Mats Wahl: "Emmas Reise"


Ein schwedischer Roadmovie-Roman für Jugendliche. Auch für Jungen würde ich ihn nachdrücklich empfehlen, obwohl im Mittelpunkt der Handlung ein Mädchen steht, die 16-jährige Emma. Es ist ein stiller, ernster, unaufdringlicher Jugendroman, einer von der Art, den man nach Beendigung der Lektüre noch einmal lesen möchte, weil man das Gefühl hat, beim ersten Mal nicht aufmerksam genug die Andeutungen beachtet zu haben, die auf den Schluss verweisen.

Mats Wahl schreibt mit sparsamen Mitteln, spröde, holzschnittartig, aber gekonnt. Er lässt den Leser die Zusammenhänge selber erschließen und die Lücken gedanklich füllen. Auch Emmas Wesen und Leben erschließen sich erst allmählich. Der Autor nimmt dem Leser die Mühe des Mitdenkens nicht ab.

Emma bricht auf, um ihren Freund Daniel in Stockholm zu besuchen - per Anhalter, denn sie fährt gegen den Willen ihres Vaters und hat deswegen auch so gut wie kein Geld für die Reise. Ausgestattet ist sie nur mit Jacke, Rucksack und einem auffälligen Cowboyhut, den ihr ein australischer Angeltourist in ihrem Ort geschenkt hat.

Dieser Aufbruch gegen alle Widerstände steht im Gegensatz zu der Zeit, die sie sich lässt, ihr eigentliches Ziel, Daniel, zu erreichen. Mehrmals verweilt sie, fast ein wenig schicksalsergeben - wie es kommt, so kommt es - bei zufälligen Bekanntschaften, die sie während ihrer Tramptour macht. Sie trifft unterschiedliche Menschen und Familien, an denen sich Emma bewährt, indem sie ihre besten Eigenschaften: Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft, Mitleidensfähigkeit, Furchtlosigkeit, Selbstlosigkeit und Tatkraft unter Beweis stellt. Fast allen gemeinsam ist ein gestörtes Eltern - Kind - Verhältnis, wie bei Emma selbst, die nach dem Unfalltod ihrer geliebten Mutter beim Vater lebt, zu dem sie aber offensichtlich kein großes Vertrauen hat. Außer ihrer Mutter, die in Emmas Erinnerung so lebendig geblieben ist, dass sie immer noch in Tränen ausbricht, wenn sie an sie denkt, trifft sie nur noch eine einzige vorbildliche Person: Ralf, einen jungen Schlachter, der ohne großes Aufheben davon zu machen seine verwirrte Mutter pflegt und versorgt und einfängt, wenn sie wieder einmal davongelaufen ist. Er hat sein Los klaglos angenommen, obwohl sein eigenes Leben freudlos genug ist. Emma findet auch Gelegenheit, ihre eigenen Vorurteile zu korrigieren. Nicht alle Menschen sind schlecht, die auf den ersten Blick so wirken. Ihr Verhalten wird aus ihrem eigenen Schicksal heraus verständlicher. In einer kleinen Parallelhandlung erfährt der Leser, dass Daniel nicht nur längst eine neue Freundin hat, sondern auch Schluss mit Emma gemacht hat. Außerdem weiß er von Emmas Vater, dass sie auf dem Weg zu ihm ist, was ihn nicht davon abhält, die neue Freundin über Nacht zu sich nach Hause einzuladen. Schon hier zeichnet sich ab, dass der Neuen das gleiche Los blühen wird wie Emma: lieblos abserviert zu werden, sobald Daniel ihrer überdrüssig geworden ist. Die Drei treffen aufeinander, aber es kommt nicht zum erwarteten "Showdown". Emma, offenbar schwanger von Daniel, wollte nur letzte Gewissheit. Die hat sie nun. Von einem oberflächlichen Jungen wie Daniel, der sich nur für Sex, aber nicht für die Persönlichkeit der Mädchen, schon gar nicht für deren Probleme, interessiert, ist keine Entscheidungshilfe zu erarten. Auch nicht von ihrem in Arbeit vergrabenen Vater. Die Reise hat mit ihren vielen Begegnungen den Entschluss in Emma reifen lassen. Wie er lautet, wird ebenso wenig im Roman verraten wie der wahre Grund der Reise. Dennoch ist der Leser davon überzeugt, dass Emma das Kind zur Welt bringen möchte. Wie auch schon vorher, fühlt sie sich zu Kindern hingezogen. Am Schluss geht sie auf einen Spielplatz uns schenkt einem 5-Jährigen ihren geliebten Cowboyhut. Und während sie "duscht, achtet sie darauf, dass kein Wasser auf die Figuren ("Bilder von zwei kleinen Menschen"(S. 158) kommt, die sie sich auf den Bauch gezeichnet hat. (S. 155) Emma hat ihre zukünftige Mutterrolle akzeptiert, auch ohne einen Vater.

Manches Mädchen, allein gelassen mit seinen Problemen, wird sich mit Emma identifizieren können. Und manchen sorglosen Jungen mag der Roman nachdenklich stimmen.

(Diethelm Kaminski)


Mats Wahl: "Emmas Reise"
dtv Reihe Hanser 62132
159 Seiten
ISBN 3 - 423 - 62132,
ca EUR 6,50.
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