Christian Rätsch: "Der heilige Hain"

Germanische Zauberpflanzen, heilige Bäume und schamanische Rituale


Bebilderte Reise in die germanische Schamanenwelt, mit konkreten Berauschungsrezepten

"Der Heilige Hain ist ein heilender und göttlicher Wald, ein spiritueller Ort, ein Tempel der Natur, ein Hort zauberkräftiger Pflanzen und Tiere. Der Tempel der Germanen war kein künstliches Gebäude, es war der Wald, der Heilige Hain. Die Bäume waren Gottheiten und die Pflanzen hatten Zauberkraft."
Christian Rätsch

In der Sachbuchliteratur gibt es im Prinzip drei Gütestufen. Die erste sind Bücher über bereits Bekanntes, zusammengeschrieben aus erfolgreicheren Büchern, saprophytische Werke, mit denen sich wankende Verlage sanieren können. Darüber stehen Bücher, die bereits Bekanntes mit Unbekanntem ergänzen und zu einem neuen Gebilde formen. Zwar wird hier alter Wein in neuen Schläuchen angeboten, aber immerhin. Die höchste Stufe stellen originäre Werke dar, die Ergebnis einer oft lebenslangen Leidenschaft des Autors sind.

Die Bücher des Hamburger Ethnopharmakologen, Ethnobotanikers und Altamerikanisten Dr. Christian Rätsch, Jahrgang 1957, gehören zu den Perlen der Sachbuchliteratur. Er wurde bekannt durch das Standardwerk "Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen" und ist in den letzten Jahren gemeinsam mit der Historikerin Claudia Müller-Ebeling zum Vorreiter der Schamanismus- und Hexenwelle geworden, die im deutschen Sprachraum aus der allgemeineren New-Age-Esoterikbewegung hervorblühte. Ihr Kennzeichen ist die Rückbesinnung auf germanisches Erbe. Als Kernschrift gilt immer noch der Aufsatz des römischen Geschichtenschreibers P. Cornelius Tacitus "De origine et situ Germanorum" aus dem ersten Jahrhundert nach Christus. Mittlerweile aber formt sich durch archäologische Funde und in der Zusammenschau biologischer, medizinischer und ethnologischer Quellen ein weit genaueres, wenn auch in vielem noch spekulatives Bild über unsere Vorfahren. Rätsch arbeitet solide. Sein Buch "Der Heilige Hain" könnte durch seinen Titel von vielen als eilfertiges Bedienen der derzeitigen Mythologiebegeisterung missverstanden werden. Wer das Buch aber liest, wird beschämt von der Qualität der hier versammelten Erkenntnisse, unterhalten von der auch optisch gefälligen Aufbereitung, und entzückt von so noch nirgendwo gelesenen Informationen. Der Autor ist ja dafür bekannt, ganz konkrete Rezepte für Liebestränke und Rauschmittel weiterzugeben, die übrigens gesundheitlich nicht ganz unbedenklich sind. Wo anderswo harmlose Stimulanzien angeboten werden, um rechtliche Haftung auszuschließen, erwähnt Rätsch nach Bekanntgabe der Inhaltstoffe von Bilsenkrautbier nur kühl, dass es in geringerer Dosis berausche, in mittlerer Dosis geil mache, in höheren Dosen verblöde und in noch höheren töte. Ich habe den Eindruck, dass er von einem sehr reifen Leser ausgeht.

Höhepunkte dieses Buchs sind die umfassenden Darstellungen der Zauberpflanzen, die sowohl in Bezug auf ihre mythologische Wurzel, ihre botanischen Eigenschaften und als Arzneipflanzen besprochen werden. Das Buch ist perfekt dafür geschaffen, einmal selbst aus verschiedenen Gräsern "Knaster" herzustellen, Tabakersatz, den man früher kannte, und diesen mit halluzinogenen Pflanzen zu versetzen. Man lernt, Fliegenpilz in Schnaps einzulegen und vieles Andere mehr. Das Buch hat mich so neugierig auf den Autor und seine Wohnstatt gemacht! Im Wohnzimmer hängt wahrscheinlich beständig ein Dunst "Rauch für den Odinskopf" aus Alantwurzel, Kiefernharz, Bilsenkrautblättern und Beifußkraut, und in seinem Keller warten unzählige Flaschen des "Mets der Begeisterung" auf dröge Winterstunden. Übrigens schmeckt dieser am besten, wenn er für zwei bis drei Monate kühl gelagert wird, was nichts für Unbeherrschte ist. Und dann der Autor selbst: Das Antlitz gelassen, beseligt, seine Füße zwei Zentimeter über dem Boden, Arme und Beine ausgestreckt zur Weltenbaumrune, Symbol der kosmischen Entfaltung. Manchmal habe ich das Gefühl, wenn ich einmal ein bisschen älter werde, und mich das Zipperlein plagt, werde ich zum Rätsch. Es ist ein besseres Leben.

(Berndt Rieger; 04/2005)


Christian Rätsch: "Der heilige Hain"
AT Verlag, 2005. 120 Seiten, mehr als 80 Fotos.
Buch bei amazon.de bestellen

Weitere Bücher des Autors:

"Urbock. Bier jenseits von Hopfen und Malz. Von den Zaubertränken der Götter zu den berauschenden Bieren der Zukunft"

Bier, das meistgetrunkene alkoholische Getränk der Menschheit, diente in alter Zeit als Nahrung und Trank, war eine heilkräftige Medizin und wurde in magischen Ritualen verehrt. Es wurden ihm die verschiedensten hochwirksamen Kräuter und Rauschdrogen beigegeben. Solches Bier wirkte bewusstseinserweiternd, stimulierend und aphrodisisch. Es schenkte himmlische Visionen, köstliche Ekstasen und unerschütterliche Stärke. Dieses reich illustrierte Buch erzählt die geheime Geschichte des Bieres - vom Alraunenbier der alten Ägypter über den keltischen Zaubertrank und das echte Ur-Bock bis hin zu den berauschenden Bieren der Zukunft. Es zeigt, was Bier ursprünglich war und vielleicht wieder einmal sein wird: ein Zaubertrank der Götter. (AT Verlag)
Buch bei amazon.de bestellen

Claudia Müller-Ebeling, Christian Rätsch: "Zauberpflanze Alraune" zur Rezension ...

Christian Rätsch, Roger Liggenstorfer: "Pilze der Götter" zur Rezension ...

Christian Rätsch, Jonathan Ott: "Coca und Kokain" zur Rezension ...