Louis Begley: "Die ungeheuere Welt, die ich im Kopfe habe"

Über Franz Kafka


Zum 125. Geburtstag des Autors Franz Kafka im Juli 2008 häufen sich Neuauflagen und neue Bücher, die sich mit diesem Autor und seinem Werk befassen. Mit dabei ist auch "Die ungeheuere Welt, die ich im Kopfe habe" von Louis Begley, eine Biografie, die im Juni 2008 als gebundene Ausgabe bei der DVA erschienen ist.

Begley als Autor dieser Biografie macht selbige fast schon automatisch zu etwas Besonderem. Wie Kafka ist auch Begley Jurist, Autor und Jude, kann sich also - so ist anzunehmen - in Kafkas Gedankengebäude und Gefühlswelt vermutlich eher zurecht finden als Andere.

Die Biografie gliedert sich in fünf Teile mit unterschiedlichen Schwerpunkten, beispielsweise Jugend, emotionales und sexuelles Erleben sowie Kafkas Bezug zum Jüdischen. Hierbei sind die einzelnen Kapitel jedoch nicht klar voneinander zu trennen, sondern das Buch sollte klassisch von vorn bis hinten durchgelesen werden, um einen Zugang zur Biografie zu bekommen.

Bekanntschaften, Eindrücke, Erfahrungen, Vorstellungen und Anderes wiederholen sich bisweilen, werden in den einzelnen Kapiteln dann jedoch aus einer jeweils anderen Perspektive oder unter Bezugnahme auf andere Hintergründe aufgegriffen, so dass beim Leser keineswegs Langeweile aufkommen dürfte.

Die letztliche "Ausbeute" an Wissen über Kafkas Leben und Werk ist im Endeffekt allerdings ein wenig gering ausgefallen. Auch, wenn man den sprichwörtlichen Finger nicht unbedingt darauf legen kann, so empfindet man doch, dass etwas fehlt.

Begley nutzte beim Verfassen vor allem Zitate aus Kafkas Tagebüchern und Briefen, um die Authentizität einiger Behauptungen zu belegen und näher beleuchten zu können, die im Werbetext angesprochene Kontrastierung zwischen Kafkas eigenen Worten und Aussagen von Zeitgenossen findet allerdings kaum statt, da Kafka selbst am häufigsten zu Wort kommt. Kontrastreich hingegen ist, dass Begley eingangs den durch Kafkas Freund Max Brod erhaltenen Schriften Kafkas verständlicherweise ambivalent gegenübersteht (Kafka selbst wünschte die Vernichtung sämtlicher Aufzeichnungen, Briefe, Tagebücher und nicht durch ihn selbst zur Veröffentlichung freigegebener Werke, nach seinem Tod sammelte Brod diese jedoch und veröffentlichte sie nach und nach), sich eben jener Hinterlassenschaften jedoch in erster Linie bediente, um diese Biografie zu verfassen.

Das Buch enthält nicht wenige schwarzweiße Fotografien von Kafka und Personen aus Kafkas Leben. Diese wurden nicht gebündelt abgedruckt, sondern an jenen Stellen, an denen eine Person zum ersten Mal näher betrachtet wird, was zum Einen sehr auflockernd wirkt, des Weiteren jedoch auch ständiges Hin- und Herblättern vermeidet. Ebenfalls positiv zu werten ist, dass bei diesen Fotografien auch Freunde und diverse Liebschaften Kafkas abgebildet sind, so dass das Leben Kafkas eine höhere Plastizität für den Leser gewinnen kann.

Franz Kafka erhält in Begleys Biografie einen nachvollziehbaren Charakter. Begley ist es wunderbar gelungen, Stärken und Schwächen der Person darzustellen, ohne eine Seite dabei mehr zu gewichten. Kurzum ist Begley ein durchaus objektiver Blick auf den Schriftsteller gelungen, bei dem er Kafkas direktes und indirektes Umfeld mit einbezogen hat. So erfährt man nicht nur von ersten Liebschaften mitsamt Foto, sondern erhält auch eine in den Text eingebundene Übersicht über Zeitgenossen Kafkas, zu Lebzeiten besonders bekannte Musik, Theaterstücke und derlei mehr, auch wenn Kafkas Meinung zu diesen kulturellen Hintergründen eher im Dunkeln bleibt.

Begleys Biografie ist kurzweilig und entsprechend flüssig zu lesen, auch wenn ein paar Zitate weniger durchaus wünschenswert gewesen wären. Zahlreiche Abbildungen lockern das Buch auf, und Begley ist auch der Rundumblick zu Kafkas Zeit und Umfeld gelungen. Für einen Überblick über Kafka lohnt sich diese Biografie in jedem Fall, wer tiefergehende Informationen erwartet, wird am Ende der Lektüre jedoch vermutlich noch das Eine oder Andere vermissen.

(Tanja Thome; 07/2008)


Louis Begley: "Die ungeheuere Welt, die ich im Kopfe habe. Über Franz Kafka"
(Originaltitel "The Tremendous World I Have Inside My Head")
Übersetzt von Christa Krüger.
DVA, 2008. 336 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
Pantheon, 2009.

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Louis Begley wurde 1933 als Sohn polnischer Juden in einer kleinen Stadt in der heutigen Ukraine geboren. Er entging dem Holocaust und siedelte 1947 in die USA über, wo er Jura studierte. Für sein Werk erhielt Begley zahlreiche Auszeichnungen, darunter den "PEN/Ernest Hemingway Foundation Award", den "American Academy of Letters Award" sowie den "Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung".

Zwei weitere Bücher des Autors:

"Erinnerung an eine Ehe"

Philip, ein erfolgreicher Schriftsteller, ist aus seiner Wahlheimat Paris zurück nach New York gezogen. Er hat alles verloren, was ihm lieb war, seine Frau und seine Tochter, doch nach der Trauer kam die Resignation und mit ihr auch eine neue Art von Leichtigkeit.
Philip lebt in seinen Erinnerungen, ein glücklicher Witwer, dem Ambitionen so fremd geworden sind wie Ängste. Dann begegnet er Lucy, einer Jugendfreundin - Lucy, die schöne Erbin, die lebenslustige und frivole junge Frau, mit der er einst mondäne Partys feierte.
Jetzt ist sie eine gehässige alte Dame, die voller Verbitterung über ihre Ehe mit Thomas Snow spricht, einem sozialen Aufsteiger, von dem sie sagt, dass er ihr Leben zerstört habe. Und Philip, der ihr zunächst nur widerwillig zuhört, lässt sich infizieren von der Geschichte, die immer mehr Fragen aufwirft. Er beginnt, der Sache auf den Grund zu gehen, in der Vergangenheit zu forschen. Dabei darf er sich, anders als in seiner Jugend, nicht in Lucys Bann ziehen lassen.
Bankiers und Anwälte, holzgetäfelte Raucherzimmer und Sommerhäuser in den Hamptons: Erinnerungen an eine Ehe ist ein konzentriertes, temperamentvolles Sittendrama um Liebe, Kränkung und Verrat, das Porträt einer widerspenstigen Frau und einer ganzen Gesellschaftsschicht. (Suhrkamp)
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"Schmidts Einsicht"
Schmidt hat alles: Nach seiner vorzeitigen Pensionierung ist der frühere Anwalt Direktor einer Stiftung; eine Aufgabe, die ihn auf Reisen um die Welt schickt. Seine Hoffnung auf ein Enkelkind scheint sich zu erfüllen, die Frauen liegen ihm nach wie vor zu Füßen. Einerseits.
Andererseits hat ihn Carrie, seine jugendliche Freundin, wegen eines Anderen, Jüngeren verlassen. Jetzt erwartet sie ein Kind und weiß nicht, wer von beiden der Vater ist. Auch Schmidts Tochter Charlotte zieht sich immer mehr zurück, in ihre eigene Welt aus Teilnahmslosigkeit und Hass. Dabei droht sie nicht nur, sich selbst zu zerstören. Einziger Lichtblick ist Alice, eine Frau, die er vor Jahren bewundert hat, und die plötzlich wieder in sein Leben tritt. Doch haben die beiden eine Vergangenheit, die eine gemeinsame Zukunft nicht ganz leicht macht ...
Wieder schießt Schmidt nicht selten übers Ziel hinaus und steht sich oftmals selbst im Weg. Was, wenn nach all den Jahren der Liebe und der Einsamkeit die größte Herausforderung noch vor ihm liegt: Was, wenn es an der Zeit ist, sich zu ändern?
Mit seiner ganz eigenen Leichtigkeit erzählt Begley, der große Romancier, von Zeiten des Aufbruchs und der Angst, loszulassen und dabei vollends zu verschwinden. (Suhrkamp)
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Weitere Buchtipps:

Christa Krüger: "Louis Begley"

Leben, Werk, Wirkung. (Suhrkamp)
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"Franz Kafka. Sämtliche Werke"
Mit einem Nachwort von Peter Höfle.
Ein Jugendlicher, der sich in einem hyperrealistisch-fantastischen Amerika durchschlagen muss; ein Bankangestellter, der sich in einen unerbittlichen Prozess verwickeln lässt; ein Landvermesser, der auf seinem Weg ins Schloss nicht nur im Schnee einer magischen Landschaft steckenbleibt: In seinen Romanen genauso wie in seinen Erzählungen und Aphorismen, die hier neben unbekannteren Texten komplett abgedruckt werden, hat Franz Kafka die Physiognomie des 20. Jahrhunderts entworfen.
So kompakt wie in diesem Buch wurde Kafkas Welt noch nie präsentiert: Von der "Beschreibung eines Kampfes" über das "Urteil", die "Verwandlung" und den "Brief an den Vater" bis zu den Erzählungen des "Hungerkünstler"-Bandes enthält dieses Buch das Gesamtwerk eines Autors, der die literarische Moderne geprägt hat wie kein anderer. (Suhrkamp Quarto)
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