Ja, das Leben ist durch mich durchgegangen, die Männer sind zu
Tausenden in meinem Bett, in meinem
Mund
gewesen, das habe ich nicht geträumt, das Sperma auf mir, auf
meinem Gesicht, in meinen Augen ist nicht erfunden, das habe ich alles
gesehen, und es geht gerade so weiter, Männerzipfel an jedem
oder fast jedem Tag, nur ihre Schwänze, Schwanzspitzen, die
aus irgendeinem Grund erregt sind, meinetwegen sind sie es jedenfalls
nicht, wegen mir haben sie nie einen Steifen gehabt, nur wegen meiner
Hurerei, weil ich dazu da bin, diese Schwänze zu lutschen, sie
immer wieder zu lutschen, hintereinander weg, wie sie eben kommen, als
würde ich sie endgültig aussaugen, ein für
allemal aus ihnen herauskitzeln, was sie zu sagen haben, ich jedenfalls
habe mit diesen Ergüssen nichts zu tun, ebensogut
könnte es eine andere sein, es müsste nicht einmal
eine Hure sein, eine aufblasbare Puppe täte es auch, ein
fixierter Bildausschnitt, der Fluchtpunkt eines Mundes, der sich
über ihnen öffnet, während sie sich an der
Vorstellung aufgeilen, was sie zum Orgasmus bringt, während
sie sich in der Bettwäsche verausgaben, dabei hin und wieder
ein verzerrtes Gesicht, steife Brustwarzen und eine feuchte, zuckende
Scheide zutage fördern, während sie dem Glauben
anhängen, diese Frauenhäppchen seien nur für
sie bestimmt und sie seien die einzigen, die sie aus der Reserve locken
könnten, die einzigen, denen es gelänge, sie ihrer
Lust gefügig zu machen, der Lust daran, sie gefügig
zu sehen.
Dabei ist es nicht mein Leben, das mich bewegt, sondern immer das der
anderen, jedesmal, wenn mein Körper in Fahrt kommt, hat ein
anderer das Kommando über ihn, treibt ihn an, befiehlt ihm,
gefügig zu sein, in Hündchenstellung hinzuknien oder
weit gespreizt auf dem Rücken zu liegen, als Resonanzboden zu
dienen, und die Töne aus meinem Mund stammen nicht von mir,
das weiß ich genau, sie erfüllen nur eine Erwartung,
den Wunsch nach meiner
Stimme, die
scharf macht, nach meiner Scheide, die glucksen muss, damit
die Schwänze in sie eintauchen, damit sie in dem
Stöhnen einer läufigen Hündin untergehen,
das ich extra in ihre Ohrmuscheln hauche, und manchmal macht es mir
Spaß, ich könnte nicht das Gegenteil behaupten, ich
habe immer Spaß, wenn meine Stimme mich überzeugt,
wenn hie und da etwas Natur, etwas Spontaneität durch meine
Schreie dringt, ein Lied, das sich mit so etwas wie einem gut
geführten Stoß trifft, ein Gedanke im richtigen
Moment, das Gefühl, aus gutem Grund dazusein, für
etwas gut zu sein, für meine Väter, meine
Professoren, alle, die Lebensart, Lebenssinn und Lebensunterhalt
für mich verkörpern, dazusein für die
Wolllust meiner Propheten, die durch meinen Hurenkörper geht
und mir meine Wolllust zurückgibt.
Ich könnte nicht sagen, was diese Männer sehen, wenn
sie mich ansehen, ich suche es jeden Tag im
Spiegel,
ohne es zu finden, doch was sie sehen, bin nicht ich, kann ich nicht
sein, das kann nur eine andere sein, eine undeutliche, sich der Farbe
der Wände anpassende Form, und noch weniger weiß
ich, ob ich schön bin, und wenn, wie schön ich bin,
ob ich noch jung bin oder schon zu alt, zweifellos sieht man in mir
eine Frau im wahrsten Sinn mit ausgeprägten Brüsten,
mit Kurven und der Gabe, die Augen niederzuschlagen, aber eine Frau ist
immer nur Frau im Vergleich zu einer anderen, eine Frau unter anderen,
und wenn sie mich vögeln, vögeln sie also ein ganzes
Heer von Frauen, und in diesem Frauensortiment gehe ich unter, finde
ich nur als gefallenes Mädchen Platz.
In der Zeit, in der ich mich dem hingebe, der dafür bezahlt,
beschäftige ich mich damit, was mich zur Frau macht, mit jener
Weiblichkeit, die meinen Ruf begründet, etwas anderes mache
ich sowieso nicht, auf diesem Gebiet habe ich wirklich Erfolg, das
liegt weniger an bestimmten Praktiken oder an einer Technik als an
meiner grenzenlosen Anpassungsfähigkeit, die mich verschlingt,
wenn nicht Stöße und Liebkosungen sie
stützen, ja ich behaupte, Weiblichkeit ist
Anpassungsfähigkeit, die kein Ende findet und die
nachlässt, wenn sie nichts für sich selbst tut, und
ob ich mich fürchte, freue oder ärgere, immer wieder,
überall, in den unterschiedlichsten Situationen, breche ich
nur deshalb ein, weil ich selbst im Sitzen oder Liegen nie
anpassungsfähig genug sein werde, um wieder Boden unter die
Füße zu bekommen, ich müsste schon vom
Stuhl kippen, aus dem Bett fallen, der Boden müsste sich
auftun, damit ich unendlich tief und immer tiefer in die Erde
hinabstürzte und bei diesem Sturz Arme, Beine, Kopf und alle
Körperteile hinter mir ließe, deren Verschlingungen
mich zur Frau schnüren, so dass schließlich nur ein
ausgewickeltes Prinzessinnenherz übrigbliebe, ein kleines
Königreich, das seiner Flugbahn folgt in der Hoffnung, in
einem Himmel zu landen, den Männer nicht kennen. Und schon
stelle ich mir vor, dass dieses Herz nur von sich aus und für
sich allein pocht, ohne irgend etwas am Laufen zu halten, ein
nutzloses, aber erfülltes Herz.
Ein paar Tage genügten, um eine Gewohnheit daraus zu machen,
ein paar Monate Herumhuren mit Herrn Jedermann in einem
möblierten Zimmer, das zur Doctor Penfield Avenue hinausgeht,
wo ich jeden oder fast jeden Vormittag mit zwei oder drei Freiern
zugange bin, um zu verstehen, dass es vorbei ist, dass das Leben nie
mehr sein würde, was es einmal war, ein einziges Mal hat
genügt, um da hineinzugeraten, um immer wieder dem Schwanz auf
die Sprünge zu helfen, auf den ich hier in diesem Zimmer
stoße, den kleinen Aufziehsoldaten, der sich nicht von den
Wänden beirren lässt, der tapfer weitermarschiert,
bis er tot ist, auch wenn er zur Seite fällt, die
Füße ins Leere streckt, aber mit was für
einer Beharrlichkeit und wie sehr von sich überzeugt, und
während meine Tränen ohne Trauer auf die
Schwänze fallen, die sich an meinen Brüsten reiben
und auf den Orgasmus warten, geht das Geschnatter in meinem Kopf immer
weiter, sogar noch danach, wenn ich das herbe Sperma spüre,
das ich nicht anders auffangen kann als mit dem Mund,
schließlich muss ich meine Arbeit machen, der Erguss
kündigt sich meistens durch nichts an, sie stellen sich tot,
sie tun so, als würden sie nichts mehr erwarten, als
würden sie es um des längeren Vergnügen
willen zurückhalten, und trotzdem passiert es immer in diesen
Todesmomenten, geräuschlos und ohne Stöße,
zu meiner großen Freude, weil es dann vorbei ist, Schluss
damit, Schluss mit der Gymnastik, der Schauspielerei, den
Tränen, der Anschmiegsamkeit, manchmal wollen sie es dann noch
ein zweites Mal tun, mich vorzugsweise in den Arsch ficken, und zur
Vorbereitung streicheln sie mich mit den Fingerspitzen oder mit der
Zunge, und mir bleibt nichts anderes übrig als nachzugeben,
denn weder die Aussicht auf den Schmerz noch die auf den Ekel
könnte sie in ihrer Überzeugung erschüttern,
dass ich mein Vergnügen dabei haben würde, ich sage
nein, und sie sagen ja, ich sage, es tut weh, und sie sagen, ich bin
ganz vorsichtig, du wirst sehen, es ist gut, ja wirklich, es ist gut,
es ist ein sanfter Schmerz, und was zählt schon das bisschen
Schmerz gegenüber ihrem Genuss, was heißt schon
Schmerz, wenn man eine wie ich ist, was heißt hier wollen,
denken, entscheiden, wenn man sich an jeden Hals, an jeden Schwanz
hängt, die Beine ins Leere gestreckt, den Körper von
jener Kraft fortgerissen, die mich zugleich am Leben hält und
umbringt, und wenn ich außer im Bett, außer wenn es
von mir gefordert wird, weder schreien noch herumfuchteln kann, so
werden vielleicht meine Worte, wird dieser Aufschrei in Worten sie
treffen können, sie und die ganze Welt, auch die Frauen, denn
bei meiner Hurerei verabscheue ich die ganze Welt, meinen Vater, meine
Mutter und meine Kinder, wenn ich welche hätte, wenn ich
welche haben könnte, fast hätte ich vergessen, dass
ich unfruchtbar bin, ausgebrannt, und dass alles Sperma der Welt nicht
den geringsten Funken Leben mehr in mir erwecken kann.
(Aus
dem Roman "Hure" von Nelly Arcan.
Aus dem Französischen übersetzt von Holger Fock und
Sabine Müller.)
"Hure"
ist die Geschichte einer unglaublichen Doppelexistenz: Eine junge Frau
flieht vor der beklemmenden Enge ihres Elternhauses in der kanadischen
Provinz in die Großstadt. Dort beginnt die
Literaturstudentin, ihr
Geld als Prostituierte zu verdienen, und steigt
- schön und intelligent - zur begehrten Edel-Hure auf. Die
Freier sind gutsituierte Männer, die ihre Professoren sein
könnten oder ihr Vater. Ihnen gibt sie sich mit einer Mischung
aus Abscheu und Faszination hin, es geht um Macht und Unterwerfung. Tag
für Tag schlüpft sie in die Rolle von "Cynthia", die
sich der männlichen
Begierde ausliefert, im selben
Maße, wie sich ihre Mutter dieser Begierde verweigert hat.
Von der Mutter, die für die Erzählerin eine "Larve"
bleibt, weil sie nie aus ihrem Kokon geschlüpft ist, und vom
Vater, der sich in seine Religiosität verschlossen hat,
versucht sich die junge Frau zu emanzipieren. Das Leben wird zum
Befreiungskampf, der so lange über den eigenen Körper
ausgefochten wird, bis "Cynthia" ein anderes Mittel findet: die Sprache.
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