Elisabeth Welzig und Ernst Kilian: "Zwischen den Welten"

Kurt Steiner: Ein Wiener beim Tokioter Kriegsverbrecherprozess


"Wenn mich wer fragt, wo ich zu Hause bin, werde ich natürlich sagen, in Kalifornien."
Dahinter verbirgt sich unausgesprochen der Nachsatz: Heimat habe er eigentlich keine. Vielmehr führe er ein Leben zwischen den Welten, als heimatloser Kosmopolit.

Wer so spricht, ist Dr. Kurt Steiner, der in Österreich geboren wurde und in Wien bis zu seiner Promotion zum Dr. jur. lebte. Gerade noch rechtzeitig konnte er Österreich verlassen, als Anfang des Jahres 1938 absehbar wurde, dass der Anschluss an Hitlerdeutschland unvermeidlich wurde, und die Judenfeindlichkeit des NS-Regimes jedenfalls Schlimmes befürchten ließ. Ein während des Ersten Weltkriegs in die USA ausgewanderter Onkel verschaffte ihm für die Einreise nach Amerika das erforderliche "Affidavit of Support". Seine Reise ging sodann über die Schweiz und Frankreich nach New York, wo er mit dem kümmerlichen Barvermögen von gerade noch 6 US-Dollar ankam. Mangels Unterstützung durch seinen Onkel lebte er fortan trotz seiner akademischen Gelehrtheit unter ärmlichen Verhältnissen. Vorerst musste er als Eisverkäufer, Hauswart und Fensterputzer seinen bescheidenen Lebensunterhalt fristen. Berechtigte Hoffnung auf eine Besserung seiner Lebensumstände durfte er erst schöpfen, als ihm von der Jewish Welfare Agency das Angebot einer Gruppe von sozial engagierten Studenten unterbreitet wurde, einem jüdischen Flüchtling aus Europa (also ihm) in ihrem "Coop House" in Cleveland freie Kost und Quartier zu bieten. Dieses edelmütige Angebot nahm er natürlich mit Freuden an. Und obwohl es jetzt nicht mehr notwendig gewesen wäre, ging Steiner weiterhin seiner Tätigkeit als Seifenverkäufer nach; mühte sich hausierend von Haus zu Haus ab. Als schließlich die Berlitz-School einen Deutschlehrer suchte, säumte Steiner nicht lange und hatte somit endlich einen Arbeitsplatz, der seiner gehobenen Bildung und Intellektualität entsprach.

Durch den Angriff der Japaner auf Pearl Harbour am 7.12.1941 kam es in Amerika verstärkt zur Nachfrage nach japanischen Sprachkursen. Steiner, der inzwischen in steiler Karriere zum Vizedirektor der Berlitz-School in Pittsbourgh aufgestiegen war, nützte diese ein wenig skurrile Gelegenheit, um derartige Sprachkurse anzubieten. Gleichzeitig erlernte er selbst die japanische Sprache. 1943 wurde er als nunmehriger us-amerikanischer Staatsbürger zum Militärdienst eingezogen. Angesichts seiner außergewöhnlichen Sprachkenntnisse, insbesondere der japanischen Sprache wegen, kam er an die Army Intensive Japanese Language School der Universität of Michigan in Ann Arbor. Nicht als Kriegsheld, sondern als Held der Sprachbeherrschung wurde er zum "Zweiten Leutnant" befördert, mit dem Zuständigkeitsbereich eines Sprachoffiziers. 1945 erfolgte sodann die Versetzung in das von der US-Armee besetzte Japan, und zwar in den Stab der US-Anklagevertretung im Tokioter Kriegsverbrecherprozess, dem International Military Tribunal for the Far East (IMTFE). Für Steiner verlief dieser Kriegsverbrecherprozess unglücklich, da die Stellung des japanischen Kaisers hinsichtlich dessen Verantwortung für den Kriegsausbruch und Kriegsverlauf aus politischer Rücksichtnahme ausgespart blieb. Darüber hinaus orientierte sich der Prozess an dem zur selben Zeit stattfindenden Nürnberger Kriegsverbrecherprozess, was - angesichts der ungleich krasseren NS-Verbrechen gegen die Menschlichkeit - Bemühungen um Objektivierung von Sachverhalten auch im hiesigen Prozess gegen japanische Kriegsverbrecher vereitelte und weitergehende Thematisierungen, (etwa us-amerikanischer Vergehen), erst gar nicht zuließ. Von den in Tokio angeklagten fünfundzwanzig Personen traf lediglich fünf die volle Strenge des Gesetzes, indem an ihnen die Todesstrafe vollzogen wurde. Die übrigen Angeklagten, (zwei starben während des Verfahrens), erhielten zwar langjährige Haftstrafen, gingen jedoch schon 1952 wieder alle frei.

Nach seiner Freistellung vom Militärdienst hatte Steiner die Möglichkeit, das zu tun, was ihm seit Beginn seines Japanaufenthaltes mehr und mehr zum persönlichen Anliegen geworden war, nämlich an der politischen Neuordnung und Demokratisierung Japans mitzuwirken. Wobei ihm überraschenderweise seine Kenntnisse aus dem Studium der Rechtswissenschaften in Wien sehr nützlich wurden, da das japanische Recht weitgehend dem kontinentaleuropäischen Recht folgte.

Erst im Juli 1951 kehrte das Ehepaar Steiner aus Japan in die USA zurück. Nun, im Alter von 39 Jahren, nahm Steiner erneut ein Studium an der Stanford Universität auf, welches er mit dem Doktorat in Political Science (Politikwissenschaft) abschloss. An der selben Universität unterrichtete er schließlich bis zu seiner Pensionierung als ordentlicher Professor.

Dr. Kurt Steiner verbrachte sein Leben auf drei Kontinenten und in eben so vielen Kulturkreisen und entwickelte dabei eine Identität, welche zwischen den Welten üblicher Lebenswirklichkeiten angesiedelt ist. Seine Frau Josefa, genannt Kitty, eine Hutmacherin, hatte er, noch bevor er Österreich notgedrungen verlassen musste, in Wien in einer Tanzschule kennen gelernt. Als sie in die USA nachgekommen war, wurde geheiratet, und sie blieben bis zum heutigen Tag treue Lebensgefährten.

Seiner Gesinnung nach tendiert Steiner zur sozialistischen Idee, ohne jedoch weltanschaulich oder gar parteilich sklavisch gebunden zu sein. Weltpolitisch ist und war es immer schon sein Credo, auf der Seite der Gerechtigkeit zu stehen, und so ist es ihm als Augenzeuge des Tokioter Kriegsverbrecherprozesses bis heute unverzeihlich, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit, welche dem Grunde nach alle Kriegsteilnehmer begangen haben, nur auf Seiten der im Krieg Unterlegenen zu strafrechtlichen Konsequenzen führten. Der treffliche Ausdruck hiefür ist "Siegerjustiz" und muss wohl dem Sieger des amerikanisch-japanischen Krieges zum Vorwurf gemacht werden. Der indische Richter Radhabinol Pal stellt in diesem Zusammenhang fest, dass hinsichtlich einer Anklage wegen Verbrechen gegen den Frieden es letztlich immer darauf hinaus läuft, dass "nur ein verlorener Krieg ein Verbrechen ist". Die Verantwortung für die militärisch unbegründeten Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki hätte eigentlich ebenso einen Kriegsverbrecherprozess nach sich ziehen müssen, wobei jedoch eher Angehörige der Siegerpartei auf der Anklagebank gelandet wären, folglich er nicht einmal in Erwägung gezogen wurde. Und das Rechtsempfinden der USA wie auch vieler sogenannter zivilisierter Staaten war damals wie heute zweifelhaft, wenn man sich nur einmal kurz zu Gemüte führt, dass den Vertrag zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes, dessen Aufgabe es eben auch ist, Kriegsverbrecher ohne Ansehen der Person, (vor allem der Staatszugehörigkeit), zu verfolgen, bisher nur 60 Staaten ratifiziert haben. Die USA, sowie die sogenannten Schurkenstaaten, (nach US-amerikanischer Sprachregelung: Irak, Iran, Nordkorea), weigerten und weigern sich bis dato besonders strikt, diesen Vertrag zu ratifizieren, womit - angesichts der globalen us-amerikanischen Hegemonie - eine Ratifizierung für andere Staaten einfach keinen praktischen Sinn mehr ergibt. Die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs, bei gleichzeitiger Abwesenheit jener weltumspannenden Militärmacht, deren Militärausgaben der Höhe nach alleine den summierten Wehrbudgets der zehn nächstfolgenden Militärmächte, (Russland, Japan, Frankreich, England, China, Deutschland, etc.), entspricht, wäre einfach absurd, und die damit verbundenen Kosten wären mangels Zweckverwirklichung nicht zu rechtfertigen.

Bei dem besprochenen Buch handelt es sich im Großen und Ganzen um die spannende - und in der Rezension nur grob skizzierte - Biografie eines Weltbürgers wider Willen, garniert mit einer Fülle von teils recht persönlichen Betrachtungen zum historischen Geschehen, insbesondere der unmittelbaren Nachkriegszeit. Der Werdegang der thematisierten Person, seine grundsätzliche Auffassung von Recht und Gerechtigkeit sowie seine Kritik an den herrschenden Rechtssystemen im Allgemeinen und dem Tokioter Prozess im Konkreten ergeben zusammen genommen ein faszinierendes Kompendium intellektueller Abwägung, welche Selbstverständliches im Licht kritischer Erhellung zweifelhaft erscheinen lässt.

(Hans Schulz; 07/2002)


Elisabeth Welzig und Ernst Kilian: "Zwischen den Welten.
Kurt Steiner: Ein Wiener beim Tokioter Kriegsverbrecherprozess"

Mandelbaum, 2002. 172 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:

Susanne Maria Kilian: "Japan und Deutschland - Zwischen Schuld und Verantwortung.
Vergangenheitsbewältigung im Vergleich"

"Schuld" und "Verantwortung" im Zusammenhang mit der Diskussion um Vergangenheitsbewältigung des Zweiten Weltkriegs nehmen nach wie vor einen hohen Stellenwert in der gesellschaftlichen und politischen Debatte ein. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob und wie Kompensation geleistet werden kann oder auch soll.
Ist die unterschiedliche Perzeption dieser Thematik in Deutschland und Japan sowie die daraus resultierende Auseinandersetzung mit Vergangenheit nur der jeweiligen Politischen Kultur geschuldet? Oder lässt sich der unterschiedliche Umgang damit auch auf andere Aspekte zurückführen? Diese zentrale Fragestellung ist Gegenstand vorliegender Arbeit. (LIT Verlag)
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