Mario Vargas Llosa: "Das böse Mädchen"


Der Trottel und das Biest

Tragik ist eine hinterhältige Angelegenheit, vor allem weil man meint, ihr nicht entrinnen zu können. Im Falle des Ich-Erzählers Ricardo ist das eine lebenslange Passion in des Wortes doppelter Bedeutung: ein Leidensweg aus Leidenschaft - aus Liebe, wie er meint. Ab dem 15. Lebensjahr ist er "verliebt wie ein Mondkalb", in eine Frau, die ihn über 40 Jahre lang zum Trottel macht. Auf dem historischen Hintergrund der peruanischen und auch der kubanischen Revolution führt uns Llosa dieses eigentlich unsentimentale Liebesdrama vor: Ricardo ist einer Frau verfallen, die immer wieder kommt und geht, wie es ihr in den Kram passt.

Von diesem weiblichen Biest erfahren wir nie ihren richtigen Namen, sie wechselt ihre Identitäten nach Belieben. Immer wieder ist sie mit älteren reichen Herren zusammen, bis bei denen nichts mehr zu holen ist - dann kehrt sie wieder zu Ricardo zurück, der sie händeringend und auf Knien jahrzehntelang anfleht, bei ihm zu bleiben und ihn zu heiraten. Aber für das "böse Mädchen" ist er für eine monogame Dauerbeziehung nicht reich und erfolgreich genug. Er ist als Dolmetscher respektive Übersetzer aus Peru nach Paris gekommen, zeitweise lebt er in London, später in Madrid. Sie gelangt sogar bis nach Japan, wohin er ihr ebenso folgt. Was für ihn Liebe ist, ist für sie nur Geschlechtsakt. Sie hat der Reihe nach einen reichen Franzosen, Engländer, Japaner - bis es ihr richtig dreckig geht. Sie lässt sich auf Ricardos Kosten wieder hochpäppeln - um ihn schließlich zu heiraten, damit sie die französische Staatsbürgerschaft erhält - und um ihn nach wenigen Monaten wieder zu veräppeln. Als sie am Schluss endgültig zu ihm zurückkehrt, ist sie hoffnungslos krebskrank und stirbt in seinen Armen.

Was für eine Schmonzette! Das "böse Mädchen" artikuliert am Ende sogar noch makabren Sarkasmus: "Gib wenigstens zu, dass ich dir das Thema für einen Roman geliefert habe. Nicht wahr, guter Junge?" Das ist die humorigste Pointe, die sich Llosa gönnt. Schwerpunktmäßig liefert er uns ein Melodram, wie es schnulziger kaum sein könnte - so macht man eigentlich Fernsehunterhaltung. Freilich mengen sich hier Varianten des 'Sie-konnten-zusammen-nicht-kommen'-Motivs und des zeitgeschichtlichen Hintergrunds. Andererseits bekommen wir die Extremform des von Madonna besungenen 'Material Girl' vorgeführt - berechnend und sich ihrer Wirkung auf Männer voll bewusst.

Und worin besteht die Tragödie? Tragisch ist ja nur etwas Unabänderliches - wenn man immer unterliegt, egal wie man sich entscheidet. Ricardo ist dieser spezifischen Frau so sehr verfallen, dass er vor lauter Verzweiflung sogar daran denkt, sie zu erwürgen und selbst von der Brücke zu springen. Gibt es in der libidinösen Gemütsverwirrung tatsächlich keinen Ausweg?! Es scheint so, dass sich Männer eher zum Trottel machen, als dem skrupellosen Biest gehörig die Leviten zu lesen. Dennoch: dies ist kein Niveaustoff für Suhrkamp - so etwas sollte man "RTL" oder der "Yellow Press" überlassen. Ein Musicalstoff vielleicht noch - aber keine große, substanzielle Literatur! (Auch wenn MRR einmal meinte, die Liebe sei das Hauptthema der Literatur).

(KS; 09/2006)


Mario Vargas Llosa: "Das böse Mädchen"
(Originaltitel "(Travesuras de la niña mala")
Aus dem Spanischen von Elke Wehr.
Suhrkamp, 2006. 396 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Ein weiteres Buch des Autors:

"Der Traum des Kelten"

Einsamkeit und das Beharren des einzelnen gegen die Zumutungen des Kollektivs, der Kampf für die Entrechteten, die Grausamkeit des Weltkriegs, der Verrat an der Liebe, eine Welt in Flammen. "Der Traum des Kelten" versammelt die Motive der erzählerischen Welt von Mario Vargas Llosa, der Literatur mit dem Feuer gleichsetzt.
London, im August 1916, in der Todeszelle des Pentonville Prison: Roger Casement erinnert sich an die Jahre in Afrika, als er im Auftrag der britischen Regierung einen Bericht über die Menschenrechtsverletzungen, die Ausbeutung der schwarzen Bevölkerung und die Korruption im damals belgischen Kongo verfasste. Der Bericht hatte unmittelbar politische Folgen. Casement denkt weiter zurück an seine Kindheit in Ulster, an die Zerrissenheit seiner Herkunft mit einem streng protestantischen Vater und einer tiefgläubigen katholischen Mutter. 1906 erhalt Casement erneut einen humanitären Auftrag, um die Gräuel einer mit britischem Kapital in Brasilien tätigen Firma aufzudecken. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs sucht der ehemalige Diplomat die Unterstützung der deutschen Regierung für die irische Unabhängigkeitsbewegung. Er reist mitten im Krieg der Weltmächte heimlich nach Berlin; sein Begleiter und Geliebter Eivind Adler Christensen verrät ihn an den britischen Geheimdienst. Zurück in Großbritannien, wird Casement verhaftet, wegen Hochverrats angeklagt und anhand seiner geheimen Tagebücher überfuhrt, seine Homosexualität wird aufgedeckt. Am 3. August 1916 wird Roger Casement in London hingerichtet.
Mario Vargas Llosa zeichnet eindrucksvoll das Leben, die inneren und äußeren Kämpfe des abenteuerlichen Idealisten Roger Casement aus Irland nach, den Traum eines Kelten von einer freien, befriedeten Welt. (Suhrkamp)
Buch bei amazon.de bestellen