MATROSEN, HIER,
            AM UFER
            MÜSSEN WIR DÖRFER FINDEN!
          
        Die
          Lyrik der Kärntner
          Slowenen im zwanzigsten Jahrhundert 
(von Janko Ferk)
Vor
          ungefähr zwanzig Jahren habe ich mit dem
          slowenischen Schriftsteller Pavle Zidar zum ersten Mal über
          die Kärntner
          Literatur gesprochen, über die Lyrik und Prosa. Zidar
          konstatierte damals, dass
          es Gemeinde- oder Regionalliteraturen nicht gebe, sondern nur eine
          slowenische.
          Diesem Gedanken habe ich selber auch heute nichts
          hinzuzufügen. Die Kärntner
          slowenische Literatur entsteht in Kärnten und ist ein
          wesentlicher Teil der
          gesamtslowenischen. Die Frage ähnelt jener über die
          österreichische und
          bundesdeutsche Literatur; beide werden in ein und derselben Sprache
          geschrieben, sie entstehen jedoch in zwei Staaten.
          
          Betonen möchte ich, dass die Kärntner slowenische
          ohne den Kontext der
          gesamtslowenischen Literatur nicht existiert. Diesem Gedanken ist in
          seiner
          Rezeption schon vor ungefähr dreißig Jahren der
          Laibacher Ordinarius Matjaž
          Kmecl gefolgt, der nie nachsichtig war. Auf Kosten der
          Minderheitenposition hat
          er niemandem Rabatt gewährt.
          
          Bevor ich mich unmittelbar mit meinem Thema, der Kärntner
          slowenischen Lyrik im
          zwanzigsten Jahrhundert, beschäftige, werde ich sehr reduziert
          und kurz den
          gesamtslowenischen Literaturhintergrund dieser Zeit aufzeigen, weil er
          zweifellos Einfluss auf die Kärntner slowenischen
          Schriftsteller hatte. 
          
          Die erste Bruchlinie in der Geschichte dieses Jahrhunderts war auch
          für die
          Literatur das Jahr 1918, das Ende des Ersten Weltkriegs. Dieser
          Zeitraum reicht
          bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs und sprechen wir über
          die Literatur
          zwischen den Kriegen.
          
          Die slowenische Literatur entwickelte sich zwischen den Kriegen auf
          den
          Traditionen der Moderne und unter dem Einfluss relevanter
          Strömungen in den
          europäischen Literaturen. Die stärkste literarische
          Strömung nach dem Jahr 1920
          war der Expressionismus, der sich in Slowenien und Europa gleichzeitig
          durchsetzte.
          
          Die wichtigsten slowenischen Lyriker, die die Moderne fortgesetzt
          haben, waren
          Igo Gruden und Alojz Gradnik. Besonders hinweisen möchte ich
          auf Edvard Kocbek,
          einen Vertreter des religiösen Expressionismus. Die
          exemplarische Gestalt des
          ersten Jahrzehnts ist jedoch der Karster Lyriker Srečko Kosovel.
          
          Während des Zweiten Weltkriegs, zur Zeit des slowenischen
          Befreiungskampfes,
          entwickelte sich das Partisanenlied (-gedicht), und zwar auf der
          Grundlage
          alter Arbeiter- und Heimatlieder. Zwei maßgebliche Vertreter
          dieser Gattung
          sind Matej Bor und Karel Destovnik-Kajuh.
          
          Dieser Ära folgt die Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg, auf
          die
          verschiedenste Einflüsse wirksam wurden, wobei der Realismus,
          Existenzialismus,
          Strukturalismus, Konstruktivismus und Ludismus überwiegen.
          
          Die slowenische Lyrik schöpft in den ersten Nachkriegsjahren
          ihren Stoff aus
          dem Befreiungskampf. In den fünfziger Jahren werden die
          Reflexionen der eigenen
          Erlebnisse und Gefühle relevant. Die Dichter bringen ihre
          Einsamkeit, die
          Enttäuschung über unerfüllte
          Jugendträume, ihre Anonymität in der technisierten
          Gesellschaft und ihre Ängste vor der Katastrophe in der
          Atombombenzeit zum
          Ausdruck. In ihren Gedichten zeichnen sie mit Ironie und Satire die
          Fehler der
          Nachkriegsgesellschaft zuhause und in der Welt.
          
          Als Dichterpersönlichkeiten haben sich in dieser Zeit Jože
          Udovič und Edvard
            Kocbek am
          meisten profiliert.
          
          In den folgenden Jahrzehnten machen auf sich zahlreiche
          Repräsentanten der jüngeren
          Generation aufmerksam, die die Träger neuer Einsichten und
          neuer Lebensrhythmen
          sind. Ihre Arbeit steht unter dem starken Einfluss
          westeuropäischer
          Philosophien und Literaturen. Ihre Poesie ist nicht mehr eine
          Reflexion
          im
          realistischen Sinn; sie wird immer hermetischer.
          
          Signifikant für die fünfziger Jahre war der
          gemeinsame Auftritt von vier
          Lyrikern, die für neue Inhalte und Formen in der slowenischen
          Lyrik gesorgt
          haben. Im Jahr 1953 haben Ciril Zlobec, Tone Pavček, Janez Menart und
          Kajetan
          Kovič gemeinsam den Lyrikband Pesmi štirih
            (Gedichte der vier)
          herausgegeben.
          
          Erwähnen möchte ich noch jene Lyriker, die seit den
          sechziger und siebziger
          Jahren bestimmend sind: Dane Zajc und Gregor Strniša sowie
          später Tomaž Šalamun
          und Niko Grafenauer. Grafenauer ist für
          mich überhaupt einer der interessantesten
          Lyriker der Gegenwart.
          
          Seit den siebziger und achtziger Jahren sind Schriftsteller in
          Erscheinung
          getreten, die nach dem Jahr 1950 geboren wurden. Ihr Einfluss auf die
          slowenische Literatur ist derart different, dass es schwer
          wäre, einen
          gemeinsamen Nenner zu finden, obwohl gemeinsame semantische Felder und
          ein
          ähnliches Verhältnis zu einigen Grundpoetiken der
          Autoren älterer Generationen
          konstatiert werden können, nicht zuletzt ihr
          Verhältnis zu formell-ästhetischen
          Fragen der unmittelbaren Vorgänger und Vorbilder. Man
          könnte feststellen, dass
          jeder Autor seine Tradition hat, weshalb eine solche auch eine
          Literatur in
          ihrer Gesamtheit vorweisen kann. Für die Kärntner
          slowenische Lyrik stelle ich diese
          Tradition in erster Linie im gesamtslowenischen Muster fest.
          
          Die ästhetische Entwicklung der Lyrik in den neunziger Jahren
          determinierte der
          Postmodernismus, den sozusagen alle Schriftsteller dieser Generation
          aufgenommen haben. Eine definitive und verkürzte Analyse der
          neuesten Ära der
          slowenischen Lyrik wäre hier nicht angebracht.
          
          Mein persönliches Bild über die slowenische Poesie
          nach dem Zweiten Weltkrieg
          habe ich schon ausgestellt und kann es besichtigt werden. Im Jahr 1995
          habe ich
          in der Edition Atelier in Wien eine Anthologie slowenischer Lyrik in
          deutschsprachiger Übersetzung herausgegeben, und zwar mit dem
          Titel eines
          Grafenauer-Gedichts, Nirgendwo eingewebte Spur (Nikamor
            vtkana sled).
          
          Ein hauptsächlicher Unterschied zwischen der Kärntner
          slowenischen und
          gesamtslowenischen Lyrik ist darin zu finden, dass in Kärnten
          der Kampf für die
          nationalen Rechte nicht nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
          finalisiert wurde,
          er hat sich wahrscheinlich erst in den neunziger Jahren beruhigt, als
          die beiden
          Vertretungsorganisationen der Kärntner Slowenen ihre
          strategische Politik in
          eine offene Aggression gegeneinander umgeformt haben, worin ihnen die
          Literatur
          bisher jedoch nicht folgte.
          
          Neben diesem kurzen Abriss der literarischen Entwicklung in Slowenien
          muss noch
          festgestellt werden, dass auf die Kärntner slowenische
          Literatur wesentlich
          auch die österreichischen literarischen Strömungen
          gewirkt haben. Die
          konkreteste Auswirkung besteht wohl darin, dass sich einige
          Schriftsteller für
          ein zweisprachiges Schaffen entschieden haben, andere wiederum bewusst
          und
          streng für das slowenische Schreiben, wie zum Beispiel Gustav
          Januš
          und Florjan Lipuš.
          
          Peter
            Handke, der Übersetzer der erwähnten
          Schriftsteller, meinte vor rund
          zwanzig Jahren, dass es für die Kärntner Slowenen von
          jeher bezeichnend gewesen
          sei, die Geschichte nicht nach den Machthabern, sondern nach den
          Schriftstellern auszumessen.
          
          In meiner Übersicht werde ich diesem System folgen und die
          Kärntner slowenische
          Literatur im zwanzigsten Jahrhundert mithilfe der einzelnen Lyriker
          dimensionieren, wobei ich beim ältesten beginnen werde.
          
          Drei Lyriker des zwanzigsten Jahrhunderts wurden noch im neunzehnten
          geboren,
          im Jahr 1873 Fran Eller, 1891 Anton Gabriel und 1896 Flora Rauter.
          Für alle ist
          signifikant, dass sie ihre Gedichte beziehungsweise Lyrikbände
          sehr spät
          herausgegeben haben.
          
          Fran Eller, ein gebürtiger Gailtaler, starb im Jahr 1956 als
          Professor im
          Ruhestand in Ljubljana. Sein Erstling mit dem Titel Koroške
            pesmi (Kärntner
Gedichte)
            erschien
          1947, 1995
          edierte France Bernik den Band Znane in neznane poezije
            (Bekannte und
            unbekannte Poesien), der in Klagenfurt verlegt wurde. Im
          Hermagoras Verlag
          in Klagenfurt ist nach dem Autor die Edition Eller (Ellerjeva
            edicija) benannt.
          
          Ellers Gedichte sind von Heimatgefühlen geprägt, sie
          sind überwiegend
          realistisch und impressionistisch, wobei sie der Autor in freieren
          traditionellen Formen geschrieben hat.
          
          Die Erstlinge Anton Gabriels und Flora Rauters sind in der Edition
            Eller des
          Hermagoras Verlags herausgekommen, und zwar in den Jahren 1986 und
          1991. 
          
          Gabriels Gedichte sind in einem sicheren Slowenisch verfasst und gilt
          die
          lyrische Intention seinem Volk.
          
          In den Gedichten Flora Rauters sind zwei Schwerpunkte auszumachen,
          nämlich ihre
          Bindung mit den heimatlichen Dörfern am Faaker See und der
          starke Einfluss des
          Religiösen.
          
          Nach diesen Autoren tritt aber schon eine der herausragenden
          Persönlichkeiten
          des Kärntner slowenischen literarischen Lebens an die
          Öffentlichkeit, die im
          Jahr 1902 geborene Lyrikerin Milka Hartman.
          
          Ihre ersten Arbeiten erschienen mit dem Titel Dekliške
            pesmi
            (Mädchengedichte) im
          Jahr 1934 im
          Selbstverlag. Nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte sie
          drei größere
          Sammlungen, darunter einen Dialektgedichtband mit dem Titel Pesmi
            z libuškega
puela
            (Gedichte
            vom Loibacher Feld). Ein
          sehr
          brauchbares Geleitwort verfasste der Slawist
          Pavel Zdovc.
          
          Milka Hartman schrieb Gelegenheitsarbeiten für verschiedene
          Feste und Feiern,
          daneben schuf sie ihr lyrisches Opus. Ihre Gedichte
          beschäftigen sich mit
          Religion, Liebe und ihrem Volk. Der Form nach sind sie einmal eher
          einfach und
          dann wieder raffinierter.
          
          Der Generation Hartmans gehört Anton Kuchling an, der im Jahr
          1903 geboren
          wurde und 1988 starb. Sein einziger Gedichtband mit dem Titel Drava,
povej,
kje
            dom je moj (Drau, sage, wo mein Zuhause ist) erschien
          1973. Seine
          Gedichte versuchen nicht, den Beruf des Autors zu verbergen: Der
          Priester Anton
          Kuchling hat Lyrik mit biblischen Motiven geschrieben, in der das
          Kärntner
          Slowenische betont wird.
          
          Jünger als Hartman und Kuchling sind Hani Weiss, geboren 1917,
          und Maks Sorgo,
          geboren 1918. Unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg haben sie auf ihr
          Talent
          aufmerksam gemacht. Beide fielen jedoch im Krieg, Weiss 1943, Sorgo
          ein
          Jahr
          später.
          
          Einige Jahre nach Weiss und Sorgo wurde der Publizist und Autor Janko
          Messner
          geboren, der eher zur Prosa gehört. (S.d. den
            Beitrag von Johann Strutz über
            die Kärntner slowenische Prosa im zwanzigsten Jahrhundert in
            diesem Band.) Festgehalten
          sei aber, dass Messner einige Gedichtbände
          veröffentlicht hat.
          
          In Messners Generation gehört noch Valentin Polanšek. Schon in
          seinem Erstling Grape
            in sonce (Gräben und Sonne), der im Jahr 1963
          erschien, hat er ein paar
          Grundelemente seiner Lyrik festgelegt. Einige Gedichte stehen in ihrer
          Einfachheit der Poesie Milka Hartmans nahe, andere
          befleißigen sich des
          allgemein bekannten Lyrikinstrumentariums. Ungewöhnliche
          Metaphern oder
          Satzkonstruktionen sind nicht Polanšeks
          Sache. In
          einigen Gedichten hat er versucht, das
          Grundlegende des Kärntner Slowenischen plastisch darzustellen.
          Seine Intention
          waren dabei Emotionen und Sentimente. Im eigentlichen sind die
          Gedichte
          einfach
          und verständlich.
          
          Der im Jahr 1936 geborene Andrej Kokot war jahrzehntelang
          ausschließlich
          Lyriker und verfasste in den neunziger Jahren seine Erinnerungen.
          Matjaž Kmecl hat
          1976 in der
          Anthologie Ta hiša je moja pa vendar moja ni (Dies
            Haus ist mein und doch
            nicht mein) diagnostiziert,
          dass Kokot eine
          unaufhörliche, krampfhafte Anstrengung
          anzumerken ist, in einer nicht zur Gänze beherrschten
          Schriftsprache immer von
          neuem den richtigen Ausdruck für den richtigen Gedanken zu
          finden, ...
          gleichzeitig sieht man den Versen die Sorge an, dass die Sprache so
          weit wie
          nur möglich tadellos und ausdrucksfähig wäre.
          Natürlich hat Andrej Kokot
          ein lyrisches Talent, das insbesondere dann sichtbar wird, wenn er
          über das
          Schicksal der Kärntner Slowenen spricht. Kokot ist der Dichter
          des Schmerzes
          und Schwermuts, der das Echo der politischen Realität
          besingt,
          wobei das Motiv über die Minderheit als Brücke und
          das Ausspielen dieser Idee
          das bekannteste ist.
          
          Alle bereits erwähnten Lyriker haben sich außerhalb
          der sogenannten mladje-Gruppe
          entwickelt.
          
          Zum besseren
          Verständnis sei zunächst das Phänomen mladje
          expliziert: Im Jahr 1960 haben Florjan Lipuš, Erik
          Prunč und Karel Smolle
          die Literaturzeitschrift mladje gegründet,
          die bis 1991 herausgegeben
          wurde. Der Chefredakteur war fast durchgehend Florjan Lipuš.
        Im
          mladje erreichte nicht
          nur die kulturkritische und fachliche Publizistik ein relativ hohes
          Niveau,
          sondern nützte die Zeitschrift auch der Lyrik. Für
          diese war - ebenso fast
          durchgehend - Gustav Januš
          zuständig
          und scheint es, dass er mit seiner Auswahl der
          Kärntner slowenischen Lyrik eine Richtung gegeben hat.
          
          Gustav Januš,
          geboren 1939, ist
          wohl der
          relevanteste Lyriker der Kärntner Slowenen im zwanzigsten
          Jahrhundert. Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass
          Januš
          ein multiples Talent
          ist, neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit ist er auch
          ein erfolgreicher
          Künstler.
          
          In die slowenische Literatur trat er mit einer sehr
          eigenständigen Lyrik, die
          nach einer anfänglichen elegischen Stimmung bald ironische
          Nuancen gewinnt.
          Später entwickelten sich seine Gedichte zu einem Typ langer,
          ungereimter
          Versifikationen mit einer Sprache, die der alltäglichen
          entlehnt scheint, wobei
          überall die Satire durchblitzt. Dazu konstatierte Matjaž Kmecl, dass seine
          Art zu
          sprechen, bildhaft beschreibend ist, zum Schein
          äußerst einfach, ... sie geht
          jedweder Erhabenheit und Schwunghaftigkeit aus dem Weg, alles, was
          Gewicht hat,
          schält sich wie von selbst aus der allereinfachsten
          Alltäglichkeit. Die
          Poesie Gustav Januš’ ist
          gewiss die originärste in der Kärntner slowenischen
          Gegenwartsliteratur.
          
          Wenn ich festhalte, dass Peter Handke seine Arbeiten in das Deutsche
          übersetzt,
          so ist dies nicht nur eine biobibliografische Angabe, sondern das
          Zeugnis einer
          besonderen Anerkennung für einen Lyriker, der sich zum
          Schreiber von
          Prosaballaden entwickelt hat, in denen er auf eigenständige
          Weise die Welt
          zeigt. Dabei ist er modern und zeitgenössisch, was ihm einen
          unvergleichbaren
          Erfolg sichert.
          
          Zur Illustration seiner Lyrik sei ein exemplarisches
          Frühgedicht zitiert:
          
          DER KAMPF
          
          Aus purer Begeisterung darüber,
          daß er heute wieder einmal vom dritten rajh
          vortragen kann,
          hat der Geschichtsprofessor
          gerötete Wangen und einen
          verzerrten Mund.
          Er hat sich in Eifer geredet
          und von neuem in Finnland
          gegen die Russen gekämpft.
          Er hat geschossen...
          war kanonir...
          Hat geschossen...
          am Maschinengewehr.
          Wurde verwundet...
          Wurde ausgezeichnet...
          Hat wieder geschossen... usw.
          Endlich aber hat er noch
          hinzugefügt, das Heer sei heutzutage
          eine bloße Attrappe, und ist dabei
          derart laut geworden, daß
          ihm der österreichische Adler
          von der Wand aufs Haupt stürzte und
          ihm mit Hammer und Sichel
          so auf das Maul schlug, daß es
          ihn aus den Träumen
          vom großdeutschen rajh riß. 
            
            (Aus dem Slowenischen übersetzt von Peter Handke.) 
            
            
            
          Ein ebenso wichtiger Lyriker der Kärntner Slowenen
          ist Erik Prunč,
          geboren 1941, der
          aber nur einen Gedichtband veröffentlichte und als Dichter
          heute schweigt. Im
          Jahr 1965 erschien sein Band Tihožitja (Stilleben), ein Buch, das
          vor allem nach
          außen dem Titel gerecht wird. Die Gedichte sind vierzeilig
          und zweistrophig.
          Auf den ersten Blick sind sie archaisch und mythisch, schon auf den
          zweiten
          aber erkennt man die Motive aus der Kärntner slowenischen
          Problematik.
          
          Eines der Gedichte hat einen derart programmatischen Charakter, dass
          es
          zitiert
          sei.
          
          EPILOG
          
          Zurück führt kein Weg.
          Die Schiffe sind spröde,
          die Fahnen sind tot,
          der Wind ist durstig.
          
          Zurück führt kein Weg,
          Matrosen, hier,
          a m    U
          f e r
          müssen wir Dörfer finden.
            
            (Aus dem Slowenischen übersetzt von J. F.)
          
          Ein Zeitgenosse Erik Prunč’ ist
          Karel Smolle, der gleichfalls nur einen Gedichtband
          veröffentlicht hat, und zwar ebenso 1965. In der bereits
          mehrfach zitierten
          Anthologie meint Kmecl, dass Smolle zunächst die
            höchsten Erwartungen versprochen
            hat, doch widmete er sich später der politischen
          Arbeit. Der Lyriker stand
          offensichtlich unter dem Einfluss des späten Expressionismus
          und hatte die
          verschiedensten Visionen. Formell unausgereift und rasant im Ausdruck
          statuierte er die ekstatische Eruptivität.
          
          Zu den Lyrikern, die in den vierziger Jahren geboren wurde,
          gehört noch Ivana
          Kampuš, Jahrgang
          1947, die
          bisher einen Gedichtband veröffentlicht hat. Die Autorin
          interessiert ihr Platz
          in der Menge der Subjekte, Pflanzen, Tiere und Geisteswesen. Auf der
          inhaltlichen Ebene spiegelt sie die Suche nach den alten und geistigen
          Werten
          wider.
          
          Diesen Lyrikern folgt eine Gruppe, die ich als Jung-mladje-Autoren
          bezeichnen
          würde, und zu der Franc Merkač, Jani Oswald,
          Jožica Čertov, Maja Haderlap, Fabjan
            Hafner sowie Cvetka Lipuš gehören.
          Franc Merkač hat
          eine besondere Sensibilität für die Geschehnisse
          unter den Menschen und in der
          Gesellschaft. Das Resultat seiner Überlegungen sind Kritik und
          Karikatur. Mit
          seiner Lyrik bezieht er sich bewusst auf das Leben der slowenischen
          Volksgruppe
          in Kärnten. Nach dem Gedichtband Odtenki
            razbolele resničnosti (Absplitterungen
            einer
            empfindlich schmerzenden Wirklichkeit), der im Jahr
          1980 erschien,
          steigert und konkretisiert er seine Kritik im Band našisti
            (unserschisten), den
          er 1987 im Selbstverlag edierte, noch. Gleichzeitig reduziert und
          präzisiert er
          seine poetische Sprache. Die unserschistischen
          Gedichte heben sich von
          der Kärntner slowenischen Lyrik durch ihren Geist und ihre
          Singularität ab.
          
          Ein auffallender Autor ist auch Jani Oswald. Seine Poesie kann man als
          Produkt
          der Postavantgarde mit starken Elementen des Experimentierens
          determinieren,
          was für die dichterische Semantik und für die Auswahl
          der Themen gilt. In
          dieser Hinsicht ist Oswald einer der wenigen Autoren, die einen neuen,
          experimentellen Rand der slowenischen Lyrik erreicht haben. Als Rand
          bezeichne
          ich ihn deshalb, weil sich diese Gattung in der slowenischen Lyrik
          lediglich
          dort durchsetzen konnte.
          
          Oswalds Gedichte sind ein Almanach semantischer und phonetischer
          Einfälle, die
          vor allem dann ihre volle Wirkung erreichen, wenn sie der Autor selbst
          vorträgt.
          
          Alle übrigen Autoren wurden in den sechziger Jahren geboren
          und haben ab den
          späten siebziger und frühen achtziger Jahren
          veröffentlicht.
Das
          Opus Jožica
          Čertovs ist schmal
          und
          übersichtlich, zumal sie nur einen Gedichtband
          veröffentlicht hat, und zwar im
          Jahr 1985 mit dem Titel Pesmi iz listja (Gedichte aus Laub).
          Ihre Lyrik
          ist autoreflexiv und in einigen Versen versteckt erotisch. Ihre
          Liebesgedichte
          kennen weder Trauer noch Leidenschaft. Ihre Gefühlswelt
          drückt die Autorin in
          sehr hermetischen und schwer verständlichen Metaphern aus. Die
          Welt, die sie
          zeichnet, ist intim und lehnt fremde Eingriffe ab.
Jožica Čertov schweigt als
          Autorin heute wie Erik Prunč, Karel Smolle und Franc Merkač.
          
          Der Lyriker und Literaturtheoretiker Denis Poniž meint, dass die Poesie
          Maja Haderlaps
          mit jener Svetlana Makarovič'
korrespondiert
          und konstatiert weiter, dass Haderlap
          über die Existenz der Sprache schreibt, die wegen der
          tausendjährigen Angriffe
          der anderen Sprache gefährdet ist. Die Lyrikerin betrachtet
          das tägliche Leben
          im Spiegel ihrer Gedichte, die gleichzeitig fröhlich und
          traurig sind. Die
          Poesie ist eingespannt in die Landidylle der engeren Heimat und das
          Leben in
          der Großstadt. Maja Haderlap kommt aus Leppen/ Lepena bei Bad
          Eisenkappel/Železna Kapla und hat lange Zeit in Wien gelebt. Aus
          diesem
          unauflösbaren Dualismus entsteht ihre Lyrik, die den
          Mitmenschen aufmerksam
          einschließt. Die Figur der Mutter, zum Beispiel, ist in
          dieser Poesie immer von
          neuem präsent.
          
          Interessant ist, dass sich die Lyrikerin zwischen dem ersten und
          zweiten
          Gedichtband - zwischen den Žalik pesmi (Salige Lieder)
          und Bajalice (Wünschelruten)
          liegen nur vier
          Jahre -
          formell zur Gänze geändert hat. Im ersten Gedichtband
          ist der Vers kurz, im
          zweiten aber schon lang und vierzeilig. Eine größere
          Entwicklung aus formaler
          Sicht ist mir bei keinem Kärntner slowenischen Autor
          aufgefallen.
          
          Fabjan Hafner hat in slowenischer Sprache bisher einen Gedichtband
          veröffentlicht, und zwar im Jahr 1988 seinen Erstling mit dem
          Titel Indigo
            (Indigo). Bekannt ist er aber vor allem für seine
          Übersetzungen aus dem
          Slowenischen.
          
          Seine lyrische Aussage reduziert er auf den kurzen Vers, auf ein oder
          zwei
          Wörter, die den Autor und seine Welt, in der er arbeitet,
          determinieren. In
          seiner Artikulation ist er transparent, leichtfüßig
          und fast eloquent. Die
          lyrische Chromatik ist hell und unbelastet, was im eigentlichen nicht
          mit dem
          Titel seines Bandes korrespondiert. Für positiv halte ich,
          dass Hafner die
          Tradition des slowenischen Avantgardismus - als verbindlicher
          ästhetischer
          Kanon - nicht belastet. Hafner setzt die Verse in beiden
          Arbeitssprachen, der
          slowenischen und deutschen, überraschend selbstbewusst.
          
          Neue poetische Möglichkeiten sucht Cvetka
          Lipuš, die in ihren Gedichten eine beliebige
          Assoziation mit einem ausgesprochenen Gefühl
          für den erotischen Klang von Worten verbindet
          und sich dabei eines eigenständigen Sprachduktus bedient. Lipuš
        baut
          ihr Gedicht aus drei oder
          vier Sätzen im freien Rhythmus. Die Metaphorik ist
          unabhängig, die einzig und
          in Mikroelementen nachweisbare Tradition ist jene nach Paul Celan.
          
          In der Lyrik der Kärntner slowenischen Autoren sind Raum und
          Zeit kaum
          auszumachen, wenn nicht gerade die Minderheitenproblematik
          versifiziert
          wird.
          Lipuš’
          Sein hingegen ist
          genau bestimmbar, ihre poetische Heimat ist das Meer, auch die 
            säumenden Felsen
          und Städte, Venedig
          und Piran, zum Beispiel, und alle Sonnen- und Schattenspiele auf
          diesen
          Plätzen. Natürlich geschehen ihre Gedichte nicht in
          Venedig oder Piran, sondern
          in der Erinnerung über diese Städte, so dass sie im
          Zyklus Morje (Meer) letztlich
          feststellen kann:
          
          Das Leben
          der letzten Wochen
          ruht
          im Heft.
          
          (Aus dem Slowenischen übersetzt von J. F.)
            
          Der jüngste Autor ist der im Jahr 1970 geborene
          Martin Kuchling, der bisher
          einen Gedichtband und einen Roman veröffentlicht hat.
          Über ihn könnte man
          sagen, dass er ein Post-mladje-Autor ist. Hier
          möchte ich auf ihn nur
          aufmerksam machen, da ich den Eindruck habe, dass er eher ein Lyriker
          des
          einundzwanzigsten als des zwanzigsten Jahrhunderts ist, das
          heißt, dass ich ihm
          durchaus eine gewisse Zukunft zuschreibe.
          
          Hingewiesen sei auch darauf, dass die Kärntner slowenische
          Literatur die Kinder-
          und Jugendlyrik kennt. Zu ihren Autoren gehören Herman Germ,
          Dorli
          Hammerschall, Mili Hrobath, Andrej Kokot, Marica Kulnik, Lenčka Kupper,
          Janko Messner,
          Ivanka Polanc, Valentin Polanšek und Sonja Wakounig. (S. d. den
            Beitrag mit dem Titel
            "Slowenische Kinderliteratur in Kärnten nach 1945" in den
            "Profilen" von Johann Strutz, der sich auch auf die Lyrik bezieht.) 
          
          Der - von mir untersuchten - Literatur wurde zumindest in den letzten
          beiden
          Jahrzehnten besondere Aufmerksamkeit zuteil. Die Autoren haben eine
          Reihe
          angesehener Preise erhalten. Zahlreiche Gedichtbände wurden in
          andere Sprache
          übersetzt, vor allem in das Deutsche, Italienische und
          Englische.
          Die slowenische Lyrik hat nach dem Zweiten Weltkrieg klaren
          Lebenswillen
          gezeigt. Nach der Gründung der Literaturzeitschrift mladje
          erlebte sie
          eine neue Entwicklungsphase, die derzeit offensichtlich unterbrochen
          ist.
          Jedenfalls halten einige Werke der Kärntner slowenischen Lyrik
          Schritt mit der
          gesamtslowenischen Literatur.
          
          Heute ist die Kärntner slowenische Lyrik eine emanzipierte
          Literatur ohne
          jedweden Provinzialismus. Und etwas Anerkennenderes könnte man
          über eine
          Literatur nicht feststellen. 
Pugrad/Ludmannsdorf,
          im Juli 2000 
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Maja
Haderlap:
            "Der Engel des Vergessens"
        Ein
          großes Romandebüt, das von einem Leben in der Mitte
          Europas erzählt; mit kraftvoller Poesie; Geschichten, die uns
          im Innersten betreffen.
        Maja
          Haderlap gelingt etwas, das man gemeinhin heutzutage für gar
          nicht mehr möglich hält: Sie erzählt die
          Geschichte eines Mädchens, einer Familie und zugleich die
          Geschichte eines Volkes. Erinnert wird eine Kindheit in den
          Kärntner Bergen. Überaus sinnlich beschwört
          die Autorin die Gerüche des Sommers herauf, die
          Kochkünste der Großmutter, die Streitigkeiten der
          Eltern und die Eigenarten der Nachbarn. Erzählt wird von dem
          täglichen Versuch eines heranwachsenden Mädchens,
          ihre Familie und die Menschen in ihrer Umgebung zu verstehen. Zwar ist
          der Krieg vorbei, aber in den Köpfen der slowenischen
          Minderheit, zu der die Familie gehört, ist er noch
          allgegenwärtig. In den Wald zu gehen hieß eben
          »nicht nur Bäume zu fällen, zu jagen oder
          Pilze zu sammeln«. Es hieß, sich zu verstecken, zu
          flüchten, sich den Partisanen anzuschließen und
          Widerstand zu leisten. Wem die Flucht nicht gelang, dem drohten
          Verhaftung, Tod, Konzentrationslager.
          Die Erinnerungen daran
          gehören für die Menschen so
          selbstverständlich zum Leben wie Gott.Erst nach und nach lernt
          das Mädchen, die Bruchstücke und Überreste
          der Vergangenheit in einen Zusammenhang zu bringen und aus der
          Selbstverständlichkeit zu reißen - und
          schließlich als (kritische) junge Frau eine Sprache
          dafür zu finden. Eindringlich, poetisch, mit einer
          bezaubernden Unmittelbarkeit.
        Maja
          Haderlap hat eine gewaltige Geschichte geschrieben... Die
          Großmutter wie noch keine, der arme bittere Vater wie noch
          keiner, die Toten wie noch nie, ein Kind wie noch keines. (Peter
          Handke)
        
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