Vorwort des Herausgebers

Das Ihnen vorliegende Buch ist ein weiterer Beitrag im Rahmen des Forschungsprojekts zur hebräischen und israelischen Kultur, durchgeführt vom Deutschen Institut zur Dokumentation Zions. Ziel des andauernden Projekts ist es, die Kluft geistiger Stille, die sich mit dem verblassen des zionistischen Traums auftat, wieder zu schließen. Es ist wohl kein Geheimnis, dass der kulturelle Beitrag des Staates Israel zum intellektuellen Leben auf diesem Planeten im Verlauf der sechzig Jahre seines Bestehens äußerst bescheiden blieb: Während die Regale der Buchläden zum Bersten gefüllt sind mit weisen Worten aus der Werkstatt jüdischer Geistesgrößen in der Diaspora, entstanden in den Tempeln der Vernunft des jüdischen Staates nicht viele kluge Reden, keine, die es, gemessen an internationalen Standards und nach respektvoller Erwägung wert wären, anderen Sprachen zugänglich gemacht zu werden. Das Deutsche Institut zur Dokumentation Zions, an dessen Spitze ich selbst stehe, betrachtet es als seine Ptlicht, dieses widersprüchliche Phänomen zu enträtseln. Was lähmt ihren Denkapparat und schlägt sie mit Verblödung, wenn die Juden sich zusammentun? Professor Gunther Wanker, dessen Lebensbericht Ihnen hier vorgelegt wird, hat sich nicht nur einmal zu diesem Thema geäußert. In verschiedenen Seminaren pflegte er, schlagfertig wie er war, mit einer gewissen Süffisanz und Ironie zu behaupten, die Juden hätten große Ähnlichkeit mit einer chemisch-botanischen Düngermischung. Auf einer Rasenfläche verteilt, habe sie eine wachstumsfördernde Wirkung; konzentriere man sie jedoch an einem Punkt, gerate sie zum tödlichen Gift. Mit Hilfe dieser Analogie wies Professor Wanker gleichzeitig auf das belebende Element hin, welches das Leben der Juden in der Diaspora auszeichnet, wie auf das lebensbedrohliche Element, das entsteht, wenn sie sich zusammenschließen.

Etwa hundert Jahre nach der Gründung des Staates Israel und vierzig Jahre nach seinem Niedergang sehen wir, die Mitglieder des Instituts, eine enorme Relevanz in der genaueren Untersuchung dieser sechzig Jahre währenden verhängnisvollen Existenz. Weshalb litt der Staat der Juden an kollektiver mentaler Regression, die ihn schließlich zerstörte? Weshalb kehrten die Juden, als sie sich zu einem Staat zusammenschlossen, zu jener eifernd religiösen, ihnen schadenden Unterwerfung zurück? Weshalb wurde die Geschichte Massadas zum zentralen Mythos des sich erneuernden Seins auserkoren? Was ist das Geheimnis jener kollektiven Schizophrenie? Weshalb erkannten die Juden Israels ihren nahenden Zusammenbruch nicht? Weshalb vergaßen sie, ihre Sprache zu respektieren und ihren Wert zu schätzen? Die hebräische Sprache, in der die Wörter »Schwert«, »Dürre« und »Zerstörung« eng verwandt und auf den gleichen verbalen Wortstamm zurückzuführen sind, wäre geeignet gewesen, ihnen etwas beizubringen, bevor es zu spät war.

So zahllos die Fragen bezüglich der Zerstörung, so vielfältig sind auch die Antworten. Deshalb wählten wir, die Mitglieder des Instituts, anstatt unsere Zeit mit endlosen Fragen zu vergeuden, eine analytische Forschungsmethode, die den Versuch unternimmt, Logik und Struktur der Zerstörung so nachzuzeichnen, wie sie sich in den Tagebüchern einiger im Lande geborener Intellektueller niedergeschlagen hat. Seit dreißig Jahren versuchen wir, jene unter ihnen zu orten, die die Kulturkrankheit ihres Landes identifiziert haben, die als »häretische Minderheit« diffamiert wurden und die Katastrophe nach eigenem Verständnis und eigener Weltsicht schilderten. Das Institut bemüht sich, Wissenschaftler aufzuspüren, die es verstanden haben, zu warnen und ihren Staat zu betrauern, noch bevor er seinen Geist aufgab. Wir glauben aufrichtig, dass ein Volk, welches von seiner Erneuerung träumt, ein Volk, das seine rechte Hand mit seiner vergessenen Hauptstadt verbindet, ein Dokumentationswerk benötigt, und sei es nur, um die Zeitläufte zu verstehen und der Wiederauferstehung, wenn sie denn kommt, zu dienen.

Professor Gunther Wanker, gebürtig im Ramat Gan der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts, ein bescheidener Mann, der, noch keine dreißig Jahre alt, bereits Weltruf genoss, wurde kurz vor seinem Tod vom Institut gebeten, seine Lebensgeschichte schriftlich niederzulegen. Gunther war es nicht vergönnt, sein Werk zu vollenden, und in dieser Hinsicht hat sein Tagebuch etwas von einer unvollendeten Symphonie. Wir, die Mitglieder des Instituts, sehen in diesem Dokument ein persönliches Zeugnis von seltener Qualität.

Friedrich Schar'abi
Deutsches Institut zur Dokumentation Zions
Herbst 2052


(aus "Anleitung für Zweifelnde" von Gilad Atzmon)
Roman. Aus dem Hebräischen von Gabriela Hegedus
Im Jahr 2052 macht Dr. Friedrich Sharavi, Leiter des Deutschen Instituts zur Dokumentation Zions, ein aufregendes Textkonvolut der Öffentlichkeit zugänglich: die Erinnerungen eines gewissen Professor Gunther Wanker, der 1962 im israelischen Ramat Gan geboren wurde – also in einem Staat, den es 2052 schon nicht mehr gibt. Wankers Erinnerungen sind für Sharavi nicht nur ein wertvolles Zeitdokument, sondern auch das Vermächtnis einer wichtigen mahnenden Stimme während der letzten Jahre vor dem Untergang des Staates Israel und vor dessen möglicher Erneuerung.
Bedeutung erlangt Wanker vor allem als Gründer einer neuen philosophischen Richtung, der Peepologie, mit der er es zu Weltruhm brachte. Aufgewachsen in Israel als Enkel eines litauischen Juden, der vor den Nazis floh und dennoch seine Bewunderung für deutsche Kultur und deutsche Frauen bewahrte, lernt Gunther von Kindheit an alles Deutsche als Symbol für die Dialektik zwischen geistiger Größe und menschlichem Untergang zu begreifen. Später leistet er seinen Dienst an der Waffe, erkennt aber bald, dass sein Körper dafür zu schwach und sein Geist zu rege ist. Er beginnt ein Studium der Philosophie, der Künste und vor allem der Frauen und erkennt bald: wer etwas verstehen will von der Welt, muss das eigene Land und damit den eigenen Standpunkt verlassen.
So macht er sich auf nach Deutschland, studiert die dortigen Rotlichtbezirke, erhält einen Ruf als Professor und gründet die Peepologie, die Lehre vom Zweifel angesichts der Verlogenheit unserer Gesellschaft. Gunther widmet sich neben der Lehre aber weiterhin der »Grundlagenforschung«, denn die wahre peepologische Erfahrung ist stets eine sexuelle, weil zutiefst kathartische. Die Beziehung zum weiblichen Geschlecht macht ihn schließlich auch zum Opfer der unauflösbaren Dialektik des Menschen ... Er wird zuletzt in Weimar am 13.Januar 2032 gesehen.
Zurück bleiben seine unvollendete Autobiographie, ein paar Briefe und E-Mails, die Sharavi als ›Anleitung für Zweifelnde‹ veröffentlicht.
Gilad Atzmon durchbricht in seinem ersten Roman mit den Mitteln der Satire auf provozierende Weise jüdische Tabus. In Israel und seiner Wahlheimat England löste er mit dem Buch ein reges Echo aus. Seit Jahren wirbt er in seiner Musik und seinen politischen Artikeln für eine humane Zivilgesellschaft und das tolerante Miteinander aller Kulturen und Religionen.
Gilad Atzmon, geboren 1963 in Israel, wurde während des mehrjährigen Dienstes in der israelischen Armee zum überzeugten Anti-Zionisten. Nach der Militärzeit studierte er Komposition und Jazz an der Rubin Academy of Music in Jerusalem. Schließlich verließ er Israel, zog nach London und studierte dort Philosophie. Er ist heute ein international bekannter Jazz-Saxophonist und -Klarinettist. 1998 tourte er mit Ian Durys Kultband ›Blockheads‹,darüber hinaus arbeitete er mit Robbie Williams, Sinead O ’Connor und Paul McCartney zusammen. Mit seiner Band ›The Orient House Ensemble‹ veröffentlicht er im Oktober 2003 seine dritte CD, ›Exile‹, für die er Exil-Musiker aus aller Welt engagiert hat. Er tourte bereits mehrmals durch Deutschland, eine weitere Tournee ist für den Herbst 2003 geplant.(dtv)
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