Robert Löhr: "Das Erlkönig-Manöver"

Sprecher: Helge Heynold
(Hörbuchrezension)


Sechs deutsche Dichter auf Agentenmission gegen Napoleon

Die vier Musketiere waren gestern; heute hauen, stechen und schießen sich Goethe, Schiller, Kleist und Humboldt durch die Wälder. Goethe und Schiller? Gar mancher mag jetzt kopfschüttelnd zweifeln. Stehen deren seriöse Namen doch eher für Geistesgröße, zuweilen auch für zähe Deutsch- und Lektüreschulstunden. Doch weit gefehlt, Robert Löhr macht aus den Stücken der großen deutschen Klassiker, aus "Werther", "Zerbrochenem Krug", "Räubern", "Kabale und Liebe", "Faust" etc. einen spritzigen, spannenden Abenteuer-Historienroman voller Respektlosigkeit und schillerndem Witz.

Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Achim von Arnim, Bettine Brentano sowie Heinrich von Kleist und Alexander von Humboldt versuchen im Jahre 1805 gemeinsam den wider Erwarten lebend aufgetauchten französischen Thronfolger - Luis Charles, den Sohn Marie Antoinettes und Ludwigs des XVI. - aus dem französisch besetzten Mainz zu befreien, um ihn vor seinem ärgsten Gegner - Napoleon Bonaparte - in Sicherheit sowie auf den rechtmäßigen Thron von Frankreich zu bringen. Der Auftrag hat es in sich. Zahlreiche Komplikationen und nicht vorhersehbare Implikationen gestalten das Unterfangen zu einer wilden Verfolgungsjagd zwischen Bonapartisten und Royalisten und eben unseren sechs glorreichen "Halunken" durch "teutsche Landen" bis tief hinein in den Kyffhäuser.

Alles was ein klassisches Mantel- und Degenabenteuer enthält, kommt auch im "Erlkönig-Manöver" vor: Schießereien (Goethe mit vorgehaltener Pistole!), Brückensprengungen mit jeder Menge Schießpulver (Schiller ertrinkt dabei fast im Rhein), Intrigen und auch Liebe ("Hallodri" Goethe wird von Bettine von Brentano angeschmachtet und wird schwach). Die vermeintliche Unglaubwürdigkeit wird jedoch durch ironische Fiktionalität und eine spannend-intelligente Präsentation gemindert. Und letztendlich findet alles in den tatsächlichen historisch-dokumentarischen Rahmen zurück.

Man sollte meinen, dass solcherart Unterfangen von vornherein zum Scheitern verurteilt ist: Die Ikonen der deutschen Literatur als Protagonisten in Klamauk und Kitsch, nicht als Geistesgrößen, sondern als Männer der Faust?
Doch Löhr hat das scheinbar Unmögliche möglich gemacht. Mit bemerkenswerter Intelligenz umschifft er die Klippen des Trivialen und Billigen souverän, platziert die Helden in solides politisch-gesellschaftliches und literarisches Terrain und schafft einen hinreißenden historischen Roman aus der Zeit der Weimarer Klassik und Romantik mit wunderbar intelligentem Humor.

"Sie erschießen mich nicht", sagte Goethe zum Lieutenant.
"Ach nein? Und warum nicht?"
"Weil ich Schriftsteller bin und Napoleon, der meine Bücher hoch schätzt, Ihnen diesen Mord nie vergeben würde."
"Welche Bücher?"
"Zum Beispiel 'Die Leiden des jungen Werthers'. Er hat es siebenmal gelesen."
"Wenn der 'Werther' von Ihnen ist, muss ich Sie umso mehr erschießen."


Als besonderer Clou lässt der Autor seine Helden in Kommentaren zum Geschehen häufig aus ihren eigenen Werken zitieren. (Goethe zu Kleist: "Heinrich, mir graut's vor dir."). Deren Entdeckung dürfte nicht nur Kennern der klassischen Literatur eine wahre Freude sein.

Sprache und Duktus hat Löhr optimal dem Tenor der damaligen Zeit angepasst. Seine Charaktere wirken authentisch und adäquat. Diese weiß der Schauspieler, Regisseur und Redakteur beim "Hessischen Rundfunk" Helge Heynold mit ausgezeichneter Modulierung herauszuarbeiten und jedem Dichter auf seine Art gerecht zu werden.
Da ist der alte Geheimrat - der weise Spötter, der auch einmal deftig werden kann -, dem er eine kratzig souveräne, väterliche Intonation leiht. Schiller wiederum - der kühne Held - artikuliert warm und sanft, zuweilen auch pathetisch-couragiert. Dem ungestüm-verwegenen, hitzigen Jungspund und Franzosenhasser Kleist verpasst er wiederum eine reizbar-aufbrausende Stimme. Blieben nur noch der stets preußisch-patriotische Zweifler Achim von Arnim, die kapriziöse und besonnene schöne Bettine von Brentano und der weltkundige, kühle und janusköpfige Alexander von Humboldt, die Heynold hervorragend intoniert.
Stets wartet er mit einer dem Stil des Buches und der jeweiligen Situation gerechten, vollkommen authentischen und motivierten Sprechweise auf. Vor allem durch seinen Vortrag ist eine äußerst gelungene Hörbuchfassung entstanden.

Fazit:
"Das Erlkönig-Manöver" ist ein intelligentes, hochgeistiges und informatives, gleichzeitig spannendes, erfrischendes und hochamüsantes Hörbuch, eine Klassiker-Klamotte aus Fiktion und wahrer Historie - ein Stück feinster Unterhaltung.
Eine Empfehlung geht an alle Liebhaber intelligenter Historienromane, aber auch an jene, denen die Weimarer Klassik und die Romantik am Herzen liegen oder die bis dato keinen Zugang dazu gefunden haben. Denn hier können sie die sechs großen Dichter auf eine andere, mythenzertrümmernde Art und Weise kennenlernen, sicherlich nicht ganz so, wie sie wirklich waren, aber hier werden sie wieder greifbar.

(Heike Geilen; 08/2008)


Robert Löhr: "Das Erlkönig-Manöver"
Sprecher: Helge Heynold. Autorisierte Hörfassung.
Steinbach Sprechende Bücher, 2008. 6 CDs; Spieldauer ca. 452 Minuten.
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Buchausgabe:
Piper.
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Robert Löhr, geboren 1973, ausgebildeter Journalist und Drehbuchautor, verfasste nach zahlreichen Filmskripten und Theaterstücken seinen ersten Roman "Der Schachautomat", der in über zwanzig Sprachen übersetzt wurde. "Das Erlkönig-Manöver" ist sein zweiter Roman. Lien zu Robert Löhrs Netzpräsenz: https://www.robert-loehr.de/.

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