Tino Hemmann: "500 Stufen über Leipzig"


Zwei Jahre sind seit den Ereignissen im ersten Band der Geschichten um den Kriminaloberkommissar Hinrich vergangen. Sein Assistent Engler hat mittlerweile die Betreute aus dem ersten Band geheiratet und lebt mit dieser ziemlich glücklich zusammen. Sein Stiefsohn Florian ist eine wahre Freude in seinem Leben, aber eines Tages stellt sich heraus, dass der Junge ständig Nahrungsmittel verschwinden lässt. Er hat zwei junge Obdachlose kennen gelernt und versorgt diese nun aus der Speisekammer seiner Familie. Bevor Assistent Engler dem richtig nachgehen kann, ist einer dieser Obdachlosen - ein kleiner Bub namens Sebastian - plötzlich verschwunden. Da er sehr depressiv wirkte und man vermutet, dass er extrem suizidgefährdet ist, macht sich die Kripo auf die Suche nach ihm.

Sebastian ist mittlerweile auf das Völkerschlachtdenkmal gestiegen, mit der festen Absicht, sich von dort in die Tiefe zu stürzen. Aber plötzlich trifft dort ein älterer Herr namens "Stolle" ein, der mit diesem hohen Aussichtspunkt ähnliche Ideen verbunden hat. Durch das Treffen abgelenkt, beginnen die beiden einander ihre jeweiligen Lebensgeschichten bis zu dem Weg die 500 Stufen hinauf zu erzählen, während die Kripo verzweifelt nach dem Jungen sucht.

Wenn man den dreizehnjährigen Sebastian so über Politik und Gesellschaft reden hört - und das, obwohl er kaum eine formale Bildung genossen hat - müsste man eigentlich alle Kinder von der Schule nehmen, damit sie einen besseren Durchblick bekommen. So redet und denkt ein Dreizehnjähriger kaum, wenn er eine Eliteschule besucht hat, noch weniger, wenn er minimal hausbeschult wurde. Insofern ist die Geschichte ein wenig unrealistisch, was diesen Aspekt angeht.

Die Lebensgeschichte des Jungen ist durchaus interessant und berührend, aber einen allzu großen Anspruch würde ich daran nicht stellen. Die gegengestellte Geschichte "Stolles" hat mich weniger interessiert, aber diese soll wohl auch nicht so sehr den Kern des Buchs darstellen. Die "Ermittlungen" im Hintergrund sorgen für ein wenig Ausgleich, so dass nicht der Eindruck von übertriebenem Pathos entsteht, und so ist dieser Roman - eine deutsche Umsetzung der Strukturidee von Nick Hornbys "A Long Way Down" sicherlich der beste der drei Leipzig-Krimis, wenngleich er unter einigen handwerklichen Mängeln leidet, wie der schwachen Zeichnung aller Charaktere außer dem des jungen Sebastians. Aber dieses Buch ist durchaus lesbar.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 12/2006)


Tino Hemmann: "500 Stufen über Leipzig"
Engelsdorfer Verlag, 2005. 229 Seiten.
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