Timur Vermes: "Er ist wieder da"
(Hörbuchrezension)
Im Frühjahr 2011 wacht ein
sehr irritierter Mann auf einem freien Grundstück mitten in Berlin auf und kann
sich nicht erinnern, wie er dahin gekommen ist. Adolf Hitler, Führer,
Reichskanzler und Oberbefehlshaber der Wehrmacht glaubt sich noch in der
Verteidigung des Großdeutschen Reichs und vermutet in eine Explosion geraten zu
sein, wie er sie aus den letzten Tagen nur allzu genau kannte. Erst an einem
Zeitungskiosk wird ihm beim Lesen der Daten auf den Zeitungen klar, dass er 66
Jahre in der Zukunft gelandet ist. Aussehend wie er selbst in seiner speziell
angefertigten Wehrmachtsuniform.
Nach einer anfänglichen Irritation macht er sich wieder daran, "seine
Mission, die ihm das Schicksal auferlegt hat" weiter voran zu treiben. Da
der Kioskbesitzer, der ein sehr freundlicher Mensch ist, ihm nicht nur eine
kurzfristige Unterkunft organisiert, sondern ihm auch noch Kontakt zu
Medienvertretern vermittelt, findet er sich bald als amüsanter Abschluss einer
Komödiantensendung eines türkischstämmigen Unterhaltungskünstlers. Sein Auftritt
- eigentlich eine für ihn ganz normale Reaktion auf die vorher vorgetragenen
Sketche und Witze - stellt den Spaßmacher der Fernsehsendung ziemlich bloß und
macht Hitler geradezu über Nacht berühmt.
Hartnäckig auf seine Identität bestehend - und dabei von niemandem ernst
genommen - arbeitet er sich konsequent in die neue Medienlandschaft ein, lernt,
mit dem "tragbaren Telefongerät" umzugehen und auch mit dem
"Mausgerät" im Computer das "Internetz" zu erforschen. Ebenso beginnt
er in den Rängen der Fernsehkomödianten immer mehr auszusteigen, so dass der
Erfolg des neuen Adolf Hitler, der in der Regel in Uniform auftritt, auch die
Vertreterinnen und Vertreter der Politik zu interessieren beginnt. Seine
Bemühungen, über die Fernsehkarriere einen Weg zurück in die Politik zu finden,
scheinen nach einiger Zeit nicht mehr ganz so absurd, wie zu Beginn.
"Satire muss alles dürfen", kann man an dieser Stelle frei
Tucholsky
zitieren. Und das muss man auch, denn dieses Buch hat wieder einmal eine
Diskussion darüber entfesselt, ob man über Hitler in dieser Form Witze machen
darf - und damit auch über seine Untaten. Aber diese Satire arbeitet auf sehr
vielen Ebenen und bearbeitet dabei sehr viele unterschiedliche Themen. Was hätte
die NSDAP mit den heutigen Massenmedien - und den daneben existierenden
Überwachungsmöglichkeiten - alles erreichen können? Schließlich haben wir heute
viele der Horrorvisionen aus
Orwells
"1984" technologisch bereits übertroffen, und seit etlichen Jahren können
sich extremvoyeuristische Fernsehproduktionen schamlos "Großer Bruder" nennen,
ohne dass das die breite Masse wirklich irritiert. Und was ist das Fernsehen
überhaupt für ein Geschäft, in dem die "Erzähler von abgeflachten
Herrenwitzen" ganze Stadien füllen können?
Vermes lässt seinen Hitler als Ahnungslosen auf die moderne Welt treffen und
hält ihr den nationalsozialistischen Spiegel vor. Damit kritisiert er vieles in
dieser Welt - auf der anderen Seite entkräftet er aber auch gerade
deutschnationale und Stammtischargumente zu vielen Themen, indem er sie gegen
Adolfs Weltsicht spiegeln lässt; besonders eindringlich gezeigt an Hitlers
Versuch, in einem Drogeriemarkt ein Rasiermesser zu kaufen, und seine
Überlegungen zum Funktionieren des Selbstbedienungssystems und der Einrichtung
von "Hartz IV". Jeder Kritiker des Sozialsystems in seinen Grundlagen sollte
sich die hier gezeigte Sicht eines Arbeitslosen zu Hitlers Zeiten sehr genau
anschauen, bevor er weiter prinzipiell für eine vollständige Abschaffung solcher
Systeme argumentiert.
Auch sonst gibt es allerlei Kritik an Politik, und Hitlers Gespräche mit dem
Leiter eine NPD-Stelle, Renate Künast und Sigmar Gabriel sind sicherlich Perlen
der Politsatire. Die Idee, dass die Grünen die idealen politischen
Bündnispartner einer neuen deutschnationalen Bewegung sein könnten, wird von
Tibur Vermes sehr überzeugend dargestellt - durch die verdrehte rhetorische
Arbeit des "Fremdenführers" selbst.
Und hier sind wir eigentlich beim in den Augen des Rezensenten wichtigsten
Aspekt dieses Buchs. Immer wieder kommt die Frage auf, wie Adolf Hitler die
Menschen für sich gewinnen konnte. Dadurch, dass Vermes in den Kopf des anno
2011 wieder erwachten Führers eintaucht und uns durchgängig die Welt durch seine
Wahrnehmungen spiegelt, zeigt er auch die Gedanken- und Argumentationsgänge, die
dabei zum Tragen gekommen sind, genauso, wie ein sehr sicherer Instinkt zur
Selbstinszenierung. Viele grundlegende rhetorische Techniken - und
bedingungsloser Fanatismus - werden in diesem Text vorgeführt und gerade in der
von Christoph Maria Herbst gelesen Hörbuchfassung auch ebenso eindringlich wie
unausweichlich demonstriert. Das Gefährliche daran kann sein, dass manche
Menschen womöglich anfangen zu glauben, was sie dort lesen oder hören, weil sie
nicht im Kopf behalten, dass hier Satire vorliegt - und eine Satire, die ihre
Angriffsziele alle sehr gut recherchiert hat. Insofern sollte man vielleicht das
Buch und seine medialen Ableger mit dem ganz besonders zeitgeistigen
Warnaufdruck "Vorsicht! Satire!" ausstatten ... Bezeichnend ...
Fazit:
Erschreckend gut - und erschreckend.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 10/2013)
Timur Vermes: "Er ist wieder da"
Lübbe Audio, 2012. Laufzeit ca. 411 Minuten (bearbeitete Fassung).
Sprecher: Christoph Maria Herbst.
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Timur Vermes wurde 1967 als Sohn einer Deutschen und eines 1956 geflohenen Ungarn geboren, studierte in Erlangen Geschichte und Politik und wurde dann Journalist. Er schrieb für die "Abendzeitung" und den Kölner "Express" und arbeitete für mehrere Magazine.