenden Romans der Trilogie, Imani (port. 2015, dt. 2019), lernte im ausgehenden 19. Jahrhundert schon als Kind Portugiesisch sprechen, lesen und schreiben und in einer katholischen Missionsschule das Leben der europäischen Kolonialherren kennen.
So wird das Mädchen für den republikanisch eingestellten Offizier Germano zur unentbehrlichen Begleiterin, rasch auch seine Geliebte. Zur provokativen Überraschung ihrer Umgebung trägt sie, die Afrikanerin, stets Schuhe!

Im gemeinsam herausgegebenen zweiten und dritten Band dieser Trilogie erlebt die 15-Jährige als Augen- und Blutzeugin die Tragik der portugiesischen Kolonialgeschichte in Ostafrika um 1895.
Der Selbstmord der Mutter lässt in der Familie die traditionelle weibliche Stimme verstummen; ihre Brüder kämpfen auf unterschiedlichen Seiten im Krieg Portugals gegen das letzte einheimische Königreich auf dem Boden des heutigen Mosambik.
Mit ihrem Vater und dem überlebenden, doch schwachsinnigen Bruder kann sich Imani aus dem Kampfgebiet in ein abgelegenes Dorf am Flussufer retten. Denn König Ngungunyane, selbst lange Zeit Vasall der Portugiesen, sieht in Imanis Volk gefährliche Verräter.
Ihr Geliebter Germano hat Verletzungen an beiden Händen und benötigt dringend medizinische Versorgung. Die zusammengewürfelte kleine Dorfgemeinschaft, zu der auch ein aus Indien stammender katholischer Priester, die undurchschaubare Heilerin Bibliana und die italienische Puffmutter Bianca gehören, lebt zwischen den Fronten.
Bianca versucht vergebens, die hübsche Imani in das Leben einer Prostituierten zu drängen. Später wird sie zur Schlüsselfigur ihrer kurzfristigen Befreiung aus vorgegebenen Lebensschienen.

In der Missionsstation eines lüsternen Schweizer Protestanten findet Imani fragwürdige Anerkennung, aber Germano nicht die benötigte medizinische Behandlung. Schließlich fasst Imanis Vater einen verzweifelten Entschluss: Er will Imani Ngungunyane zur Frau anbieten - nur damit sie ihn tötet. Damit stellt er das junge Mädchen zwischen den Herrscher und seine bisherigen Frauen, zwischen die afrikanische Bevölkerung, die in der Ablehnung der Kolonialherrschaft durchaus nicht geeint ist, und die Europäer.

Noch bevor die Ehe vollzogen werden kann, sind weite Landstriche zerstört, tausende Menschen auf der Flucht und Ngungunyane, den die Portugiesen konsequent Gunhunhana nennen, und sieben seiner Ehefrauen gefangen. Als Dolmetscherin muss Imani die Gefangenen nach Lissabon begleiten. Dort bringt Imani Germanos Kind zur Welt. Der afrikanische König wird mit seinen Frauen als exotische Trophäe ausgestellt und dann, ohne Harem, auf die Azoreninsel Terceira verbannt.
Erst 15 schreckliche Jahre später kehrt Imani nach Ostafrika zurück, wo sie als uralte Frau 1975 noch die Unabhängigkeit Mosambiks erlebt.

Der Roman ist über weite Strecken als Ich-Erzählung zwischen den Kulturen gehalten: Imani ist schwarz, hat eine europäische Schule besucht und bringt in Europa das Kind eines Portugiesen zur Welt, der aus politischen Gründen in Afrika bleiben muss. Verwoben in ihre Lebensgeschichte finden sich Briefe von Germano, von einem streng konservativen Adeligen, von Schlächtern im Namen der Kolonisierung und von Menschen, die ihre blutigen Taten als Trauma mit sich tragen.

Trotz Zerstörung und Asche - im portugiesischen Original Teil des Buchtitels des ersten Teils, während der zweite und dritte Teil als "Speere und Schwerter" verkauft werden - führt der Autor Imani und ihre Leser umsichtig und mit Augenzwinkern durch die Schlachten von Blut und Liebe. Scheinbare Details wie geschlossene Schuhe, die von Afrikanern für die Hufe der Europäer gehalten werden, blitzen als Leitmotive immer wieder auf, manchmal tragikomisch. Ist, wer Schuhe trägt, noch Afrikanerin? Und darf sich ein Kolonialsoldat bloßfüßig, ohne Stiefel zeigen? Wer braucht Schuhe im Bordell?

Bodenhaftung verleiht dem Roman eine reichhaltige Sprache, die Rassismus nicht ausspart. Wer wie als Neger versklavt wird, wird auch so genannt. Denn es gibt im Leben und in diesem Text nichts, was ohne Bedeutung wäre.

Der Autor Mia Couto (geb. 1955), lebt, denkt und schreibt selbst zwischen diesen Welten. Als Sohn einer weißen Familie sympathisierte er mit der marxistischen Widerstandsbewegung und blieb auch nach der Unabhängigkeitserklärung und während des 16-jährigen Bürgerkriegs in Mosambik. Bis heute.
Sein schriftstellerisches Werk ist am lateinamerikanischen Magischen Realismus geschult. Gekonnt vermischt er die Sichtweisen von historischen Figuren der afrikanischen und portugiesischen Geschichte mit einer Vielzahl fiktiver Stimmen, geschichtliche Überlieferung mit Mythen und schicksalsbestimmenden Träumen.

Angesichts der derzeitigen Diskussion, ob weiße Übersetzer das Gedicht der Afro-Amerikanerin Amanda Gorman übertragen können und dürfen, sei die reiche Spracharbeit der weißen Übersetzerin Karin von Schweder-Schreiner ausdrücklich gewürdigt. Sie kann es und soll es dürfen. In ihren Worten entstand im Deutschen eine rasche Blickwendung von Mikrokosmen zur Weltgeschichte und retour, ein steter und vielstimmiger Wechsel in der Sicht auf ein Dazwischen und vor allem eine umfangreiche und vielfärbige Einladung, diesen Teil der Welt literarisch und historisch kennen zu lernen.

(Wolfgang Moser; 03/2021)


Mia Couto: "Asche und Sand"
(Originaltitel "Sombras de Agua")
Aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner.
Unionsverlag, 2021. 544 Seiten.
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Liens:

https://www.revistapazes.com/mia-couto-lanca-espada-e-azagaia/ (Interview)

https://noticiasdezallar.wordpress.com/2018/10/30/estive-a-ler-a-espada-e-a-azagaia-as-areias-do-imperador-2/

http://d-nb.info/1221145509