Frank Delaney: "Schwert und Harfe"

Die große Irland-Saga


Anfang der 1950er Jahre: Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende, und die britische Regierung hat genug zu tun, um sich einige Zeit nicht allzu sehr um Irland zu kümmern. Dies wirkt sich zunächst in Nordirland aus; in der Republik war es eigentlich schon länger ruhig gewesen.
Dort lebt der neunjährige Ronan O'Mara mit seinem Vater John, seiner Mutter Alison und seiner Tante Kate unter einem Dach. Seine Tante ist ihm eine bessere Bezugsperson als seine Mutter, aber alle Personen im Haushalt richten sich am Vater aus, der wirklich das Herz des Hauses darstellt.

Ein Stück Kohle knackte im Kamin. Der Geschichtenerzähler sog kräftig an seiner Pfeife, die leise schmauchende Geräusche machte. Kurz darauf bekam das Publikum noch mehr Zuwachs, denn ein weiteres Paar schlenderte von der anderen Seite des Wegs mit seiner kleinen Tochter herbei.
Die Nachricht hatte sich offensichtlich herumgesprochen. Vielleicht hatte jemand auf den Farmen ringsum den großen Fremden über die nebligen Wiesen zu ihnen heruntersteigen sehen und erraten, wer oder was er war. Er würde also eine ansehnliche Zuhörerschaft haben heute Abend. Ob er auch am nächsten Abend eine haben würde, gar zu einem Ereignis würde, das hing von ihm ab.
"Was möchten Sie in Ihren Whiskey?", fragte der Gastgeber.
Einer der Nachbarn rief: "Noch mehr Whiskey!", und alle lachten.
Nach ein paar Minuten frohgelaunten Schwatzens kamen sie zur Ruhe. Es gab noch keinen elektrischen Strom damals in den Häusern, und die Öllampe am Fenster und eine andere Lampe mit einem Glasschirm an der Wand warfen goldumrandete Schatten in den Raum. Der Widerschein des Kaminfeuers spielte auf dem langen Gesicht des Geschichtenerzählers. Er wackelte mit seiner Pfeife, lehnte sich bequem zurück und begann.

(Aus dem Roman)

Als eines Tages ein alter Geschichtenerzähler ins Haus kommt, ist Ronan vollauf begeistert und kann kaum den nächsten Abend erwarten, um dann die nächste Geschichte zu hören.
Auch Kate und John scheinen - zusammen mit etlichen eingeladenen Nachbarn - den Besucher und seine Arbeit überaus zu schätzen. Nur Alison wirkt unzufrieden, und am dritten Tag weist sie dem Erzähler die Tür - sehr zum Leidwesen des jungen Ronan.

Dieser beginnt nun - mehr oder minder unterstützt von seinem Umfeld - den verschiedenen irischen Erzählungen der letzten fünftausend Jahre nachzuspüren und sich dabei auch ernsthaft mit der Geschichtsschreibung auseinanderzusetzen.
Außerdem versucht er auf diesem Weg dem Erzähler nachzuspüren, der sich aber selten länger als drei Tage an einem Ort aufhält.

Solcherart lernt Ronan O'Mara immer mehr Geschichten und Geschichte kennen - mit ihm auch der Leser - und erhält von seinem Zielobjekt immer wieder direkte oder indirekte Botschaften, die sein "Jagdfieber" aufrechterhalten.
Seine Studien bringen ihn bis nach Dublin, wo er sich für das Fach irische Geschichte einschreibt und so gewissermaßen seine Obsession zu seinem Beruf macht. Und zwar überaus erfolgreich, so dass es ihm gelingt, seine Suche sowie seine Sammlung an Geschichte(n) zu systematisieren.
Schließlich kommt Ronan einem Geheimnis um den Geschichtenerzähler auf die Spur, das ihn und seine eigene Familie sehr direkt berührt - verbunden mit einem familieninternen Geheimnis, das ihn zunächst einigermaßen aus der Bahn wirft.

"Schwert und Harfe" bietet eine interessante Rahmenhandlung mit sehr vielen - mehr oder weniger - interessanten "Binnengeschichten", die sich etwa von vierten Jahrtausend vor Christus bis zum Osteraufstand in Dublin 1916 erstrecken. Gut erzählt sind sie eigentlich alle, und man bekommt auch einige interessante etymologische Hinweise. 
Fazit: Auf jeden Fall eine lohnende Anschaffung.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 02/2008)


Frank Delaney: "Schwert und Harfe. Die große Irland-Saga"
(Originaltitel "Ireland. A Novel")
Übersetzt von Karin Diemerling.
Droemer / Knaur. 672 Seiten.
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Frank Delaney wurde 1942 im Süden der irischen Insel geboren. Er arbeitete lange als Rundfunk-Korrespondent für die "BBC" in Dublin, leitete eine populäre Literatursendung und produzierte erfolgreiche TV-Dokumentarfilme, z.B. eine in vierzig Länder verkaufte Serie über die Kelten. Er ist Autor mehrerer Sachbücher und Romane.

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