Bertolt Brecht: "Wie ich mir aus einem Roman gemerkt habe ..."
Früheste
Dichtungen
Herausgegeben von Jürgen Hillesheim
Brecht
als junger Mann
Frei nach dem Erstlingsroman von James Joyce könnte man sagen,
hier liegt "Ein Porträt des Künstlers als junger Mann" zu Brechts
Jugendzeit vor - als er in Augsburg eine Schülerzeitung
leitete, Tagebuch führte und erste Veröffentlichungen
in Zeitungen anging. Bereits mit 15 war ihm klar, dass er
Schriftsteller werden wollte, und er versammelte einige Gleichgesinnte
um sich, die aber stets seine künstlerische
Überlegenheit anzuerkennen hatten. Brecht
wollte ernst genommen werden und schätzte von Anfang an den
Wert von Dichtung auch danach ein, dass man damit Geld verdienen konnte
- er demonstrierte somit seine "Lebenstüchtigkeit" (vgl.
Nachwort von Jürgen Hillesheim).
Die frühen Texte und Tagebuchaufzeichnungen (die im
vorliegenden Band dazwischengestreut sind) machen deutlich, wie sich
Brecht regelrecht abmühte, sich "handwerkliche Voraussetzungen
anzueignen" (ebd.), indem er unterschiedliche Genres nachahmte. Er
beschäftigte sich gezielt mit Werken der (Welt-)Literatur, die
er auch "ungeniert als Materialfundus" betrachtete (ebd.).
Problematisch sind die Texte, die Brecht 1914 mit Kriegsbeginn in zwei
Augsburger Zeitungen abgedruckt bekam - sie mussten
äußerlich "vaterländisch" geprägt
sein; Hillesheim entdeckt aber "Brüche, Züge von
Parodie, Literarisierung, wenn nicht gar Ästhetisierung, damit
Distanz zum tagespolitischen Geschehen" in ihnen (ebd.).
Unter seinem ersten Text dieser Periode "Turmwacht" (8. August 1914)
stand die Formulierung "wie ich mir aus einem Roman gemerkt habe" - was
man als Distanzierung deuten kann. In seinen "Augsburger Kriegsbriefen"
imitiert Brecht im Grunde das Genre der Kriegsreportage, da er ja aus
eigenem Erleben nichts wissen kann! Trifft er einerseits den Ton
pathetischer Gelegenheitsdichtung, so unterscheidet er sich doch vom
"martialischen Dröhnen" eines Ludwig Ganghofer (ebd.). Brecht
fühlte sich erfasst von einer "Dichteritis" und übte
sich bewusst im "Lavieren" und literarischen Distanzieren (zit. Brecht).
Im Wesentlichen folgen die Texte der "Großen kommentierten
Berliner und Frankfurter Ausgabe" (GBA) von 1988 - 2000, wobei einige
wenige Texte ergänzt wurden. Überdies sind auch
Gedichte anderer Autoren abgedruckt, die Brecht thematisch zu den
seinen notiert hatte. Worin besteht nun also der spezifische Wert des
vorliegenden Bandes?! Vielleicht einfach nur darin, dass man hier
einmal ganz bewusst den isolierten Jugendtexten Brechts nachgehen kann,
dazwischen seine Tagebuchkommentare liest und konkret Texte von Autoren
mitregistrieren kann, mit denen er sich damals thematisch verglich.
Da findet sich durchaus noch läppisches Gereime und
(hoffentlich) unfreiwilliges Pathos - etwa in seinem "Arbeiter"-Gedicht
(1913): "Ob sie nicht in den vielen Jahren / Einmal im Zorne wild
auffahren / Und ihre Sklavenfesseln mit Rütteln / Unter wildem
Fluchen / Jäh suchen abzuschütteln?" Der Teenager
bedichtet alte Ritter, Judas, Bettler, Alexander den Großen,
die Natur, die Jahreszeiten, Gerhart Hauptmann, die Bibel, den Krieg -
manches wäre wohl besser nicht bekannt geworden, man muss es
dem jugendlichen Ehrgeiz Brechts zuschreiben und ihm womöglich
solche Jugendsünden verzeihen: "Donnernd Gestampf /
Dröhnt unter der Erde auf und füllt ehernen Himmel. /
Massen von Regimentern fluten über die Äcker zum
Kampf."
Vielleicht sollte man anlässlich dieser Edition auch jungen
Autoren raten, mit ihrem Veröffentlichungsdrang hauszuhalten -
und an die Verlage könnte die Frage gerichtet werden, ob
solche Veröffentlichungen unausgegorenen juvenilen Ringens mit
dem Zeitgeist im Nachhinein womöglich rufschädigend
für den betroffenen Dichter sein könnten?! Statt von
toten Autoren die letzten noch irgendwo auffindbaren Kritzeleien an die
Öffentlichkeit zu zerren, sollte man etwa von noch lebenden
Autoren bisher vernachlässigtes, im Untergrund gereiftes
Material publizieren. Nichts gegen Brecht oder Suhrkamp - aber: Si
tacuisses ...
(KS; 08/2006)
Bertolt
Brecht: "Wie ich mir aus einem Roman gemerkt habe ..."
Suhrkamp, 2006. 235 Seiten.
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Weitere
Tipps zum Lesen und Hören:
Martha Schad: "Komm und setz dich, lieber Gast. Am Tisch mit Helene
Weigel und Bert Brecht"
Anlässlich des 50. Todestages von Bertolt Brecht am
14. August 2006 begab sich die renommierte Historikerin Dr. Martha
Schad ("Frauen gegen Hitler", "Stalins Tochter", "Zu Gast bei Kaiserin
Elisabeth und König Ludwig II.") auf kulinarisch-literarische
Spurensuche. Von Augsburg bis Berlin zeigt sich Brecht wahrlich in
keiner Hinsicht als Kostverächter. Insbesondere auch die Jahre
mit Helene Weigel sind geprägt von Kulinarischem.
Über fünfzig Originalrezepte und viele bisher wenig
bekannte Details bringen einen der bedeutendsten deutschen Dichter und
Dramatiker, einen politischen und zeitlebens engagierten Menschen, der
bis heute zu den weltweit meistgespielten Bühnenautoren
zählt, denjenigen nahe, die schon viel zu wissen glauben und
macht zugleich all denen Lust auf die Beschäftigung mit
Brecht, die ihn bisher so nicht kannten. (Collection Rolf
Heyne)
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"Bertolt
Brecht. Dramen"
Ihm verdankt das Theater große Stücke und
unsterbliche Songs. Anlässlich seines 50. Todestages am
14.August 2006 bietet der DAV eine umfangreiche Edition des deutschen
Dramatikers Bertolt Brecht aus dem Fundus deutscher Rundfunkarchive.
Die Hörspieledition umfasst die klassische
Schullektüre von "Mutter Courage und ihre Kinder" bis hin zu
"Der gute Mensch von Sezuan". Zugleich skizziert sie die Entwicklung
des jungen Brecht vom Schüler Max
Reinhardts bis zum Erfinder des epischen Theaters. Mit
hochkarätiger Besetzung sind die zehn CDs ein
repräsentativer Querschnitt aus 50 Jahren Brecht im Radio, mit
einer kurzen Einführung der Stücke von
"SPIEGEL"-Redakteur Wolfgang Höbel. (Der Audioverlag)
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Ana
Kugli, Michael Opitz (Hrs.): "Brecht-Lexikon"
Brecht für Liebhaber und Neugierige. 400 Artikel zu Brechts
Vita, zu seinen Texten und deren Rezeption enthüllen
Wissenswertes und Skurriles. Welche Menschen wirkten in seinem Umfeld?
Einträge zu Kurt Weill und Paul Dessau sind ebenso zu finden
wie zu Schauspielerinnen oder den Schriftstellerkollegen Lion
Feuchtwanger und Thomas Mann. Artikel zu Institutionen und Orten, an
denen Brecht gewirkt hat, und Begriffe wie "Boxen", "Freundlichkeit"
oder "Zigarren" fehlen im Lexikon natürlich nicht.
Amüsant und aufschlussreich. (Metzler)
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Ernst
Schumacher: "Mein Brecht. Erinnerungen"
Ernst Schumacher lernt Bertolt Brecht im Berliner Osten nach dessen
Rückkehr aus dem Exil kennen. Eine tiefe gesellschaftliche
Sorge gegenüber den politischen und kulturellen Entwicklungen
prägt die Themenvielfalt ihrer Gespräche, das
Nachdenken über Form und gesellschaftliche Bedeutung des
Theaters und nicht zuletzt ihre genaue, dem Humanismus verpflichtete
Wahrnehmung der zeithistorischen Entwicklung in Ost und West. Die
Erinnerungen sind ein Meisterwerk persönlicher
Rückschau, aufrichtig, kritisch, fesselnd. Dem Zeitgeist
enthoben und von einer nicht enden wollenden Vitalität. Dabei
hellsichtig genug, um unserer Generation ein Zeugnis abzulegen davon,
wie persönlicher Mut und kulturelle Verantwortung eine
Stellungnahme zur politischen Wirklichkeit einfordern. Hier spricht ein
letzter großer Zeuge einer Zeit, die auch heute noch die
unsere ist. (Henschel)
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