Enrico Ascalone: "Mesopotamien"

Bildlexikon der Völker und Kulturen Band 1
Sumerer, Assyrer und Babylonier


Ein Bilderbuch, aber kein Nachschlagewerk!

Mesopotamien, das Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, gilt als eine der Wiegen unserer Kultur: Schriftentwicklung, Stadt- und Palastkultur, Ursprünge der Mathematik, der Astronomie und des Kalenders sind bis heute beeindruckend und wirken weltweit fort. An diesen Entwicklungen waren zwar mehr Völker beteiligt als nur die drei im Untertitel genannten (Sumerer, Assyrer und Babylonier), doch markieren diese die großen historischen Etappen von den ersten keilschriftlichen Zeugnissen in sumerischer Sprache im 3. vorchristlichen Jahrtausend bis zur Eroberung Babylons durch die Perser 539 v. Chr.

Dieses Buch ist als erster Band eines "Bildlexikons der Völker und Kulturen" konzipiert; seine innere Anordnung geht von Bildern aus, richtet sich also nicht wie in einer Enzyklopädie nach alphabetisch gereihten Textteilen. Die Bilder, zumeist künstlerische Werke, wurden deshalb in sieben große Kapitel unterteilt, innerhalb derer eine annähernd chronologische Abfolge oder ein anderes Ordnungsprinzip dominiert. Die Inhalte der Kapitel überschneiden sich aber, sind nicht klar abgegrenzt.

Nach einer kurzen, nur zweiseitigen Einleitung über die Bedeutung Mesopotamiens für das abendländische Denken, werden der Buchaufbau und die Ziele beschrieben, auch im Hinblick auf die kulturvernichtenden Plünderungen im Bagdader Nationalmuseum während des Irak-Krieges 2003.

"Zwischen Geschichte und literarischer Überlieferung" heißt das erste, den mythisch-literarischen Figuren gewidmete Kapitel, das recht unvermittelt mit der sumerischen Königsliste beginnt, nach der die Geschichte Sumers in eine Zeit vor und nach der Sintflut unterteilt wird. Einige Seiten zu den ersten mythischen Königen von Uruk, darunter auch Gilgamesch, folgen.

Die daran anschließenden Herrscher bilden das zweite, längste Kapitel; die bedeutendsten aus einer Reihe von Königen zwischen Sargon von Akkad (2335 bis 2279) und dem letzten babylonischen Herrscher Nabonid (555 bis 539) werden anhand von Porträtplastiken oder -reliefs dargestellt, dazwischen finden sich immer wieder Pläne von Palastrekonstruktionen und bedeutende Kunstwerke aus der betreffenden Zeit. Was zu sehen ist, wird genauestens beschrieben in Bildlegenden, die durch dünne Linien mit Inhalten der Fotos verbunden sind. So erfährt man viel über Machtinsignien, stilistische Merkmale, die Darstellung von Befehlsgewalt und Inhalte der begleitenden Keilschrifttexte, weniger aber über historische Hintergründe und Bezüge. Einem Kurztext über Tiglatpileser III. (Seite 58) folgen Bilder eines Reliefs von König Assurbanipal, der rund hundert Jahre vorher lebte, einer ägyptischen (!) Sphinx des 8. Jahrhunderts, von Wandmalereien aus dem Palast Tiglatpilesers III. und eines reichgeschmückten Kosmetikgefäßes aus Elfenbein. Was haben diese Dinge gemeinsam? Sie alle wurden in Tiglatpilesers Palast in Nimrud gefunden und geben einen Eindruck von der Bedeutung dieses Assyrers, dessen Machtbereich sich damals bis nach Gaza, an die Grenzen Ägyptens, ausdehnte.

Ein Kapitel über "Macht und Öffentlichkeit" folgt den Königen; es ist untergliedert in "Der Herrscher als Priester", "Der Herrscher als Erbauer", "Der Herrscher als Architekt", "Der Herrscher als Garant der Gerechtigkeit" usw. Somit ist mehr als ein Drittel des Bandes auf Herrscher bezogen! Da dieses Buch von Kunstwerken ausgeht, dominieren in der Auswahl die Auftraggeber der Artefakte; also die Machthaber und ihr Umfeld! Nur was prächtig und häufig abgebildet ist, findet im Bildlexikon Platz.

Das Kapitel "Götter und Religion" ähnelt den ersten Buchteilen. Auch hier sind vor allem Statuen und Reliefs, auch Rollstempel verschiedener Gottheiten zu sehen und wiederum gut beschrieben - eine allgemeine Einführung fehlt.

Durch diesen Aufbau und die Auswahl nach den Kriterien des gut Darstellbaren kommt das Kapitel "Alltagsleben" jedenfalls zu kurz. Die Schriftentwicklung ist Teil der Verwaltung, hier wird die chronologische Abfolge unsinnigerweise durchbrochen: zuerst zeigt ein Relief die akkadisch-aramäische Zweisprachigkeit im ersten vorchristlichen Jahrtausend, die vor allem am Nebeneinander von Tontafel und Schilfrohr (akkadische Keilschrift) und Pergamentrolle (aramäische Schrift) erkennbar ist. Erst auf der Seite danach (214) wird die Schriftentwicklung vom Piktogramm zur abstrakten Silbenschrift im 3. Jahrtausend vor Christus dargestellt.

Nach einem Kapitel zum Totenreich, das auch bei der Religion behandelt hätte werden können, und einem über die Städte, die wiederum eigentlich Teil des Alltagslebens sind, folgen zum Abschluss Verzeichnisse, Landkarten und Übersichtstabellen. Dieser Teil wurde offensichtlich mit großer Hast und wenig Sorgfalt erstellt. Das Stichwortverzeichnis gibt nur die Titel der Kapitel und Unterkapitel wieder, ist also kein echter Index, mit dessen Hilfe auch Detailinformationen im Buch aufgefunden werden könnten, z.B. alle Nennungen eines Königsnamens oder eines Fundortes. Die Karten und Zeittafeln zu den Dynastien und Herrschern der mesopotamischen Zentren zeigen, dass das Buch seitengetreu dem italienischen Original entspricht, aber von einem Bildband auf ein Taschenbuchformat (14 mal 20 cm) verkleinert wurde! Die Schrifthöhe beträgt bei den Zeittafeln nur etwas mehr als 1 mm, die Fußnoten sind noch kleiner und somit fast unleserlich. Der deutsche Verlag fand es offensichtlich auch nicht der Mühe wert, die Landkarten in deutscher Sprache zu beschriften. So muss man zuerst den italianisierten Orts-, Länder- oder Flussnamen in einer Legende aufspüren, um zu den im deutschen Sprachraum üblichen Bezeichnung zu gelangen.

Schade um die gute Idee! Ein Bildlexikon könnte gut und attraktiv in die Welt des alten Orients einführen, aber nur wenn es der Autor gründlich und sinnvoll zusammenstellt, und es der deutsche Verlag sorgfältig herausgibt. Es sollte als Nachschlagewerk mehr bieten als ein gefälliges Bilderbuch für Erwachsene!

(Wolfgang Moser; 04/2006)


Enrico Asvalone: "Mesopotamien"
Aus dem Italienischen von Caroline Gutberlet.
Parthas Verlag, 2006. 367 Seiten.
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In Mesopotamien, dem Land zwischen Euphrat und Tigris, stand - ebenso wie in Ägypten - die Wiege der Zivilisation. Hier entstanden vor mehr als 5000 Jahren die ältesten Hochkulturen der Menschheit. Hier wurde die Schrift erfunden, die auf Ton geschriebene Keilschrift. Die Keilschrifttafeln, die in gewaltiger, noch längst nicht voll erschlossener Fülle erhalten geblieben sind, bilden ein lebendiges und facettenreiches Mosaik der Geschichte, Literatur, Gesellschaft und Kultur des Alten Orients. Dieses Mosaik hat der bekannte Altorientalist Dietz Otto Edzard zusammengesetzt zu einer informationsreichen und faszinierenden Gesamtdarstellung. Edzard erläutert die Voraussetzungen und Anfänge der Kulturen des Zweistromlandes und bietet einen Überblick über die Geschichte der einzelnen Staaten in Sumer, Akkad, Ur, Elam, Assur, Urartu und Babylonien und all ihrer konfliktreichen Beziehungen untereinander. Er beschreibt auch die Grundzüge ihrer Götterwelt und ihrer religiösen Vorstellungen, ihres Rechtswesens und ihrer Wirtschaft. Schließlich resümiert er den Niedergang der alten Reiche, den Aufstieg der Perser bis zum Sieg Alexanders des Großen über Dareios III. und dem Verschwinden der Keilschrift im ersten Jahrhundert der römischen Kaiserzeit. (C.H. Beck)
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"Möge dein Herz um meinetwillen sich umwenden und an seinen Platz zurückkehren: Deine großen Taten sind einzigartig - deine Größe wird überall gepriesen - junge Frau, Inanna, dich zu preisen ist süß!" Die Göttin Inanna-Ischtar vereinigte in ihrer Person die unterschiedlichsten Eigenschaften: Heilgöttin, Fruchtbarkeits- und Liebesgöttin, sie ist aber auch Kriegsgöttin, die den Herrscher bei seinen Eroberungen unterstützte. Von 3000 bis 500 v. Chr. reichte die Herrschaft der Sumerer, Babylonier und Assyrer über das Land zwischen Euphrat und Tigris. Hier entstand eine der ersten städtischen Kulturen der Menschheit.
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