Neuntes Kapitel
Über die Art, mit Tieren umzugehn

1.

In einem Buche über den Umgang mit Menschen scheint wohl freilich ein Kapitel über die Art, mit Tieren umzugehn, nicht an seinem Platze. Allein was ich hierüber zu sagen habe, ist so wenig und hat doch im ganzen so viel Bezug auf das gesellschaftliche Leben überhaupt, daß ich hoffen darf, man wird mir diese kleine Ausschweifung gütigst verzeihn.

2.

Der Gerechte erbarmet sich auch seines Viehes - das ist ein vortrefflicher Spruch; ja, der edle, der gerechte Mann martert kein lebendiges Wesen. Wenn doch die hartherzigen, grausamen oder, um billiger zu urteilen, zum Teil nur leichtsinnigen, verwilderten Menschen, deren Augen sich an der Qual eines rastlos umhergetriebenen Hirsches oder an der Todesangst eines in dem Schauplatz der Barbarei auf den Tod gehetzten Viehs weiden können; wenn die Unbesonnenen, die mit dem Leben eines armen Geschöpfs, das in ihre kindischen Hände fällt, wie mit einem Balle spielen, Fliegen und Käfern Beine ausreißen oder sie spießen, um zu sehn, wie lange ein also leidendes Tier in konvulsivischer Pein fortleben kann; wenn die vornehmen Müßiggänger, die, um die Ehre zu haben, am schnellsten der lieben Langeweile in den Rachen zu reiten oder zu fahren, ihre armen Pferde auf den Tod jagen; wenn diese und alle, die nicht erweicht werden durch den Anblick der geängsteten, duldenden, von dem grausamsten aller Raubtiere, von dem Menschen, mit kaltem Blute, nicht aus Hunger, sondern aus Mutwillen nur gemarterten Kreatur; nicht erweicht werden durch das anklagende Seufzen und Winseln dieser unglücklichen Geschöpfe zu ihrem und unserm gemeinschaftlichen Schöpfer; wenn sie doch nur bedenken wollten, daß diese Tiere zwar zu unsrer Nahrung auf der Erde sind, nicht aber, um von uns gepeinigt zu werden, und daß keine Kreatur das Recht haben könnte, mit dem Leben einer andern Kreatur, der Gott einen Odem eingeblasen hat, sein Spielwerk zu treiben; daß dies Versündigung an dem Vater aller lebendigen Wesen ist; daß ein Tier ebenso schmerzhaft Mißhandlung, barbarischen Mißbrauch größerer Stärke und Wehe fühlt als wir, und vielleicht noch lebhafter, da seine ganze Existenz auf sinnlichen Empfindungen beruht; daß diese Existenz vielleicht seine erste Stufe ist, um auf der Leiter der Schöpfung dahinauf zu steigen, wo wir jetzt stehen; daß Grausamkeit gegen unvernünftige Wesen unmerklich zur Härte und Grausamkeit gegen unsre vernünftigen Nebengeschöpfe führt - wenn sie doch das alles fühlen und ihr Herz dem sanften Mitleiden gegen alle Kreaturen eröffnen wollten!

3.

Doch wünsche ich, man möge diese Exklamationen nicht auf die Rechnung einer abgeschmackten Empfindelei schreiben. Es gibt so zarte Männlein und Weiblein, die gar kein Blut sehn können, die zwar mit großem Appetit ihr Rebhühnchen verzehren, aber ohnmächtig werden würden, wenn sie eine Taube abschlachten sehn müßten; Leute, deren Federn und Zungen mit moralischem Gifte und Dolche den Freund und Bruder verfolgen, aber mitleidig einer matten Fliege das Fenster öffnen, damit sie fern von ihren Augen - zertreten werden könne; die ihre Bedienten in dem raschesten Wetter ohne Not stundenlang umherjagen, aber dagegen herzlich den armen Sperling bedauern, der, wenn es regnet, ohne Paraplü und Überrock herumfliegen muß. Zu diesen süßen Seelchen gehöre ich nicht, halte auch nicht alle Jäger für grausame Menschen - es muß ja dergleichen Leute geben, so wie wir, wenn keine Schlächter in der Welt wären, bloß von Speisen aus dem Pflanzenreiche leben müßten - aber ich verlange nur, daß man nicht ohne Zweck und Nutzen Tiere martern noch ein vornehmes Vergnügen darin suchen solle, mit wehrlosen Geschöpfen einen ungleichen Krieg zu führen.

4.

Ich habe immer nicht begreifen können, welche Freude man daran haben kann, Tiere in Käfigen und Kästen einzusperren. Der Anblick eines lebendigen Wesens, das außerstand gesetzt ist, seine natürlichen Kräfte zu nützen und zu entwickeln, darf keinem verständigen Manne Freude gewähren. Wer mir daher einen schönen Vogel in einem Bauer schenken will, dem kann ich vorhersagen, daß das einzige Vergnügen, welches er mir dadurch verschaffen kann, das sein wird, sein Bauer zu öffnen und das arme Tier aus der Sklaverei in Gottes freie Luft hinausfliegen zu lassen; auch ist eine Menagerie, in welcher wilde Tiere mit großen Kosten in kleinen Verschlägen aufbewahrt werden, meiner Meinung nach ein sehr ärmlicher Gegenstand der Unterhaltung.

5.

Noch abgeschmackter aber scheint es mir, wenn man sich an einem Vogel ergötzt, der seinen schönen wilden Gesang hat vergessen müssen, um vom Morgen bis zum Abend die Melodie einer elenden Polonaise zu pfeifen, oder wenn man Geld ausgibt, um einen Hund zu sehn, den man gelehrt hat, eine Reverenz wie ein Tanzmeister zu machen und auf den Wink seines Meisters anzudeuten, wieviel schöne Junggesellen in der Versammlung sind.

6.

Habe ich aber diejenigen getadelt, die grausam gegen Tiere verfahren, so muß ich doch auch sagen, daß andre in die entgegengesetzte Übertreibung fallen, indem sie mit dem Viehe wie mit Menschen umgehen. Ich kenne Damen, die ihre Katze zärtlicher umarmen als ihre Ehegatten; junge Herrn, die ihren Pferden sorgsamer aufwarten als ihren Oheimen und Basen, und Männer, die gegen ihre Hunde mehr Zärtlichkeit, Schonung und Nachsicht beweisen als gegen ihre Freunde, die sich von jenen müssen mit Flöhen bevölkern lassen. Indessen scheinen manche Tiere in besserm Rufe zu stehn als andre. Niemand schämt sich zu bekennen, daß er Flöhe habe; Läuse hingegen darf kein Mensch von Erziehung mit sich führen, und doch ist beides Ungeziefer und an Geselligkeit geben die letztern den erstern nichts nach.


 
aus Adolph Freiherr von Knigges "Über den Umgang mit Menschen"
Insel 2001; 453 Seiten
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