William Gibson: "Mustererkennung"

"Fünf Stunden Zeitunterschied zwischen New York und London. Cayce Pollard erwacht in Camden Town, belauert von den schaurigen, endlos kreisenden Wölfen der Dysrhythmie.
Es ist die matte, gespenstische Unstunde, limbische Impulse schwappen durch die graue Substanz, erratische Regungen des Stammhirns funken inadäquates Reptilienverlangen nach Sex, Nahrung, Betäubung, obwohl im Augenblick nichts davon real verfügbar ist."


Cayce Pollard ist eine junge Marketingspezialistin, die als Coolhunterin die Trends von morgen sucht und in der Zwischenzeit Firmen dabei unterstützt, gute - oder bessere - Logos zu entwerfen. Dabei hilft ihr, dass sie auf sehr intensiv wirkende Trademarks allergisch reagiert und so muss sie einfach nur ihren Kunden das empfehlen, was bei ihr die stärksten negativen Reaktionen hervorruft. Im Moment arbeitet sie in dieser Funktion für die Firma "Blue Ant" und deren Inhaber Bigend.

Neben ihrer Arbeit interessiert sich Cayce aber auch stark für "footage", eine Reihe von unzusammenhängenden Filmausschnitten, die seit einiger Zeit immer wieder im Internet auftauchen, und deren Urheber und Reihenfolge eine große Rätselgemeinde erzeugt haben. Sogar der Vatikan hat sich mittlerweile in die Diskussion von "footage" eingeschaltet. Bigend glaubt, dass es sich bei "footage" um eine Form von Guerilla-Marketing handelt und fordert Cayce dazu auf, herauszubekommen, wer genau dahinter steckt.
Im Rahmen ihrer Nachforschungen ist Cayce in der ganzen Welt unterwegs, wobei ihr wiederholt Erinnerungen an die Explosion der World Trade Centers in den Sinn kommen, bei der auch ihr Vater verschwunden ist. Außerdem lernt sie immer mehr verdeckt arbeitende Formen des Marketings kennen, was sie schließlich an der Wahrhaftigkeit jeder Form von menschlicher Kommunikation zweifeln lässt. Als einige Fans in einem "footage"-Element so etwas wie ein digitales Wasserzeichen finden, entwickeln sich die Nachforschungen immer mehr zu einer Art globaler Schnitzeljagd, die für sich genommen kaum spannend ist und eigentlich nur durch zwei B-Handlungen ein wenig Interesse aufrechterhalten kann.

Seit "Neuromancer" hat William Gibson einige Romane geschrieben, aber für mich hat er nie wieder die Qualität und Originalität seines Erstlings erreicht, und auch "Mustererkennung" ist da kaum eine Veränderung, wenn auch die Themen andere sind und einige nette Ideen vorkommen, die aber leider nicht weiter verfolgt werden, damit noch mehr Ideen untergebracht werden können.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 05/2004)


William Gibson: "Mustererkennung"
(Originaltitel "Pattern Recognition")
Aus dem Amerikanischen von Cornelia Holfelder-von der Tann und Christa Schuenke.
Klett-Cotta, 2004. 460 Seiten.
ISBN 3-608-93658-0.
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William Gibson wurde 1948 in South Carolina geboren und ist heute in der Nähe von Vancouver ansässig. Er verlor früh seinen Vater und lebte bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr mit seiner Mutter in einer 2000-Seelen-Gemeinde in Virginia. Um seiner Vietnam-Einberufung zu entgehen, zog er 1967 nach Kanada. Während seines Studiums der Englischen Literatur begann William Gibson Science-Fiction-Geschichten zu schreiben. In seinem 1984 erschienenen ersten Roman "Newromancer" (dt. "Neuromancer"), den er auf der Schreibmaschine tippte, erfand er den Begriff "Cyberspace". "Mustererkennung" ist seit sieben Jahren sein erster Roman.
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