Tanja Kinkel: "Das Spiel der Nachtigall"
Die
Ärztin Judith ist manchmal die Gegnerin Walthers von der
Vogelweide, manchmal seine Verbündete, und Beide sind
entschlossen, die Welt zu verändern
Die mittelalterliche Literatur ist in Deutschland vor allen Dingen den
Bildungsbürgern in Ansätzen bekannt und auch dabei
meistens nur zwei oder drei Autorennamen. Einer dieser Namen ist dann
aber sicherlich Walther von der Vogelweide. Über ihn selbst
als Person ist eigentlich vergleichsweise wenig gesichert bekannt,
insbesondere über seinen Geburtsort, den darum mehrere
Städte als den ihren reklamieren. Das Meiste über ihn
lässt sich wohl aus seiner umfänglichen politischen
Lyrik und
Liebeslyrik
herauslesen, und diese Quellen sowie deren Interpretationen hat Tanja
Kinkel genutzt, um den vorliegenden Roman zu schaffen. Eine
kurze Auswahlbibliografie am Ende des Buchs liefern da dem
interessierten Leser erste Ansätze zur eigenen Forschung.
Ausgehend von ihrer Beschäftigung mit Troubadouren und
Minnesängern in "Die Löwin von Aquitanien" (1991) hat
sich die 1969 in Bamberg geborene Autorin nun um die Entwicklung dieser
Kunstrichtung etwa hundert Jahre später gekümmert und
dafür erneut ausgiebig recherchiert. Dabei hat sie dann im
Roman Übertragungen der Texte Walthers von der Vogelweide aus
dem 19. Jahrhundert unserem heutigen Sprachgebrauch angepasst, so dass
gerade bei der politischen Dichtung die Bezüge zu den
Romaninhalten leichter nachvollziehbar sind.
Der Roman spielt gegen Ende des 12. und zu Anfang des 13. Jahrhunderts
und bezieht sich dabei auf die Kreuzzüge, auf die
Erbstreitigkeiten zwischen den Staufern und den Welfen, auf die Zeit,
in der Richard Löwenherz eine Geisel war, und wie sein Neffe
Otto später seinen Platz einnahm, was ihn - zumindest in
diesem Roman - für lange Zeit seines Lebens zu einem sehr
grausamen und harten Menschen machte. In dieser Gefangenschaft begegnet
ihm Walther von der Vogelweide, der Augenzeuge der Gefangennahme
Richards war, genauso, wie die jüdische
Ärztin Judith aus Köln, die gerade mit ihrem Vater
auf dem Weg nach Salerno ist, um dort in der einzigen Medizinschule
für Frauen ihre Ausbildung abzuschließen, wozu sie
ihren Vater sehr lange überreden musste.
In den folgenden Jahrzehnten werden die Beiden auf unterschiedliche Art
und Weise immer mehr in die politischen Ereignisse des
Großdeutschen Reiches und Europas hineingezogen und nehmen
nach den Vorgaben des Romans durch ihre Arbeit auch stark Einfluss
darauf.
Walthers neue Formen der Liebes- und Protestlyrik stellen in der
höfischen Dichtung eine eigene Revolution dar, und als eine
Ärztin auch für die Großen und
Mächtigen steht Judith immer im Brennpunkt, wo sie auch
aufgrund ihrer Religionsangehörigkeit wiederholt nur einen
halben Schritt vom Scheiterhaufen entfernt ist. Diese Judith ist zwar
eine reine Kunstfigur Kinkels, aber an ihr werden viele interessante
Momente des Lebens, besonders von Menschen an den Rändern der
Gesellschaft, verdeutlicht. Und das, ohne dabei wie Einschübe
zu wirken, um das Buch mit noch einem Thema zu füllen, wie das
bei historischen Romanen leider immer wieder vorkommt. Alle
Bezüge auf Krüppel, Homosexuelle, Prostituierte etc.
erscheinen sauber in die Handlung integriert und treiben diese in der
Regel auch voran.
"Das Spiel der Nachtigall" bietet viel Geschichte aus einer Zeit, in
der die Flächenausdehnung Deutschlands so groß war
wie nie zuvor und nie seitdem, und über die man in der Regel
als Nichthistoriker zu wenig weiß. Die Figuren sind
glaubwürdig und interessant gestaltet, so dass man in der Tat
Schwierigkeiten hat, den Roman während der Lektüre
beiseite zu legen.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 11/2011)
Tanja
Kinkel: "Das Spiel der Nachtigall"
Droemer, 2011. 924 Seiten.
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Digitalbuchausgabe:
Knaur ebook, 2011.
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Weitere Buchtipps:
Johannes
Fried, Olaf B. Rader: "Die Welt des Mittelalters.
Erinnerungsorte eines Jahrtausends"
Von Karl dem Großen bis zu Dante,
den Wikingern bis zu den Mongolen, den Erfindungen (die Brille zum
Beispiel oder die Kanonen) bis zu den ersten Universitäten,
der Goldenen Bulle bis zum Minnesang - in rund dreißig Essays
schildert dieser Band die reiche Welt des Mittelalters, was in ihr
geschah und warum sich unsere Erinnerung daran so oft verwandelt hat,
vor allem aber erzählt es uns wie das Mittelalter die Welt von
heute unendlich vielfältig geprägt hat. Kein anderes
Zeitalter ist so beliebt bei den Lesern historischer Romane und
zugleich so verdunkelt durch Klischees und Vorurteile wie das
Jahrtausend des Mittelalters mit seinen Rittern und Burgen, Kathedralen
und Klöstern, Kreuzzügen und Fabelwesen. Doch nicht
wenig von der historischen Wahrheit ist auf dem langen Weg zu den
Erinnerungsorten von heute abhanden gekommen oder durch fantasievolle
Legenden und politisch nützliche Erfindungen ersetzt worden.
Dieser grandiose Band ist ein einzigartiges Lesebuch zur Geschichte des
Mittelalters - geschrieben von den besten Mediävisten unserer
Zeit. (C.H. Beck)
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Wolfgang Ernst:
"Beschwörungen und Segen. Angewandte Psychotherapie im
Mittelalter"
Im
Mittelalter spielten magische Sprüche, Segensformeln
und Beschwörungen eine überragende Rolle im
Alltagsleben der Menschen. Dies belegt eine Fülle von Bild-
und Textzeugnissen. Die wichtigsten und prägnantesten
mittelalterlichen Beschwörungen und Heilsegen werden im
vorliegenden Buch erstmals aus ärztlicher Sicht dokumentiert
und erläutert. Dabei sind sowohl ihre historischen Wurzeln als
auch das kulturelle Umfeld ihres einstigen Gebrauchs detailliert
dargestellt. Anhand einer der größten privaten
Textsammlungen verfolgt der Autor ihre Spuren bis in die Neuzeit. In
Überwindung bisheriger Theorien von Magie als archaischer
Ordnungssuche oder als Vorstellungen von Obskurität und
Aberglaube werden die im Mittelalter geübten verbalen
Kriseninterventionen vielfach als psychosomatische Begleitinstrumente
von praktischer Notfalltherapie verstanden und modellhaft mit modernen
neurobiologischen Forschungsergebnissen verglichen. (Böhlau)
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René Brugger, Kristin Langos
(Hrsg.): "Radikalität. Antike und Mittelalter.
Religiöse, politische und künstlerische Radikalismen
in Geschichte und Gegenwart"
Wer oder was ist "radikal"? Radikalität wird im
alltäglichen Sprachgebrauch häufig negativ
konnotiert. Dem ursprünglichen Wortsinn nach bedeutet
"radikal" (lat. radix - Wurzel) jedoch, dass eine Idee oder eine Sache
an der Wurzel gefasst wird, indem sie von Grund auf neu gedacht oder
auf ihre Wurzeln zurückgeführt wird. Die
Wintervortragsreihe der Katholischen Universität
Eichstätt-Ingolstadt 2009/2011 untersucht in ihrem derzeit
aktuellen dreisemestrigen Zyklus "Radikalität.
Religiöse, politische und künstlerische Radikalismen
in Geschichte und Gegenwart" unterschiedliche Ausprägungen
"radikaler" Denk- und Handlungsweisen von der Antike bis zur Gegenwart.
Im vorliegenden ersten Band werden religiöse, politische und
künstlerische Bewegungen aus den Epochen Antike und
Mittelalter untersucht, die sich selber als radikal verstanden oder als
solche interpretiert werden können.
K. Döring: Der antike Kynismus, G. Stemberger: Radikalisierung
der Religion - Qumran und die jüdische Apokalyptik, H.
Lichtenberger: Martyrium im hellenistischen Judentum, K. L. Noethlichs:
Spätantike Religionspolitik - eine Form von
religiösem Radikalismus?, H. G. Thümmel: Der
byzantinische Bilderstreit, J. Wollasch: Die Zeit der
Mönchspäpste, A. Müller: Symbolische
Darstellungsformen von Radikalität im frühen
Franziskanertum, K. Niehr: Radikale Kunst - Passio und Compassio in
Skulptur und Malerei des Mittelalters, P. Blickle: Der Bauernkrieg -
Die Revolution des gemeinen Mannes. (Königshausen &
Neumann)
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Loris
Sturlese (Hrsg.) unter redaktioneller Mitarbeit von Katrin Bauer:
"Mantik, Schicksal und Freiheit im Mittelalter"
Seit jeher haben Menschen ein reges Interesse daran, mehr über
ihre Zukunft zu erfahren, wobei immer auch die Frage nach Schicksal und
Freiheit des Individuums gestellt wird. Philosophen, Historiker und
Philologen untersuchen in diesem Band zum Einen verschiedene mantische
Praktiken des Mittelalters auf deren theoretische Grundlagen und ihre
Ausführungen. Zum Anderen nehmen sie eine Einbettung
mantischer Vorstellungen in die zeitgenössischen theoretischen
Modelle exemplarisch an verschiedenen großen Denkern und
Denkschulen unter philosophie-, theologie- und
wissenschaftsgeschichtlichen Gesichtspunkten vor. (Böhlau)
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