Guido van Genechten: "Nur Mut, kleines Känguru!"


Wer ein kleines Kind hat, ist für dieses Kind verantwortlich. Wir müssen unsere Kinder behüten und beschützen, ihre Seele und ihr Wesen stärken und ihnen immer genügend Geborgenheit geben. Irgendwann aber kommt der Tag, da wird es zur elterlichen Verantwortung, den Kindern eine andere Form der Geborgenheit zu schenken, eine, die es ihnen ermöglicht, ihre eigenen Schritte in die Welt zu gehen, in die sie aber dennoch zurückkehren können, wenn sie es wollen oder ihre Sicherheit es nahe legt.

Eltern wissen ein Lied davon zu singen, welchen Schmerz es bereiten kann, die eigenen Kinder loszulassen. Die erste große Trennung stellt, meistens mehr für die Eltern als für die Kinder, der erste Kindergartentag dar. Nie mehr wird es danach so sein wie früher. Die Kinder sind über Stunden von zu Hause weg. Sie sind anderen Einflüssen ausgesetzt, lernen andere Kinder kennen und über die vielen Erzieherinnen - und hoffentlich auch einmal einen Erzieher - andere als den bisherigen elterlichen Erziehungsstil.
Ich habe aber noch von keinem Kind gehört, das von dieser Form der Trennung und des Loslassens nicht wesentlich für seine Entwicklung profitiert hätte.

Das vorliegende, wunderschön gezeichnete und großzügig gestaltete Bilderbuch des renommierten Verlags Annette Betz aus Wien will Eltern und Kinder ermutigen, das Loslassen zu üben. Im Buch ist es zwar eher das kleine Känguru, das den Beutel der Mutter nicht verlassen will; zu warm und behaglich ist dort, und es ist so bequem, getragen zu werden, statt eigene Sprünge zu wagen. Daran können auch die Schmetterlinge, die Elefanten, die Vögel, die Affen und die Giraffen nichts ändern, denen das kleine Känguru mit seiner Mutter begegnet.

Erst als den beiden - die Mutter ist schon total verzweifelt, dass ihr Kind so gar nicht einmal ein paar Meter von ihr weg will - ein anderes kleines Känguru begegnet, springt das kleine Känguru, zu seinem eigenen Erstaunen wie von selbst, in die große weite Welt.

Doch kaum ist es aus dem schützenden Beutel herausgesprungen, um mit seinem neuen Freund zu spielen und zu hüpfen, da ruft die stolze, aber auch etwas ängstliche Mutter ihm zu: "Geh nicht so weit weg, hörst du?"

Guido van Genechten hat ein schönes Buch geschrieben und gezeichnet, das die Ambivalenz des Loslassens kurz vor dem Kindergartenalter wunderbar beschreibt. Eine Empfehlung für alle Eltern und Kinder, denen dieser neue Abschnitt bald bevorsteht.

Mein zweieinhalbjähriger Sohn David jedenfalls liebt das Buch, seit die Post es ins Haus gebracht hat.

(Winfried Stanzick; 01/2006)


Guido van Genechten: "Nur Mut, kleines Känguru!"
Annette Betz, 2006. 32 Seiten. (Ab 3 J.)
ISBN 3-219-11252-8.
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