Stefan Weinfurter: "Canossa"

Die Entzauberung der Welt


Heinrich fror, verhandelte, siegte und verlor doch

Der Autor


Stefan Weinfurter hat den Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg inne. Im Übrigen ist er auch im Beirat der Ausstellung Canossa 1077, die mit dem Untertitel versehen ist "Erschütterung der Welt", wohingegen das Buch den Untertitel trägt "Entzauberung der Welt". Dieser letzte Begriff geht übrigens auf Max Weber zurück.

Das Buch

Im einleitenden Kapitel wird die berühmte winterliche Reise Heinrichs nach Canossa geschildert, wo er drei Tage im Büßerhemd und angeblich barfuß um Vergebung anstand. Doch worin liegt die Bedeutung dieses Vorgangs, der als Modell vollständiger Unterwerfung in die deutsche Sprache Einzug hielt?

Nach diesem Vorgriff auf die bekannte Episode geht der Autor chronologisch und kausal vor und untersucht die Spanne ausgehend von Heinrich III. bis zu dessen Enkel Heinrich V., also die Zeit zwischen etwa 1040 bis 1125.

Heinrich III., Vater des späteren Bußgängers, vereinigte während seines Regnums die größte Kombination an weltlicher und geistlicher Macht, denn er war als König der regierende Stellvertreter Gottes auf Erden und somit Teil der göttlichen Weltordnung. Er ernannte in seinem Herrschaftsgebiet die Bischöfe, setzte aber auch Päpste ein und wieder ab, zwar vermittels einer Synode, aber praktisch geschah dies nach seinem Willen und dem seiner Berater. Allerdings waren diese Päpste eher Bischöfe von Rom zu nennen, denn die Macht der späteren Päpste besaßen sie noch nicht.

Doch Heinrich III. war nicht nur ein Machtmensch, sondern auch erfüllt von einem innigen Glauben. Er unterstützte die Reformpläne des Klosters Cluny, die der Kirche neben einer inneren, spirituellen Reform aber auch eine größere Unabhängigkeit bescherten. Und genau dieser Punkt sollte seinen Sohn so in Schwierigkeiten bringen.

Papst Gregor VII., erfüllt von Selbst- und Sendungsbewusstsein, definierte in einem 27 Punkte umfassenden Diktat (Dictatus Papae) aus dem Jahre 1075 die Stellung des Papstes in Kirche und Welt neu. Die wohl folgenreichste der Formeln lautete: "Quod illi liceat imperatores deponere." zu deutsch: "Dass es ihm erlaubt ist, Kaiser abzusetzen.", wobei die Kaiser im Plural stehen. Es ist nachgerade überflüssig zu betonen, dass Kritik verboten war. Der Text ist hier in Original und Übersetzung nachzulesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Dictatus_Papae (externer Lien; Anm. d. Red.).

Es bildeten sich nun zwei Lager aus, die sich auf absehbare Zeit bekämpften. Aus heutiger Sicht könnte man vielleicht erwarten, dass sich die Lagergrenzen zwischen den Fürsten und dem Klerus herausbildeten, doch die Bischöfe, die in der Gunst des Königs gut lebten, hielten auch weiterhin zu ihm. Und die Fürsten, die in einer veränderten Weltordnung ihre Chance sahen, wandten sich der päpstlichen Reformbewegung zu.

Doch neben den üblichen politischen, diplomatischen und militärischen Operationen brachte der Papst eine neue Idee ins Spiel und exkommunizierte Ende 1076 kurzerhand den König. Die unerwartete Wirkung dieses Schachzugs zwang Heinrich zu seiner eiligen Reise nach Italien: er fror, verhandelte und siegte. Doch der teils erbitterte und Menschenleben fordernde Streit zwischen den beiden Lagern ging weiter. Zwar regelte das Wormser Konkordat von 1122 die Investitur der Bischöfe durch strikte Trennung der weltlichen Temporalien und der geistlichen Spiritualien. Doch der Investiturstreit war damit noch nicht abgeschlossen. Erst die Niederlage Friedrich I. Barbarossas vor Papst Alexander im Jahre 1177 klärte diesen Punkt dauerhaft zugunsten des Reformgedankens, und die Einsetzung von Bischöfen unterlag zukünftig der Kirche.

Fazit

So war das mit dem Gang nach Canossa. Und als 1872 der Vatikan den deutschen Gesandten ablehnte, sagte Bismarck vor dem Reichstag: "Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht - weder körperlich noch geistig."

Das vorliegende Buch ist ganz nach dem Geschmack des Rezensenten. Auf wenigen Seiten wird kompetent und umfassend eine Schlüsselsituation europäischer Geschichte ausgeleuchtet, und man wird als Leser mit allem versorgt, was zum Verständnis der Situation erforderlich ist. Ein Anhang kann zur Überleitung weitere Lektüre genutzt werden. Unter den mehr als 300 Literaturquellen hätte eine kleine Liste verfügbarer Ergänzungsliteratur das Buch vollends abgerundet.

(Klaus Prinz; 04/2006)


Stefan Weinfurter: "Canossa"
C.H. Beck, 2006. 254 Seiten.
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Lien:
Ausstellung Canossa 1077
http://www.canossa2006.de/.

Noch ein Buchtipp:


Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter (Hrsg.): "Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I."

Das Mittelalter im Spiegel seiner Herrscher
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Die Autoren: Gerd Althoff, Münster; Oliver Auge, Greifswald; Matthias Becher, Bonn; Joachim Ehlers, Berlin; Klaus van Eickels, Bamberg; Paul Joachim Heinig, Mainz; Martin Kaufhold, Heidelberg; Martin Kintzinger, Münster; Christina Lutter, Wien; Michael Menzel, München; Bernd Schneidmüller, Bamberg; Christine Reinle, Bochum; Karl-Heinz Spieß, Greifswald; Peter Thorau, Saarbrücken; Stefan Weinfurter, Heidelberg; Herwig Wolfram, Wien; Thomas Zotz, Freiburg / Brsg. (C.H. Beck)
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