Veronika Beci: "Joseph von Eichendorff"

Die Biografie zum Eichendorff-Jubiläum


Ein gebrochener Romantiker

Die vorliegende Biografie erscheint zum 150. Todestag des Dichters (26. November). Wir verfolgen das wechselvolle Leben des vielleicht größten Dichters der deutschen Romantik vom Schloss Lubowitz im Oderland an die Universitäten von Halle und Heidelberg, dann über Wien und Königsberg nach Berlin. Beci schildert uns sein Dasein als verarmter Adeliger, lustloser Beamter und liebevoller Familienvater, der sich als überzeugter Katholik im protestantischen Preußen behauptete und entschiedener Gegner der aufkommenden Deutschtümelei war. Als schlesischer Dichter schrieb er überwiegend Deutsch, aber auch Polnisch, weswegen er heute als eine Symbolfigur der deutsch-polnischen Verständigung gilt - im übrigen war er auch des Spanischen mächtig. Etliche seiner Gedichte wurden kongenial von Schumann und Brahms vertont, und der 'Taugenichts' darf wohl zu den Lieblingslektüren der gebildeten Deutschen gezählt werden.

"Und die Welt hebt an zu singen / triffst du nur das Zauberwort" - diese Zeilen korrespondieren mit eigentümlicher poetischer Kraft zu den folgenden von Novalis: "Dann fliegt vor Einem geheimen Wort / Das ganze verkehrte Wesen fort." Der wahre Poet schreibt also, weil er auf der Suche nach dem einen geheimen Zauberwort ist - welch hoffnungsfreudiges Martyrium, könnte man argwöhnen. Man glaubt es kaum, dass Seppel (wie er intern genannt wurde) in seinen jungen Jahren ein begeisterter Tänzer, Reiter und Schwimmer gewesen war - mit 14 beginnt bereits die poetische Produktion. Und, wie indiskret, Beci verrät uns sogar: "Seine erste sexuelle Begegnung erlebt der Dichter hingegen vermutlich als Sechzehnjähriger mit der Frau eines Ratiborer Justitiars."

Matthias Claudius war Eichendorffs Lieblingsdichter - die Eltern wollten penetrant nicht, dass Seppel ein Dichter würde - was ihn mit den überwiegend bürgerlichen Schreiberlingen gleichgestellt hätte. Obwohl Eichendorff einen Abstecher nach Hamburg machte, traute er sich nicht, Claudius in Wandsbeck aufzusuchen, in Berlin kam es dann allerdings zur Begegnung mit Achim von Arnim und Clemens Brentano, in Wien traf er auf die Schlegels und Theodor Körner. Als Eichendorff schließlich seine Verbeamtung sicher hat, lebt die Familie zwar relativ standesgemäß - aber er ist verzweifelt: "Mir läßt mein Amt jetzt leider nicht viel Muße zum Dichten." Als allerdings 1826 die Novelle 'Aus dem Leben eines Taugenichts' in Berlin erschien, wurden die maßgeblichen Kritiker aufmerksam. Im übertragenen Sinne und in Analogie zu Eichendorffs Doppelexistenz meint Beci, habe der Autor damit "die Geburt des Philisters aus der Asche des Poeten" beschrieben.

Übrigens litten auch andere Zeitgenossen unter dem Doppelleben Beruf-Berufung: Wackenroder, Berlioz, Mörike - um nur einige zu nennen - Eichendorff sprach Willibald Alexis gegenüber einmal von seinem "Anstellungskäfig". Weniger bekannt ist, dass Eichendorff auch einige Dramen geschrieben hatte, u.a. das satirische Schauspiel 'Krieg den Philistern', wo er v.a. das Beamtentum aufs Korn nahm. Wie man weiß, wurden seine Dramen allgemein allerdings weniger bekannt. In dem bereits 1820 geschriebenen aber erst 1837 veröffentlichten 'Mandelkerngedicht' platzt es aus Eichendorff heraus: "Zwischen Akten, dunklen Wänden / Bannt mich, Freiheitsbegehrenden / Nun des Lebens strenge Pflicht / Und aus Schränken, Aktenschichten / lachen mir die beleidigten / Musen in das Amtsgesicht."

In Berlin hatte Eichendorff durch den Kontakt mit Adelbert von Chamisso und Gustav Schwab die Möglichkeit, in der Zeitschrift 'Deutscher Musenalmanach' zu veröffentlichen, was seine Produktivität steigerte. Laut Beci "wuchs sein Ruf als Dichter unaufhörlich." Zu verdanken hatte er das Ende der 1830er Jahre Naturgedichten wie dem seltsam anrührenden Gedicht 'Mondnacht', welches beginnt: "Es war als hätt der Himmel / Die Erde still geküßt." Mit Stifter und Grillparzer war sich Eichendorff übrigens einig in der Skepsis gegenüber dem 'Jungen Deutschland'. Eichendorff flüchtete vor der Revolution 1848 aus Berlin - er war politisch nicht leicht zufrieden zu stellen: "Das Pöbelregiment ist dumm / das Säbelregiment noch dümmer." Am liebsten wäre er, wie er einmal gestand, nach Amerika ausgewandert "aus unüberwindlichem Ekel an der moralischen Fäulnis.“

Schließlich öffnete der alternde Dichter in Berlin sein Haus auch den jüngeren Autoren zur "Donnerstagsgesellschaft" - bei welcher Gelegenheit er sich auch durchaus verehren ließ - bis er nach dem Tod seiner Frau selbst geistig und körperlich abbaute. Beci gelingt es auf spannende und anschauliche Art, Einblicke in die nicht unproblematischen Bewussseinsstrukturen Eichendorffs zu eröffnen, in sein Leben und seine Werke - wobei sie zu den wichtigsten auch Interpretationsansätze liefert. Seine scheinbar widersprüchlichen Anforderungen einerseits nach einem demütigen Leben, andererseits nach Selbstbestimmung, werden in vielerlei Situationen bei Beci praktisch nachvollziehbar. Es ist insgesamt kein ganz neuer Blick auf Eichendorff, aber zumindest werden die Gewichte etwas verschoben vom scheinbar harmlosen Romantiker hin zu einem durchaus auch politisch argumentierenden und satirisch empfindenden Menschen und Poeten.

(KS; 06/2007)


Veronika Beci: "Joseph von Eichendorff"
Artemis & Winkler, 2007. 220 Seiten.
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