Autorengeburtstage:

Tahar Ben Jelloun (1.12.1944) Botho Strauß (2.12.1944)
Joseph Conrad (3.12.1857) Rainer Maria Rilke (4.12.1875)
Peter Handke (6.12.1942) Gabriel Marcel (7.12.1889)
Johann Nestroy (7.12.1801) Quintus Horatius Faccus (8.12.65 v. Chr.)
Jura Soyfer (8.12.1912) John Milton (9.12.1608)
Ödön von Horvath (9.12.1901) Jorge Semprún (10.12.1923)
Nagib Machfus (11.12.1911) Alexander Solschenizyn (11.12.1918)
Andrea De Carlo (11.12.1952) Gustave Flaubert (12.12.1821)
Manès Sperber (12.12.1905) Tschingis Aitmatow (12.12.1928)
John Osborne (12.12.1929) Heinrich Heine (13.12.1797)
Robert Gernhardt (13.12.1937) Leonardo Boff (14.12.1938)
Pál Závada (14.12.1954) Wolf Haas (14.12.1960)
La Rochefoucauld (15.12.1613) Jane Austen (16.12.1775)
Hans Henny Jahnn (17.12.1894) José Lezama Lima, Jean Genet (19.12.1910)
Tankred Dorst (19.12.1925) Friederike Mayröcker (20.12.1924)
Jean Racine (21.12.1639) Heinrich Böll (21.12.1917)
Filippo Tommaso Marinetti (22.12.1876) Martin Opitz (23.12.1597)
Henry Miller (26.12.1891) Galsan Tschinag (26.12.1943)
Carl Zuckmayer (27.12.1896) Burkhard Spinnen (28.12.1956)
Rudyard Kipling (30.12.1865) Daniil Iwanowitsch Juwatschow (= Daniil Charms) (30.12.1905)
Franz Spunda (31.12.1889)

Zum zehnten Dezember

"Sie ist mündig!" Sagt mir, Leute,
Wie versteh ich dieses Wort?
Ach ein Kind war sie bis heute,
Bleibt sie das nicht immerfort?

Hingen denn vor einem Jahre
Um dies Morgenangesicht
Kindlicher die blonden Haare
Und in goldenerem Licht?

Zögen heut zu diesem Herzen,
Fromm geartet, hold und rein,
Andre Freuden, andre Schmerzen,
Ganz ein neues Wesen ein?

Und zu glänzen allerorten,
Würde sie der großen Welt,
An Gebärde, Sitt und Worten
Ihren Schwestern gleichgestellt?

Nein! ein Engel dieser Erden
Ohne Wandel bleibet sie.
Eine Fürstin kann sie werden,
Eine Dame wird sie nie!

(von Eduard Mörike)


(...) Der Winter ist streng in diesem Jahr, am Beginn des neuen Jahrtausends. Heute morgen, als ich in der Dezemberdunkelheit aufwachte, meinte ich zu hören, wie das Eis sang. Ich weiß nicht, woher ich die Vorstellung hatte, daß das Eis singen kann. Vielleicht war es etwas, was mein Großvater, der hier draußen auf seiner Schäre geboren ist, zu mir sagte, als ich klein war.
Doch ich erwachte von einem Geräusch in der Dunkelheit. Es war weder die Katze noch der Hund. Meine Katze ist alt und steifbeinig, mein Hund ist auf dem rechten Ohr stocktaub, und auf dem linken hört er nur noch sehr schlecht. Ich kann an ihm vorbeischleichen, ohne daß er es merkt.
Aber dieses Geräusch?
Ich versuchte, mich in der Dunkelheit zu orientieren. Es dauerte eine Weile, bis ich erkannte, daß es das Eis war, das sich rührte, obwohl es hier in der Bucht mindestens zehn Zentimeter dick ist. Letzte Woche, an einem Tag, an dem ich unruhiger war als gewöhnlich, ging ich hinaus bis zur Kante, wo das Eis auf das offene Meer trifft. Dort lag es über einen Kilometer jenseits der äußersten Schären. Das Eis dürfte sich also hier in der Bucht kaum bewegen. Doch es hob und senkte sich, es knackte und sang.
Ich lauschte dem Geräusch und dachte wieder, wie schnell mein Leben doch vergangen ist. Jetzt war ich hier. Ein Mann von sechsundsechzig Jahren, finanziell unabhängig, der eine Erinnerung in sich trägt, die ihn ständig plagt. Ich bin in einer Armut aufgewachsen, die man sich heute in diesem Land kaum noch vorstellen kann. Mein Vater war ein übergewichtiger Kellner, den man häufig schikanierte, und meine Mutter versuchte, mit dem Geld auszukommen. Aus diesem Armutsbrunnen bin ich hochgeklettert. Als Kind habe ich hier draußen gespielt und nichts von der Zeit geahnt, die ständig schrumpft. Damals waren mein Großvater und meine Großmutter noch rührige Menschen, nicht zur Unbeweglichkeit und zum Warten verurteilt. Er roch nach Fisch, und ihr fehlten sämtliche Zähne. Obwohl Großmutter immer freundlich war, lag etwas Erschreckendes darin, zu sehen, wie sich ihr Lächeln zu einem schwarzen Loch öffnete.
Eben noch befand ich mich im ersten Akt. Jetzt hat bereits der Epilog begonnen. (...)

(Aus dem Roman "Die italienischen Schuhe" von Henning Mankell)

Fredrik Welin, ehemaliger Chirurg, lebt allein auf einer kleinen Insel in den Schären. Ihm ist etwas widerfahren, was er nur "die Katastrophe" nennt, und er glaubt, mit dem Leben abgeschlossen zu haben. Da steht eines Morgens Harriet vor ihm, die er einmal sehr geliebt und dann trotzdem verlassen hat. Sie ist schwerkrank, deshalb soll er ihr eine letzte Bitte erfüllen. Mit "Die italienischen Schuhe" hat Henning Mankell einen spannenden Roman über die Liebe und über die Einsamkeit geschrieben, ein Buch voller komischer Situationen, nachdenklich und anrührend zugleich. (Zsolnay)
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Chiang Mai war der Ausgangspunkt für die Suche nach den Chaulmoogra-Bäumen. Rock charterte ein geräumiges Hausboot mit Mannschaft, engagierte einen Dolmetsch, einen, wie er schreibt, "would-be cook" sowie einen Diener und fuhr den Nam Ping flußabwärts. Unterwegs befahl der Reisende häufig, das Boot am Ufer festzumachen, damit er in die dichten Monsunwälder eindringen und nach Samen suchen konnte. Der Fluß führte zu dieser Jahreszeit, es war Dezember, wenig Wasser, und es geschah öfters, daß das Boot auf eine Sandbank lief, was Rock zur Verzweiflung brachte. Einmal verlor er die Geduld und sprang, nur mit einem "Negligé" bekleidet, ins Wasser, in der heimlichen Hoffnung, das Boot würde ihm folgen. Aufgeregt rief ihn der Bootsführer an Bord zurück und machte ihm klar, daß der Fluß mit Krokodilen verseucht sei.

Nach einigen Tagen änderte sich die Landschaft. Steile Schluchten aus rotem Fels verwandelten den bisher ruhigen Fluß in eine reißende Strömung. Brodelnde Stromschnellen wurden zu gefahrvollen Hindernissen, die oft nur mit Hilfe von Seilen überwunden werden konnten. Doch Rock und seine Mannschaft erreichten heil das Ziel der Flußfahrt, den Ort Rahaeng. Nun stand der Expedition der beschwerlichste Teil bevor: der Fußmarsch an die burmesische Grenze durch unwegsames, bergiges Gelände und dichten Dschungel, in dem Teak- und Strychninbäume, Cassia-Arten, Eichen und Bambus wuchsen. Dazu kam die ständige Bedrohung durch Tiger, Leoparden und Giftschlangen.

In Burma, an der Mündung des Salwin, begegnete Rock endlich dem ersten Chaulmoogra-Baum. Enttäuscht mußte er feststellen, daß dieser noch keine Früchte trug. Tage später versuchte er sein Glück stromaufwärts in den Wäldern um das kleine Dorf Oktada. Er fand wieder nur einen Baum, diesmal mit reifen Früchten, jedoch der Gattung Hydnocarpus; dessen Samen enthalten zwar ein ähnliches Öl, doch dessen Eigenschaften und Wirkung waren nicht bekannt. Da von den Einheimischen keine klaren Auskünfte über Standorte von Chaulmoogra-Bäumen zu bekommen waren, entschloß sich Rock, nach der Hauptstadt Rangun zu reisen. Dort suchte er Forstfachleute auf und erfuhr, daß die eigentliche Heimat des gesuchten Baums am Oberlauf des Chindwinn liege. Also machte er sich wieder auf den Weg, begleitet von einem Madrassi-Koch und einem moslemischen Diener, diesmal mit dem Zug bis Amarapura nahe Mandalay. Sie überquerten den Irrawaddy nach Sagaing und dann ging es mit dem Zug weiter nach Monywa. "Monywa, what a dreadful place!" mokierte sich Rock; nichts als Staub, Dreck und Schwärme von Fliegen. Gleich am nächsten Tag verließen sie Monywa mit dem Dampfer "Shillong", der sie den Chindwinn aufwärts nach Mawlaik brachte. Rock schien seinem Ziel nahe: Nur einige Tagesmärsche von hier, erfuhr er, würden sich Chaulmoogra-Wälder befinden. Ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben an die Vorsteher jener Dörfer, die er auf dem Weg durch den Dschungel passieren würde, ging er los, gefolgt von einer Schar Trägern, meist Frauen mit nackten Kindern an den Hüften und auf dem Rücken, die seine Ausrüstung auf ihren Köpfen balancierten. Gelegentlich kreuzten Herden wilder Elefanten den Weg der Karawane, die schließlich in dem Dorf Kyokta haltmachte, wo Rock sein Lager aufschlug. Hier war seine strapaziöse Suche endlich erfolgreich. Dichte Chaulmoogra-Wälder bedeckten die steilen Berghänge rund um das Dorf. Mit Hilfe der Bewohner sammelte Rock große Mengen an echten Taraktogenos-Samen, die er nach den Vereinigten Staaten verschiffte. Die Samen wurden dazu verwendet, auf der Insel Oahu, Hawaii, eine Plantage mit zweitausendneunhundertachtzig Chaulmoogra-Bäumen anzulegen.
Jahre später traten unter Ärzten, die Erfahrungen in Lepraspitälern gesammelt hatten, Zweifel auf, ob das Chaulmoogra-Öl, oder genauer der Ester aus seiner Fettsäure, tatsächlich so effektiv in der Behandlung von Lepra sei, wie zahlreiche Berichte glauben machen wollten. In den 1940er Jahren wurde schließlich das Heilmittel durch den erfolgreichen Einsatz von Sulfonamiden in der Lepratherapie verdrängt.

Joseph Rock, der viele Jahre seines Lebens in China verbrachte, flüchtete 1949 vor den Roten Garden Mao Tse-tungs (die er als "bandits" bezeichnete) und kehrte nach Hawaii zurück. Er starb am 5. Dezember 1963, kurz vor seinem neunundsiebzigsten Geburtstag, an Herzschlag.

(Aus "Unter Bäumen. Reisen zu den größten Lebewesen" von Rudi Palla)

Kennen Sie den Baum der weisen Voraussicht? Haben Sie schon einmal vom Kuhbaum getrunken? Wie liegt es sich unter dem Baum des Müßiggangs?
Rudi Palla, Enzyklopädist des entlegenen Wissens, hat aus Botanik, Mythologie, Kulinarik und Sozialgeschichte Anregendes wie Kurioses über die vielfältigen Verbindungen zwischen Mensch und Baum zutage gefördert.
Seine Wanderungen führen ins China Marco Polos, zu den Meuterern von der "Bounty" und ihren Brotfruchtbäumen auf Tahiti oder zu dem aus Lerchen gepflanzten Hakenkreuz in der Uckermark. Was all seine Routen verknüpft, sind immer Bäume, denen Palla eine Biografie gibt, spannend wie die eines Menschen. (Zsolnay)

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Rom, den 25. Dezember.

Diesmal ist Christus unter Donner und Blitzen geboren worden, wir hatten gerade um Mitternacht ein starkes Wetter.

Der Glanz der größten Kunstwerke blendet mich nicht mehr, ich wandle nun im Anschauen, in der wahren unterscheidenden Erkenntnis. Wieviel ich hierin einem stillen, einsam fleißigen Schweizer, namens Meyer, schuldig bin, kann ich nicht sagen. Er hat mir zuerst die Augen über das Detail, über die Eigenschaften der einzelnen Formen aufgeschlossen, hat mich in das eigentliche Machen initiiert. Er ist in wenigem genügsam und bescheiden. Er genießt die Kunstwerke eigentlich mehr als die großen Besitzer, die sie nicht verstehen, mehr als andere Künstler, die zu ängstlich von der Nachahmungsbegierde des Unerreichbaren getrieben werden. Er hat eine himmlische Klarheit der Begriffe und eine englische Güte des Herzens. Er spricht niemals mit mir, ohne daß ich alles aufschreiben möchte, was er sagt, so bestimmt, richtig, die einzige wahre Linie beschreibend sind seine Worte. Sein Unterricht gibt mir, was mir kein Mensch geben konnte, und seine Entfernung wird mir unersetzlich bleiben. In seiner Nähe, in einer Reihe von Zeit hoffe ich noch auf einen Grad im Zeichnen zu kommen, den ich mir jetzt selbst kaum denken darf. Alles, was ich in Deutschland lernte, vornahm, dachte, verhält sich zu seiner Leitung wie Baumrinde zum Kern der Frucht. Ich habe keine Worte, die stille, wache Seligkeit auszudrücken, mit der ich nun die Kunstwerke zu betrachten anfange; mein Geist ist erweitert genug, um sie zu fassen, und bildet sich immer mehr aus, um sie eigentlich schätzen zu können.

Es sind wieder Fremde hier, mit denen ich manchmal eine Galerie sehe; sie kommen mir wie Wespen in meinem Zimmer vor, die gegen die Fenster fahren und die helle Scheibe für Luft halten, dann wieder abprallen und an den Wänden summen.

In den schweigenden zurücktretenden Zustand mag ich einen Feind nicht wünschen. Und wie sonst für krank und borniert gehalten zu werden, geziemt mir weniger als jemals. Denke also, mein Lieber, tue, wirke das Beste für mich und erhalte mir mein Leben, das sonst, ohne jemanden zu nutzen, zugrunde geht. Ja, ich muß sagen, ich bin dieses Jahr moralisch sehr verwöhnt worden. Ganz abgeschnitten von aller Welt, hab' ich eine Zeitlang allein gestanden. Nun hat sich wieder ein enger Kreis um mich gezogen, die alle gut sind, alle auf dem rechten Wege, und das ist nur das Kennzeichen, daß sie es bei mir aushalten können, mich mögen, Freude in meiner Gegenwart finden, je mehr sie denkend und handelnd auf dem rechten Wege sind. Denn ich bin unbarmherzig, unduldsam gegen alle, die auf ihrem Wege schlendern oder irren und doch für Boten und Reisende gehalten werden wollen. Mit Scherz und Spott treib' ich's so lang, bis sie ihr Leben ändern oder sich von mir scheiden. Hier, versteht sich, ist nur von guten, graden Menschen die Rede, Halb- und Schiefköpfe werden gleich ohne Umstände mit der Wanne gesondert. Zwei Menschen danken mir schon ihre Sinnes- und Lebensänderung, ja dreie, und werden sie mir zeitlebens danken. Da, auf dem Punkte der Wirkung meines Wesens, fühl' ich die Gesundheit meiner Natur und ihre Ausbreitung; meine Füße werden nur krank in engen Schuhen, und ich sehe nichts, wenn man mich vor eine Mauer stellt.

(Aus "Italienische Reise" von Goethe)


1. Kapitel
Kalt war es und windstill in dieser Dezembernacht. Ein frostiger Hauch hatte die Zweige und dürren Blätter wie mit weißem Samt überzogen. Leise knisterte und wisperte es auf der Lichtung im Wald. Das spärliche Licht der Mondsichel ließ die Augen eines wachsamen Waldkaters aufleuchten, als er von seinem hohen Sitz auf einem dicken Eichenast die Witterung herannahender Männer aufnahm. Sie versuchten leise zu sein, doch seine feinen Sinne nahmen das Schlagen der weiten Mäntel gegen ihre Stiefel wahr. Mochten sie noch so vorsichtig auftreten, ihre Schritte auf dem federnden Waldboden konnte er deutlich hören. Ihre Gesichter jedoch sah er nicht, denn nicht nur wegen der Kälte trugen die neun Männer dunkle Umhänge, deren hochgeschlagene Kapuzen ihre Häupter verbargen. Vermummt waren sie vor allem, weil sie nicht erkannt werden wollten, weder von dem Kläger noch vom Angeklagten der Feme.
Doch nur der Kläger war auf dem Gerichtsplatz unter den Sternen erschienen, ebenfalls verhüllt durch einen weiten Umhang. Der Angeklagte war der Aufforderung nicht gefolgt, sich zu dieser mitternächtlichen Stunde einzufinden. Und so wurde das Urteil in seiner Abwesenheit über ihn verhängt.
"Ich verfeme dich!", klang es dumpf durch die eisige Nacht.
"Deinen Hals weihe ich dem Strick, deinen Leichnam den Tieren, und Vögeln, ihn zu verzehren. Deine Seele befehle ich Gott im Himmel, wenn er sie denn nehmen will."
Während des Femespruchs, der den Angeklagten zu einem Vogelfreien erklärte, dessen Leben und Besitz jeder nehmen konnte und der kein Anrecht auf Schutz und Hilfe mehr hatte, hob sich einmal der Kopf des Klägers, und in seinem überschatteten Gesicht glühten die Augen beinahe so hell auf wie die des lauernden Waldkaters.
Schließlich warf der Richter den Weidenstrick aus dem Rund der Gerichtsstätte - als Zeichen, dass die Sitzung beendet sei. Das Urteil, das im Namen des Erzbischofs von Köln gefällt worden war, würde dem feigen Verräter trotz seiner Abwesenheit bekannt genug sein.
Die sieben Freischöffen verschwanden zwischen den hohen Stämmen der alten Eichen auf verschiedenen Wegen, und auch der Kläger verließ gemeinsam mit dem Richter den Platz.
"Und nun, mein lieber Graf, können wir über die Vollstreckung des Urteils sprechen. Ich habe da so eine Idee, die unserem Herrn sehr zupass kommen wird!", hörte es der wachsame Waldkater unter seinem hohen Sitz flüstern. Dann eilten die beiden Männer über das raschelnde, trockene Laub der Stadt entgegen. ...

(Aus "Die Sünde aber gebiert den Tod" von Andrea Schacht)

TATORT KÖLN - Begine Almut und Pater Ivo ermitteln.
Köln, am Ende des Jahres 1376. In Groß Sankt Martin wird die Christmette gefeiert. Doch just als die Mönche das Loblied auf die Geburt des Heilands anstimmen, hallt das Schreien eines Säuglings durch die ehrwürdigen Gewölbe der Klosterkirche. Hinter dem Altar entdeckt Pater Ivo das kleine Mädchen, das ein Feuermal auf der Wange trägt: den "Satanskuss". Er bringt das Baby kurzerhand zum Konvent am Eigelstein, wo Almut Bossart, die junge, gewitzte Begine, kurz darauf in den Windeln ein hochbrisantes Pergament findet. Ist die junge Frau, die man am nächsten Tag als kopflose Leiche im Kloster findet, die Mutter des Säuglings? Almut erlebt den Jahreswechsel im Zentrum einer dramatischen Verwicklung um Liebe und Verrat. Und gerät dabei selbst einmal mehr in größte Gefahr ...
Dramatisch, farbenprächtig und höchst unterhaltsam - ein großartiges historisches Lesevergnügen!

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(...) Es war der 29. Dezember. Oki war auf dem Weg nach Kyoto, um dort das Neujahrsglockenläuten mitzuerleben.
Wie viele Jahre mochte er es wohl schon in der Silvesternacht im Radio gehört haben? Wie viele Jahre gab es diese Sendung schon? Hatte er es überhaupt je versäumt, sie zu hören? Während das Geläut berühmter Glocken alter Tempel aus allen Teilen Japans erklang, sprach der Ansager seinen Kommentar. Da im Verlaufe dieser Sendung das alte Jahr zu Ende ging und das neue anbrach, wurde der Kommentar mit feierlicher und emphatischer Stimme gehalten. Im Ton der in langen Intervallen geläuteten alten buddhistischen Tempelglocken, in ihrem lange nachschwingenden Ton war das Fließen der Zeit, war der Hauch des alten Japan zu spüren. Nach den Glocken aus Nordjapan klangen gewöhnlich die aus Kyushu, aber immer beendeten die Glocken der Tempel in Kyoto das Neujahrsläuten. In Kyoto gab es so viele Tempel, dass die ineinander übergehenden Töne der Vielzahl von Glocken im Radio manchmal nicht mehr zu unterscheiden waren.
Zu der Zeit, wenn das Glockenläuten gesendet wurde, bereiteten seine Frau und seine Tochter in der Küche das Neujahrsessen vor, räumten im Haushalt auf, ordneten die Kimonos oder waren mit dem Blumenstecken beschäftigt. Oki saß im Esszimmer und hörte Radio. Während des Läutens der Glocken hielt er Rückschau auf das vergangene Jahr. Ein Gefühl der Wehmut überkam ihn. In manchen Jahren war dieses Gefühl heftig und qualvoll. Zuweilen wurde er auch von Kummer und Reue gequält. Obschon ihn die Sentimentalität der Radiosprecher abstieß, das Geläut der Glocken bewegte sein Gemüt zutiefst. Schon seit langem aber fühlte er sich verlockt, irgendwann einmal am Silvesterabend in Kyoto zu sein und das Neujahrsläuten der alten Tempel nicht aus dem Radio, sondern im Original zu hören.
An diesem Jahresende nun hatte er plötzlich den Entschluss gefasst, nach Kyoto zu fahren. Er war dabei von der verführerischen Idee besessen, nach all diesen langen Jahren Otoko Ueno in Kyoto wiederzusehen und mit ihr zusammen das Läuten zu erleben. Seitdem Otoko nach Kyoto gezogen war, hatte sie ihm nicht mehr geschrieben. Otoko hatte sich dort als Malerin des klassischen japanischen Malstils etabliert. Sie war unverheiratet geblieben. (...)

(Aus "Schönheit und Trauer" von Yasunari Kawabata)


Dezember
"Am Moor" 1. Fassung

Der Mantel im schwarzen Wind; leise flüstert das dürre Rohr
In der Stille des Moors. Am grauen Himmel
Folgt ein Zug von wilden Vögeln -
Quere über finsteren Wassern.

Durch kahle Birken gleiten die knöchernen Hände.
Knickt der Schritt in braunes Gehölz
Wo zu sterben ein einsames Tier wohnt.

Alte Weiblein kreuzten den Weg
Ins Dorf. Spinnen fielen aus ihren Augen
Und roter Schnee. Krähen und langes Glockengeläut

Geleitet den schwarzen Pfad, Endymions Lächeln
Und mondener Schlummer
Und die metallene Stirne tastet frierend durchs Haselgebüsch

Laß in der Schenke den Abend erwarten
Wohnen in purpurner Höhle des Weins,
Von der Tapete lautlos des Trunkenen Schatten sinkt.

Stundenlang fäl(l)t härener Schnee ans Fenster
Jagt den Himmel mit schwarzen Flaggen und zerbrochenen Masten die Nacht.

(von Georg Trakl)

Dezembersonett
2. Fassung

Am Abend ziehen Gaukler durch den Wald,
Auf wunderlichen Wägen, kleinen Rossen.
In Wolken scheint ein goldner Hort verschlossen,
Im dunklen Plan sind Dörfer eingemalt.

Der rote Wind bläht Linnen schwarz und kalt.
Ein Hund verfault, ein Strauch raucht blutbegossen.
Von gelben Schrecken ist das Rohr durchflossen
Und sacht ein Leichenzug zum Friedhof wallt.

Des Greisen Hütte schwindet nah im Grau.
Im Weiher gleißt ein Schein von alten Schätzen.
Die Bauern sich im Krug zum Weine setzen.

Ein Knabe gleitet scheu zu einer Frau.
Ein Mönch verblaßt im Dunkel sanft und düster.
Ein kahler Baum ist eines Schläfers Küster.

(von Georg Trakl)


Bauernregeln für den Monat Dezember:
Fällt zu Eligius (1. Dezember) ein kalter Wintertag,
die Kälte wohl vier Monde dauern mag.
Barbara (4. Dezember) im weißen Kleid
verkündet gute Sommerzeit.
Regnet's an Sankt Nikolaus (6. Dezember),
wird der Winter streng und graus.
Ist St. Lazarus (17. Dezember) nackt und bar,
gibt's einen gelinden Februar.
Wenn St. Thomas (21. Dezember) dunkel war,
gibt's ein schönes neues Jahr.
Weihnachten im grünen Kleid
hält für Ostern Schnee bereit.
Entsteigt der Rauch gefrorenen Flüssen,
ist auf große Kält' zu schließen.
Wie auch das Wetter sich gestaltet -
beim Jahresschluss die Hände faltet!

Auch im Dezember gibt es frisches Grün, nur eben in der guten Stube:

In der warmen Stube mag man getrost Kresse aussäen; auch Keimsprossen, so man Geschmack am Verzehr derartiger Keimlinge findet.
Zumindest die Petersilernte ist im Freiland weiterhin möglich, wenn die Pflanzen geschützt unter Fichtenzweigen stehen.
Aus seichten Gartenteichen (als seicht gelten solche, die weniger als 80 cm tief sind) nimmt man spätestens jetzt etwaig vorhandene Seerosen heraus und bringt sie zum Überwintern in den Keller.
Denken Sie bitte auch an das darbende Geflügel draußen und streuen Sie ihm regelmäßig Futter.


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