Rolf-Bernhard Essig: "Schreiberlust und Dichterfrust"
Kleine Gewohnheiten und große Geheimnisse der Schriftsteller
Glaubhaft
schreiben
Wenn ein Buch ein Buch "für Vielleser und literarische
Einsteiger" (Klappentext) sein soll, dann muss der Autor schon recht
selbstbewusst-belesen sein - denn beide dieser Zielgruppen
bedürfen sorgsamer Kompetenz. Da darf man sich keinerlei
Nachlässigkeiten, Langatmigkeiten oder
Lückenbüßerei zuschulden kommen lassen.
Mehr als 200 Schriftsteller werden hier quasi vorgestellt mit ihren
Ideen, Macken und Ängsten und ihrer konkreten
täglichen Arbeitsweise. Und endlich wird die nervige Frage -
"müssen Autoren das, worüber sie schreiben, nicht
eigentlich selbst erlebt haben?" - ad absurdum geführt mit dem
Hinweis auf "fantastische" Autoren, welche Chance hätten Rowling
oder Tolkien
unter der Dunstglocke eines vordergründigen Realismus?! Wir
erfahren in diesem Buch also endlich einmal 'Kleine Gewohnheiten und
große Geheimnisse der Schriftsteller' (Untertitel) - und
werden mit vielen Klischees konfrontiert - sowie ebenso vieler
Vorurteile beraubt.
In ihrem Vorwort verweist Juli Zeh auf den "Wunsch nach Exkursionen ins
Reich der Fantasie" seitens der Autoren, die von sich selbst und
anderen ob ihrer Tätigkeit immer wieder in Zweifel gezogen
werden. Im Grunde geht es um die Konfrontation mit den beiden Fragen:
"Warum schreiben Sie?" - "Warum lesen Sie?" - und damit ist man mitten
in unserer Kulturrelevanz verstrickt. Essig wendet sich kumpanenhaft an
seine Leser: "In diesem Buch wirst du erfahren, warum Menschen ihre
Lebenszeit der Literatur widmen. Du wirst den Alltag, die Freuden und
Probleme von Autoren kennenlernen und worin das Handwerk des Schreibens
besteht." Und dann verrät er uns noch quasi die Essenz des
vorliegenden Buches: "Das Abenteuer des Schreibens, die Geburt eines
Buches, die Lebensweise von Autoren, diese drei Themen sind mir wichtig
- und dir vielleicht auch." So locker-flockig hat uns noch niemand zur
Beschäftigung mit Literatur animiert.
Essig reiht quasi-essayistisch-anekdotenhaft Aspekt an Aspekt und kommt
zu der fundamentalen Erkenntnis, dass das Schreiben eine "Alternative
zur Wirklichkeit" bedeutet - sei es eine Flucht oder sei es die
Freiheit. Schreiben resultiert allerdings auch aus Schmerz und Krise -
eigentlich schreibt niemand wirklich freiwillig! Und wenn es um die
peinliche Frage geht, wie "gut" jemand schreibt, wird John Irving
zitiert, der einmal meint, dass sich seine Schriftstellerei "aus einem
Achtel Talent und sieben Achteln Disziplin" zusammensetzt. Die
Vorgehensweise eines Autors beschreibt Essig so: "mit offenen Augen
durch die Welt gehen, diskutieren, lesen, recherchieren, planen und
ordnen, nachdenken, entwerfen, schreiben, korrigieren. Mit
genügend Talent, Disziplin und Zeit entsteht dann ein Buch."
Nach Nabokov
ist ein Schriftsteller ein "Geschichtenerzähler ... Lehrer
oder ... Magier" - wobei der Magier überwiegen sollte. Und so
verfolgen wir den Weg vom Schreibenwollen bis zum
Schreibenmüssen - und fragen uns, ob letzteres nicht gar ein
Fluch sein kann.
Essig illustriert nun anhand zahlreicher Beispiele, wie Autoren
schreiben: "Sie lesen viel und lassen sich von Kollegen anregen." Die
schwierige Wahl der Erzählperspektive beschäftigt
einen Romancier ebenso wie das Erstellen eines Schreibplans.
Letztendlich geht es bei der Vermittlung des Stoffs an die Leser um
Glaubwürdigkeit, Plausibilität innerhalb der
erschaffenen Welt. Diesbezüglich gibt es wiederum von John
Irving eine eigentümliche Aussage: "... nur weil
etwas tatsächlich passiert ist, muss es noch lange nicht
glaubhaft sein." D.h. viele Menschen können sehr
ähnliche Erfahrungen machen, entscheidend ist die Art ihrer
Darstellung. Ein existenzielles und soziales Problem ist, dass der
Schriftsteller viel Lebenszeit opfert, um Kunstwerke zu schaffen.
Ebenso interessant ist es zu erfahren, wie ordentlich oder chaotisch
Arbeitszimmer sein durften bzw. mussten, um die Inspiration zu
fördern und die Konzentration nicht zu stören. Jeder
Schriftsteller sehnt sich nach einem "Schreibrausch" bzw. hat einen
Horror vor Schreibblockaden. Essig schildert etliche Beispiele
beiderlei Provenienz.
Die peinliche Kontroverse, ob Alkohol mehr Werke gefördert
oder verhindert hat, lässt sich nicht beweiskräftig
statistisch klären. Ein weiteres Problem ist, dass viele
Autoren beim Schreiben ans Geld denken müssen, wenn sich das
Klischee vom 'Armen Poeten' (Spitzweg) nicht bestätigen soll -
und es ist nicht ehrenrührig, wenn man wie Büchner, Benn
oder Döblin und viele andere einen Brotberuf neben der
Schriftstellerei ausübt. Das alles sind keine Probleme im
Vergleich mit Heinrich Bölls damaliger Spekulation, was
wäre, wenn alle Autoren streiken würden. Freilich
würde das nie vorkommen, weil Schriftsteller zu sehr
Einzelgänger und leidenschaftliche Künstler sind. Und
wenn man also zwischen der Lektüre von Romanen, Dramen oder
Gedichten einfach einmal hinter die Kulissen der Schreiberlinge schauen
möchte, dann nimmt man sich Essigs im leichten Plauderton
gehaltenes Vademekum zur Hand und erkennt: Schriftsteller sind auch nur
Menschen - aber was für welche!
(KS; 03/2007)
Rolf-Bernhard
Essig: "Schreiberlust und Dichterfrust"
Mit einem Vorwort von Juli Zeh. (Ab 14 J.)
Hanser Kinderbuch, 2007. 318 Seiten.
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