Eric Schneider: "Zurück nach Java"

Eine tropische Erinnerung


"Ferdy Aronius, Diplomat und höchster Repräsentant seines Landes in Angola, versucht in etwa sieben Kilometer Höhe, zurückgelehnt in der Businessclass einer Lufthansa-Maschine Richtung Frankfurt, von wo er nach Amsterdam weiterfliegen wird, Schlaf zu finden. Und er weiß, dass ihm das nicht gleich gelingen wird, trotz der drei Whisky am Flughafen, die er ziemlich schnell hinuntergekippt hat, und trotz des Plaids, das der fürsorgliche Steward über ihn gebreitet hat: Sein Gefühl sagt ihm, dass es in diesem Jubiläumsjahr, in dem nach alter Gewohnheit am sechsten und neunten August im Hotel Hoogduin an der Nordsee der Untergang der Städte Hiroshima und Nagasaki gefeiert werden soll, anders sein wird als bisher." (Beginn des Romans)

Gefeiert wird mit Beharrlichkeit "das Ende des Pazifik-Krieges durch den Fall von zwei Atombomben", doch dass nicht alle Anwesenden dieselbe Sicht auf die historischen Ereignisse teilen und jeder ein brisantes Geheimnis vor den Anderen verbirgt, erschließt sich erst im Lauf der zehn Kapitel, die das Treffen schildern. Erzählt wird im Präsens, was für besonders dramatische Momente sorgt.

Ist die Wahrheit zumutbar?

Sein Gefühl trügt Ferdy Aronius nicht, denn dieses Treffen steht von Anfang an unter keinem guten Stern: Extremes Schlechtwetter mit Sturmböen und sintflutartigen Regenfällen bildet sozusagen die Weltuntergangskulisse für die Wiederbegegnung mit seiner Mutter Alice, ihrem früheren Geliebten und Langzeitverehrer Mees Stork und dem Javaner Buli Kamidjojo, der sich als "Mädchen für alles" im Hotel nützlich macht. Er ist es auch, der Ferdy dienstbeflissen abholt und zum Hotel bringt, und schon bald ist eine besondere Nähe zwischen dem freundlichen, fleißigen Javaner und dem homosexuellen Ferdy spürbar, der auf der gesamten Anreise Erinnerungen vor dem Leser ausgebreitet hat: an die Kindheit in Batavia, an seinen geliebten, schon seit 45 Jahren toten älteren Bruder Dieudonné, an den dicken, kränklichen Vater, der mit Leib und Seele Pastor war und kürzlich verstorben ist, an seine reservierte Mutter, an seinen ägyptischen Liebhaber, der Selbstmord begangen hat, und auch an Lili Oltman, die unerschütterlich treue Botschaftssekretärin ...

Die Zeiten haben sich - wieder einmal - merklich geändert, denn das Hotel ist eine Baustelle, es soll nach der großen Sanierung als "Hotel Nieuw Buitenzorg" wiedereröffnet werden, Mees Stork ist nicht mehr der Eigentümer, sondern nur mehr darin geduldet. Bulis Großvater hat nämlich die Immobilie erworben und seinem Enkel geschenkt. Alice und Mees, der unter Inkontinenz leidet und die Vergangenheit verklärt, besonders in Bezug auf Alice, der er immer wieder Heiratsanträge gemacht hat, streiten über alles und nichts, die Atmosphäre ist von Anfang an emotionsgeladen und unheilschwanger, woran auch nostalgische Musik vom Plattenspieler nichts zu ändern vermag.
Unterschiedliche Erinnerungen gären in den Anwesenden, jahrzehntelang zurückliegende Ereignisse in der damaligen Kolonie Niederländisch-Indien wirken bis in die Gegenwart hinein. Als mit fortschreitender Stunde, nach einem improvisierten Essen, Bulis Tanz und reichlich Alkohol, bisher verschwiegene Wahrheiten immer unverblümter ausgesprochen werden, darunter erstmals die genauen Todesumstände Dieudonnés (die wohl stärkste Passage des Romans!), nimmt das Schicksal seinen Lauf ... und nicht für jeden der Anwesenden bricht mit dem neuen Tag die Zukunft an ...  

"Zurück nach Java" ist der Debütroman des 1934 im indonesischen Batavia (heute Jakarta) geborenen Autors Eric Schneider, also das belletristische Erstlingswerk eines Spätberufenen, derer es nicht eben viele gibt; beispielsweise fällt der 1938 geborene Austro-Argentinier Germán Kratochwil, der im Jahr 2012 seinen ersten Roman "Scherbengericht" veröffentlicht hat, in ebendiese Kategorie.

Während der Lektüre von "Zurück nach Java. Eine tropische Erinnerung" fühlt man sich bisweilen an Sándor Márais Roman "Die Glut" erinnert, denn hier wie dort führen weit zurückliegende Begebenheiten im Rahmen eines erneuten Zusammentreffens damals beteiligter Personen zu teils unausweichlichen, teils überraschenden Reaktionen.
Freilich merkt man, dass Eric Schneider vorrangig ein Mann des Theaters ist, denn die stärksten Szenen sind in direkter Rede gestaltet, und die Haupthandlung des Treffens findet mit nur wenigen Figuren auf kleinem Raum statt. Daher, und auch aufgrund seiner Kürze (nur 111 Seiten!), könnte der Roman wohl problemlos ohne Verluste für die Bühne adaptiert werden, was nicht für viele Romane gilt.

(kre; 08/2015)


Eric Schneider: "Zurück nach Java. Eine tropische Erinnerung"
(Originaltitel "Een tropische herinnering")
Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert.
Insel, 2015. 111 Seiten.
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Eric Schneider übersiedelte im Jahr 1946 in die Niederlande. Schneider ist Schauspieler, Regisseur, Dramatiker und Künstler, er gilt als die graue Eminenz des niederländischen Theaters. Zwischenzeitlich war er einige Jahre lang Ensemble-Mitglied am Theater Bonn.

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