Yasunari Kawabata: "Schönheit und Trauer"

Trauriges über die Liebe


Es ist der 29. Dezember. Der Schriftsteller Toshio Oki ist einsam, als er seine Reise zum Chionin-Tempel antritt, um dort, in Kyoto, die Neujahrsglocken zu hören.
Die Fahrt in dem Aussichtswagen ist auch eine Reise in seine Vergangenheit, die, wie der Leser bereits weiß, mit einem Verrat zu tun hat, der zwanzig Jahre zurückliegt. Zeit, die erlebte und die verstreichende, spielt eine Rolle.
Oki ist 54 und er will seine große Liebe, die Malerin Otoko Ueno wiedersehen. Es trennt sie eine Kluft von vielen Jahren und Oki quält unentwegt der Gedanke, Otokos Leben zerstört zu haben. Schließlich hatte damals sein Romandebüt ‚"Ein Mädchen von sechzehn Jahren", ihrer beider Geschichte zum Inhalt. Okis Frau, die das Manuskript für ihn bearbeitet hatte, erlitt nach Abschluss dieser Arbeit eine Fehlgeburt. Auch Otoko verliert ein Kind von ihm, dem verheirateten Familienvater.
"Zwei Leben waren mit diesem Roman begraben (und) das Buch hatte sich dem Autor entzogen und führte ein Eigenleben".
Nicht genug, ist es für Otoko in der japanischen Gesellschaft auch fortan unmöglich, Ehefrau und Mutter zu werden. Sie verschwindet still und fordert als Abwesende nun umso nachhaltiger Präsenz ein.
Die Beiläufigkeit seiner Existenz kommt Oki angesichts dieser Fahrt schändlich zu Bewusstsein. Es scheint, als hätte er nur gelebt, um Otoko wiederzusehen.

Otoko, inzwischen eine angesehene Malerin des japanischen Stils, lebt in einer Beziehung mit ihrer jungen Schülerin Keiko, doch in ihren Bildern spiegelt sich ihre Liebe zu Oki.
Keiko beschließt aus Eifersucht, Rache an Oki zu nehmen. "Ich will von Herrn Oki ein Kind für dich stehlen. Ich würde es zur Welt bringen und dir geben."
Kokett schleicht sie sich in sein Leben, sie schenkt ihm ihre besten Bilder ...

Der Japaner Kawabata, der 1968 den Nobelpreisträger erhielt, hat diesen gelungenen Roman Anfang der 1960iger Jahre verfasst.
Die literarisch dichte Handlung spannt sich zwischen der nuancierten erotischen Begegnung Okis mit Otoko einerseits und der lesbischen Beziehung Letzterer zu Keiko.
Wenn es einen Topos in der japanischen Kunst gibt, der sich über die Jahrhunderte auch in der Literatur gehalten hat, dann sind es die Landschaftsbeschreibungen. Auch bei Kawabata ist es mit der geografische Raum, aus dem sich das Geschehen dieses Romans heraus entwickelt. Der Autor lässt wechselseitige Verstehensmöglichkeiten beider Welten offen. Es ist die Opposition der bildhaft, dynamisch beschriebenen Landschaften, Farben, Jahreszeiten und Gemälde mit den innersten Gefühlsregungen der Menschen, was dieses Werk lesenswert macht. Die schlichte Erzählweise zeigt, dass Einfachheit, Vertrauen in die Sprache einmal vorausgesetzt, ein Weg zu Erinnerung und Wahrheit sein kann.

(Mag. Petra Sperker; 08/2004)


Yasunari Kawabata: "Schönheit und Trauer"
(Originaltitel "Utsukushisa To Kanashimi To")
Aus dem Japanischen von Heinz Haase.
dtv, 2004. 192 Seiten.
ISBN 3-423-13216-7.
ca. EUR 9,30.
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Yasunari Kawabata wurde am 11. Juni 1899 als Sohn eines Arztes in Osaka geboren. Von 1917 bis 1927 studierte er in Tokio Anglistik und japanische Literatur. Seine zahlreichen Romane und Erzählungen schildern häufig autobiografisch Begründetes. 1968 erhielt er den Nobelpreis für Literatur ("für seine Erzählkunst, die mit feinem Gefühl japanisches Wesen und dessen Eigenart ausdrückt")
Kawabata starb am 16. April 1972 in Zushi bei Yokohama durch Selbstmord.

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Mit seinem Roman hat der Nobelpreisträger Kawabata (1899-1972) nichts anderes getan, als die ebenso ungewöhnliche wie einfache Grundsituation festzuhalten, einprägsam zu machen - und damit zu überhöhen zu einer Geschichte von Liebe und Tod, von Jugend und Alter, von Männern und Frauen.
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