Meir Shalev: "Mein Wildgarten"


Glücksmomente und "viele Stunden auf den Knien"

Ein Stück Erde irgendwo im Norden Israels. Ein alter Birnbaum, ein siecher Zitronenbaum, auch ein zäher hoher Feigenkaktus und eine Hanfpflanze, deren frisches Grün von der braunen und gelben Umgebung abstach. Der angehende Gärtner ging an die Arbeit. Er schnitt und entsorgte sämtliche trockenen Gräser und Dornen, mähte und bewässerte. Der Sommer ging zu Ende, der Herbst zog ein, gefolgt vom ersten Winter im neuen Haus und Garten. "Regen fiel, und die Samen der Dornen und Disteln, Malven, Gräser und Quecken und all der Pflanzen, die unsere biblischen Vorväter als 'Dornen und Nesseln' bezeichneten, ohne daß wir wussten, welche Arten sie meinten, keimten erneut." So beginnt die Saga eines Gartens.

Meir Shalev ist ein bekannter, vielgelesener israelischer Schriftsteller und Journalist, der in seinem Buch "Mein Wildgarten" in 47 kurzen Essays, die er selbst lediglich als Notizen bezeichnet, das Leben mit und in einem Garten aufzeichnet. Ein Garten, der, wie schon der Titel sagt, durch seine Besonderheit als Wildgarten hervorsticht. Anders als die üblichen modernen Vorstadtgärten sieht der Autor und Gärtner seinen Garten als Teil der ihn umgebenden Natur. Sein Garten ist nicht grün und frisch in der heißesten Jahreszeit, er muss auch nicht andauernd mit den kargen Wasservorräten gepflegt werden. Wildgarten heißt auch Integrierung in die Umgebung, in die sommerliche Trockenheit, die aber trotzdem zarte Farbtupfer zulässt, wie Stockrosen und Meerzwiebeln, die aus der harten Erde in die glutheiße Luft streben. Es sind wilde Blumen, Sträucher und Bäume, die sich in diesem Garten versammeln, gehegt und gepflegt werden und schließlich ein Stück neue Natur hervorbringen.

Symbol für dieses israelische Konzept eines Wildgartens sind Shalevs Lieblingsblumen, Alpenveilchen und mediterrane Meerzwiebeln. Beide wirken zart, sind aber kräftig und zäh. Die Meerzwiebel blüht in der heißesten und trockensten Zeit des mediterranen Sommers, wenn keine andere Blume blüht. Das Alpenveilchen blüht im Winter und versammelt dichte Kolonien um sich. Der Autor als Gärtner sammelt die Samen oder gräbt die Knollen der wildwachsenden Meerzwiebeln auf Baustellen und bei Straßenbauarbeiten aus und verpflanzt sie in seinen Garten. Die anderen Blumen und Bäume, welche in diesem Naturgarten ihren Platz finden, werden in vielen Geschichten lebendig und bilden mit den tierischen Gästen eine respektable Einheit.

Trotz aller Details, dieses Buch ist weder Gartenratgeber noch Pflanzenlexikon. Der rote Faden, der sich durch jede Seite zieht: ein Garten und insbesondere ein Wildgarten ist eine immerwährende Quelle eines wahren Glücks. Meist periodisch wiederkehrend und voraussehbar, was dieses Gefühl nicht mindert. Momente des Knospens und Blühens, der Wiederkehr von Pflanzen und Tieren, das Leben mit der ewigen Abfolge von Wind und Wetter, Hitze und Dürre. Ohne zu klagen und mit grenzenloser Geduld nimmt der Autor alle Unbill des Gartenlebens hin - das Wetter, das jahrelange Warten auf eine Blüte, die vielen Stunden auf den Knien, um des immer wiederkehrenden Unkrauts Herr zu werden. Und er berichtet dabei amüsiert über tierische Nervensägen wie Spechte, die tagelang unaufhörlich pochen und klopfen und lärmen.

Egal, wo man das Buch aufschlägt, stößt man schnell auf Sätze, welche die sinnliche Freude an der Natur ausdrücken. Wenn Shalev von einem blühenden Lupinenfeld als einem herrlichen Anblick schreibt, "bei dem einem die Augen übergehen und das Herz weit wird", so gilt das für alle hier beschriebenen Pflanzen und für viele Tiere. Seine Lobreden sind genaue Beschreibungen ihres Seins und Werdens, umhüllt mit poetischen Worten.

Der Gärtner Meir Shalev verliert nicht seine Sprache, wenn er erstaunt, bestaunt und sich freut.
Immer wieder gelingt es ihm, diese Freude in Worte zu fassen. Die Freude über das Erscheinen der ersten Anemone im Frühjahr gleicht einer Hymne an die wiedererwachende Natur und damit der Welt. Er beherrscht die Kunst, dieser existenziellen Freude ein Wort-Gesicht zu geben, nimmt gerne Anleihe bei anderen Autoren. Das Herz füllt sich mit Freude, und der Garten hält den Atem an.

Meir Shalevs Buch "Mein Wildgarten" ist ein in jeder Hinsicht schönes Buch, inhaltlich inspirierend und formal ansprechend, bereichert mit hübschen Illustrationen von Refaella Shir, seiner Schwester. Es ist ein Lesevergnügen für einen Sommertag im Schatten eines großen Baumes und für einen Wintertag vor einem prasselnden Feuer. Wo und wann immer man ganz entspannt seinen Gedanken freien Lauf lassen will.

(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 04/2017)


Meir Shalev: "Mein Wildgarten"
(Originaltitel "Ginat ha-bar")
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Mit 40 Illustrationen von Refaella Shir.
Diogenes, 2017. 288 Seiten.
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