Mia Couto: "Imani"


Der Krieg der Männer

Das Schaffen des 1955 als Sohn portugiesischer Einwanderer in Mosambik geborenen Mia Couto erfährt im deutschsprachigen Raum noch nicht jene Resonanz, die es eigentlich haben sollte. Nach seinen Anfängen als Journalist, er wurde mit 21 Jahren Direktor der staatlichen Nachrichtenagentur in Mosambik, studierte er Biologie und unterrichtet an der Universität Maputo. Feldforschung betreibt er im Hinterland Mosambiks, wo er die Geschichten und Mythen der Bewohner sammelt, die Inspirationsquelle für seine Romane sind. Couto spricht auch die Bantu-Sprache Chissena.
Coutos Romane zeichnen sich dadurch aus, dass sie, wenn man so sagen darf, echte afrikanische Romane sind. Sie stellen eine höchst originelle Symbiose Europas und Afrikas dar, stilistisch, wie auch inhaltlich.
"Zuhause war Portugal und Europa, auf der Straße Afrika", so der Autor in einem Interview.

"Imani" ist der erste Band eine Trilogie über die letzten Tage des sogenannten Gaza-Reiches, des zweitgrößten afrikanischen Staates unter der Führung eines Afrikaners, wie Mia Couto im Vorwort erläutert. Der Herrscher dieses Gebiets hieß Ngungunyane (oder bei den Portugiesen Gungunhane), wurde 1895 von den Portugiesen besiegt und auf die Azoren deportiert, wo er 1906 starb.

Dieser Roman wird in abwechselnden Kapiteln erzählt. Einerseits von Imani, deren Name so viel wie "Wer ist da?" bedeutet. Andererseits von Serganto Germano de Melo. Während Mia Couto Imani aus der Icherzählerperspektive berichten lässt, ist das, was Germano de Melo zu erzählen hat, in die Form von Briefen gegossen, die er seinem Vorgesetzten, Senhor Conselheiro José d'Almeido, nach Portugal schickt.

Diese strickte Aufteilung ist Couto sehr gelungen, weil es genügend überschneidende Ereignisse gibt, die naturgemäß jeweils unterschiedlich beleuchtet sind.

Germano de Melo ist nach Mosambik entsandt worden, um den Vormarsch Ngungunyanes aufzuhalten. Er berichtet in unterwürfiger Manier von seiner Ankunft, den Hintergründen seiner Entsendung und all dem, was er staunend und unvorbereitet in Mosambik sieht. Dieser Erzählstrang ist wirklich erstaunlich, auch weil es Mia Couto gelingt, eine authentische Stimme zu schaffen, die das Treiben der Portugiesen in Afrika zwar hinterfragt, trotzdem in jeder Hinsicht von kolonialistischem Denken geprägt ist.

Imani, die ausgezeichnet Portugiesisch spricht, erzählt von ihrer Familie, von ihren beiden Brüdern, die auf unterschiedlichen Seiten kämpfen. Sie erzählt von familiären Vorkommnissen, dem Vater, der Mutter und der Ankunft Germano de Melos. Imani ist eine kluge junge Frau, im Rahmen des Denkbaren möglichst emanzipiert. Sie wird dem Sargento zur Unterstützung und zum Übersetzen zugeteilt.
"Wenn der Sargento dir eine Belohnung gibt, ist das keine Großzügigkeit. Das ist der Lohn für meine Dienste. Ich habe ihnen eine Tochter überlassen, und mehr noch, einen Sohn. Kann man das, was ich ihnen gegeben habe, überhaupt bezahlen?"

Überall droht Krieg. Die jungen Truppen Ngungunyanes sind auf dem Vormarsch, die portugiesischen Streitkräfte in Mosambik sind eine eher lasche, unkoordinierte Truppe von Verbannten, Nichtsnutzen und Abenteurern, die in Wahrheit keine davon Ahnung haben, worauf sie sich eingelassen haben. Diese Ambivalenz gibt den beiden Perspektiven, die das Geschehen beleuchten, genug Raum zur erzählerischen Entfaltung.

"Als ich seine Geschichten über Afrika hörte, drängte sich mir die Frage auf: Wer sonst von unseren Offizieren besitzt solche Kenntnis über die Afrikaner? Wie können wir über ein Volk herrschen, über das uns so wenig bekannt ist? Welche Streitkräfte können wir besiegen, wenn wir fast nichts über unseren Feind wissen?"

Imanis Erzählung öffnet dem Leser jene Welt, die den Portugiesen verborgen bleibt. Sie beschriebt die Mythen, die Traditionen ihres Volkes. In diesem Umfeld hat sie als Frau auch nicht viel zu sagen. Allerdings lehnt sie sich gegen diese Gesetze auf und findet Gefallen am portugiesischen Sargento, der ebenfalls beginnt, sie zu begehren. Allerdings passiert das Unausweichliche, und nichts wird so, wie erwartet. Man darf gespannt sein, wie die weiteren Bände der Trilogie diesen spannenden ersten Teil fortsetzen werden.

Mia Coutos großartig übersetzte Prosa ist perfekt stilisiert und überzeugt, ohne je anachronistisch oder altertümlich zu wirken. Verschiedene, mittlerweile erfreulicherweise aus dem Sprachgebrauch verschwundene abwertende Wörter oder Bezeichnungen finden sich in diesem Roman, allerdings nie im Sinn einer Effekthascherei.
"Imani" ist ein sehr starker Roman, der große Lust auf die Nachfolger im Rahmen der Trilogie macht.

(Roland Freisitzer; 07/2017)


Mia Couto: "Imani"
Aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner.
Unionsverlag, 2017. 287 Seiten.
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