Tanja Kinkel: "Verführung"


Wie schon in "Das Spiel der Nachtigall", in dem Walther von der Vogelweide auf eine jüdische Ärztin trifft, lässt die Autorin hier sich zwei Lebensgeschichten neben- und aneinander entwickeln, nämlich jene von Giacomo Casanova und jene der Sängerin Angiola Calori, die zunächst ihre Karriere als angebliche Kastratin beginnt, weil es in vielen Kirchenstaaten nicht erlaubt ist, dass Frauen in den Kirchen oder auf den Bühnen singen - einer der Gründe, warum das Gesangskastratentum so eine Beliebtheit erfahren hatte..

Schnell eignet sie sich mit ihrem Lehrer und Geliebten große Fertigkeiten an und beginnt unter dem Namen Bellino Karriere als Kastrat zu machen - in einer fremden Familie, die sie anstelle ihres in Neapel verstorbenen Kastratensohns gleichen Namens aufnimmt und von ihrem Lehrer dafür bezahlt wird. In dieser Rolle trifft sie auf Reisen Giacomo Casanova, der sie sofort für eine Frau hält, da er sich unwiderstehlich zu ihr hingezogen fühlt, was ihn aber nicht von Bellinos "Schwestern" fernhält.
Zwischen Bellino/Angiola und Casanova entwickelt sich eine überaus wechselhafte Beziehung, die ihrer beider Leben stark beeinflussen soll. Denn nicht nur drängt die Begegnung Casanova aus dem von ihm zu diesem Zeitpunkt widerwillig bekleideten geistlichen Amt, sondern lässt die junge Frau auch an ihrer eigenen Karriereplanung zweifeln, was beide in Rimini wenig später beinahe das Leben kostet. Und auch spätere Begegnungen der Beiden sollen sie durchaus wieder in Lebensgefahr bringen.

Wie gewohnt bei Tanja Kinkels Romanen, ist die Zeitdarstellung in "Verführung" vortrefflich, und die Charaktere sind so glaubwürdig und interessant gezeichnet, dass man Schwierigkeiten hat, das Buch aus der Hand zu legen.
Das Wesen und die Hintergründe des Kastratentums werden von allen Seiten beleuchtet, weiters wird auch das Leben der armen sowie der reichen Menschen im Rokoko in Italien dargestellt, wobei sich die Autorin einer flüssig lesbaren Sprache bedient. Die Autorin lässt dem romantisierenden Leser nur wenige Illusionen und zeigt dabei gleichzeitig, dass Menschen, die fragwürdige Dinge aus Sachzwängen in sehr schwierigen Situationen tun, trotzdem "gute" Menschen sein können.

Fazit:
"Verführung" ist ein Roman, dem 200 Seiten mehr nichts ausgemacht hätten; sehr lesenswert und appetitanregend. Und womöglich das bisher erotischste Werk der Schriftstellerin.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 07/2013)


Tanja Kinkel: "Verführung"
Knaur, 2013. 475 Seiten.
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