Ivan Klíma: "Liebe und Müll"

Wohin gehen die Gedanken eines Schriftstellers, der in den 70er- oder 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts den Müll von den Straßen Prags beseitigte?


Dass er diese Arbeit nicht freiwillig tat, sondern wegen eines Berufsverbots, das jegliche schriftstellerische Tätigkeit untersagte, lässt vielleicht an die tragisch-komödiantischen Bücher Milan Kunderas, z.B. "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins", denken. Doch Ivan Klíma schreibt völlig anders:
In einer Assoziationskette lässt er die Gedanken des Schriftstellers ineinander übergehen. Angeregt vom Gespräch mit anderen - teils intellektuellen - Müllmännern und einer Kollegin, der Arbeit auf den morgendlichen Straßen und den häufigen Bierpausen denkt er über sein Leben, vor allem über die Liebe zu seiner ruhigen und geduldigen Ehefrau und zu seiner kapriziösen Geliebten, einer Bildhauerin, nach. Dazwischen sinniert er über Franz Kafka und die Roten Khmer, erinnert sich an seine Kindheit im KZ Theresienstadt und denkt an seinen schwerkranken Vater.
In diesem Strom von Gedanken verschwimmen die Assoziationen, der Leser muss "mitassoziieren", um sich nicht auf der Suche nach einer "Grenze" zwischen den Erinnerungen zu verirren.

Wie Marek, der Protagonist des schon 1988 in einem Exilverlag in England erschienenen Romans, verbrachte der 1931 geborene Autor Ivan Klíma einen Teil seiner Kindheit im Konzentrationslager, arbeitete nach dem Literaturstudium an der Universität Prag als Journalist und lehrte 1969 und 1970 an einer amerikanischen Universität. Nach seiner freiwilligen Rückkehr erhielt er Berufsverbot (bis 1989) und übte daher Jahre lang manuelle und einfache Berufe aus. Seine Theaterstücke, Essays und Romane konnten wegen des Publikationsverbotes bis 1989 nur im Ausland oder als Samizdat erscheinen.

Ivan Klíma gehört heute zu den bekanntesten zeitgenössischen Erzählern Tschechiens; auch schon zur Zeit, als er nicht publizieren durfte, blieben seine Beobachtungsgabe und seine Fähigkeit, das Lebensgefühl der Tschechen unter der Diktatur zu beschreiben, nicht unbemerkt: In einem Satz wurden seine Werke mit denen Václav Havels im DDR-Handbuch "Literatur der ČSSR 1945 bis 1980" von Štepan Vlašín und Stanislav Šmatlak (Berlin: Volk und Wissen, 1985) genannt, Werke, "in denen die sozialistische Gesellschaft als entmenschtes unsinniges, absurdes Phantom dargestellt wird" (Seite 73).

(Wolfgang Moser; 05/2005)


Ivan Klíma: "Liebe und Müll"
Übersetzt von Alexandra Baumrucker.
dtv, 2005. 224 Seiten.
ISBN 3-423-13330-9.
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