Vítězslav Nezval: "Valerie und die Woche der Wunder"
Poetistischer Schauerroman
Dieser
          im Jahr 1935 geschriebene und erstmals anno 1945 im Original
          veröffentlichte Roman garantiert all jenen, die das Gruseln
          und das Träumen ebenso wie gehobenen Stil zu schätzen
          wissen, Nervenkitzel in gediegener Aufmachung.
        
        Es ist dem im Herbst 2018 gegründeten, vom "Verein zur
        Unterstützung märchenhaften Theaters (Die Gruppe)"
        betriebenen Verlag "Kētos" zu verdanken, dass "Valerie und die Woche
        der Wunder" nun auch auf Deutsch vorliegt. Noch im selben Jahr wurden
        drei weitere Bücher dieses Verlags publiziert: "Mumie auf
        Reisen. Ein Epos und weitere Gedichte" des 1960 in Prag geborenen
        Autors J.H. Krchovský, "Daphnis und Chloë. Ein
        poetischer Liebesroman in völliger Neuübersetzung"
        (Altgriechisch/Deutsch) von Longos und "Das Eiserne Hemd.
        Debütsammlung einer jungen Dichterin" der 1986 in Liberec
        geborenen Autorin Zuzana Lazarová.
        Laut im Buch abgedruckter Eigendefinition "gibt der Verlag
          Kētos poetische Abenteuer heraus: abenteuerliche, erzählende
          Poesie und abenteuerliche, poetische Prosa. Dabei konzentriert er sich
          auf Übersetzungen traumartiger, surrealer, phantastischer
          Literatur, ob sie nun aus der Gegenwart oder der Antike stammt."
        
        Der Dichter und Übersetzer Vítězslav Nezval kam am
        26. Mai 1900 in Biskoupky zur Welt und starb am 6. April 1958 in Prag.
        Als Mitbegründer des (im Nachwort ausführlich
        erläuterten) avantgardistischen Poetismus sowie des
        tschechischen Surrealismus war er ab den 1930er-Jahren ein bedeutendes
        Schwergewicht innerhalb der tschechoslowakischen Kulturszene, schon
        früh überzeugter Kommunist und nach dem Zweiten
        Weltkrieg verlässlich linientreu, was ihm nicht nur posthum
        einiges an Kritik, sondern auch im Jahr 1953 die Auszeichnung
        "Nationalkünstler" einbrachte.
        
        Die besondere Stellung Nezvals findet auch in
        Jiří
          Kratochvils düsterem Roman "Das Versprechen des
        Architekten" ihren Niederschlag: "Es war der Leiter vom
          Elektrohaus in der Janská ulice. Weil über dem
          Eingang zum Elektrohaus aber die Großbuchstaben ED
          angebracht waren, nannten es die Leute 'Edison', was die
          Aufsichtsorgane aufbrachte, sodass sie dem Leiter die Anweisung gaben,
          die Buchstaben ED abzunehmen. Aber der stellte
          sich merkwürdigerweise quer und verteidigte am Ende 'Edison',
          indem er mit dem Staatskünstler Vítězslav Nezval,
          dem frischen Träger der Medaille des Weltfriedens,
          argumentierte, dessen Poem 'Edison' gerade in der schon x-ten Ausgabe
          herauskam. Die Aufsichtsorgane, die es nicht gewohnt waren,
          nachzugeben, waren diesmal unschlüssig: Nezval war Nezval, das
          war sogar bis zu ihren Ohren vorgedrungen, und daher blieben die
          Buchstaben ED auf dem Elektrohaus."
        Das anno 1927 entstandene hymnische Poem "Edison" gilt
        übrigens als Hauptwerk des Poetismus.
        
        "Ich habe dieses Buch aus Liebe zu den Geheimnissen alter
          abergläubischer Geschichten und romantischer, in Fraktur
          gedruckter Bücher geschrieben (...)", merkte der
        Autor in seiner Vorrede zu "Valerie und die Woche der Wunder" an. Diese
        "Woche der Wunder" wartet im Verlauf der 38 Kapitel mit allerlei
        Genretypischem, jedoch auch Überraschungen, auf:
        Hauptschauplatz ist ein uraltes Haus mit Geheimkeller, Ohrringe mit
        besonderem Inhalt erweisen sich als wirkmächtig,
        lüsterne, verlogene Geistliche biegen sich ihren Glauben samt
        Moral zurecht, junge und ältere Liebende werden in
        Ausschweifung und Verzweiflung gezeigt, ein Hennenblut trinkender,
        erotisch unschlagbarer Rückkehrer zerstört
        Teilbereiche der kleinstädtischen Idylle, während der
        verhängnisvolle Wunsch nach ewiger Jugend für
        zusätzliches Unheil sorgt.
        Komplizierte Familienverhältnisse, Enttäuschungen und
        Lügen, Zaubertränke,
        Verwandlungen,
        Scheintote und
        langgehütete Geheimnisse lassen ein faszinierendes
        Erzähllabyrinth entstehen. Die Hauptfigur Valerie, der
        ebenfalls siebzehnjährige Orlík, dessen "Onkel",
        ein mehr als hundertjähriger Vampir und Alchimist ("Ratz",
        "Konstabel" oder auch "Richard" genannt), Valeries strenge
        Großmutter Elsa, deren lange Zeit verborgene Begierden und
        Sehnsüchte sie und Andere an den Rand des Verderbens
        führen, Missionare, Bauern und Händler hauchen dem
        Roman Leben ein, und die irdische Gerechtigkeit obsiegt am
        märchenhaften Ende.
        
        Ein aufschlussreiches Nachwort, das über Nezval, Poetismus und
        Surrealismus sowie stilistische Einflüsse und Verwandtschaften
        informiert, Übersetzung und Illustrationen erläutert,
        sowie ein Verzeichnis von Nezvals Werken komplettieren den schmucken
        Band.
(kre; 04/2019)
Vítězslav
          Nezval: "Valerie und die Woche der Wunder. Poetistischer Schauerroman"
        (Originaltitel "Valerie a týden divú")
        Übersetzt von Ondřej Cikán.
        Ketos, 2018. 224 Seiten.
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Ein
          weiterer Roman aus diesem Verlag:
          
          Josef Váchal: "Der blutige Roman. Versuch um den Typus des
          idealen Schundromans"
        Ein idealer Schundroman muss offenbar so verrückt wie
        möglich sein. Endlich gibt es dieses Standardwerk der
        hoch-tiefen Schundliteratur auch auf Deutsch. Es fehlen weder Piraten,
        noch Verschwörungen, noch Jesuiten, noch Schweizer
          Käse, noch böse Antialkoholiker. Unzählige
        Handlungsstränge sind flott miteinander verwoben, und jede
        Zeile birgt eine Überraschung.
        Stil und Inhalt sind von den Schundromanen des 18. und 19. Jahrhunderts
        inspiriert. Diese Mischung aus Archaik und den literarischen
        Errungenschaften der Moderne ist eng mit der Prosa des
        österreichischen Schriftstellers
        H.C.
          Artmann verwandt, der allerdings bei Erscheinen des "Blutigen
        Romans" gerade einmal drei Jahre alt war.
        Seinen "Blutigen Roman" hat Josef Váchal im Jahr 1924 ohne
        Manuskript direkt gesetzt und in einer Auflage von nur 17
        Stück gedruckt, und zwar wie die meisten seiner
        Bücher als Gesamtkunstwerk. 1970 wurde das Buch in hoher
        Auflage als Faksimile nachgedruckt und erlangte auf Anhieb Kultstatus,
        obwohl es sofort wieder verboten wurde. Unverzüglich nach der
        Wende 1989 wurde der Verlag "Paseka" gegründet, der nach einer
        der Hauptpersonen des "Blutigen Romans" benannt ist. Es ist
        naheliegend, was seine erste Publikation war. Der Roman wurde zweimal
        verfilmt, zuerst von Ladislav Horáček, dem Gründer
        des Verlags "Paseka", und dann noch einmal 1993 von Jaroslav
        Brabec. Die Holzschnitte des Romans zieren als Sgraffiti die
        Josef-Váchal-Gasse in Leitomischl (Litomyšl). In
        dieser Stadt befindet sich auch jetzige Váchal-Museum
        "Portmoneum", von dem schon im "Blutigen Roman" die Rede ist.
        Josef Váchal (1884 in Milavčice - 1969 in Studeňany) war
        Grafiker, Maler, Schnitzer, Schriftsteller und Drucker, aber nicht nur.
        Sein Werk ist beinahe unüberschaubar vielfältig, ja
        unendlich. Die meisten seiner Bücher druckte er in
        bibliophilen Niedrigstauflagen selbst. Dabei verband er stets Wort und
        Grafik, indem er zum Teil eigene Lettern goss oder schnitzte und zum
        Teil eine sehr archaische Rechtschreibung anwandte. Als bildender
        Künstler widmete er sich nacheinander und gleichzeitig allen
        möglichen Richtungen vom Jugendstil über den
        Expressionismus, von surrealistisch anmutenden bis zu abstrakten
        Kompositionen. In seiner Jugend war er von katholischem Mystizismus
        geprägt, später wandte er sich dem Okkultismus zu. Im
        Jahr 1939 übersiedelte er aus Prag auf den Bauernhof seiner
        Geliebten, der Künstlerin Anna Macková. Dort blieb
        er mit ihr sein restliches Leben lang. Wenige Tage vor seinem Tod und
        wenige Monate bevor die Zensur nach dem unterdrückten
          Prager
          Frühling in Fahrt kam, wurde er von der
        tschechoslowakischen
        Regierung für sein Lebenswerk geehrt. (Ketos) zur
          Rezension ...
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Weitere
          Buchtipps:
          
        Vítězslav
          Nezval: "Edison" 
        (Das berühmte Poem im tschechischen Original nebst
        einer deutschen Nachdichtung von Lutz-Erdmut Adolf und einem Nachwort)
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Marek
          Šindelka: "Der Fehler"
        Ein reißerisches, abgründiges Buch, das eine
        toxische Mixtur aus Spannung, Illusion und Besessenheit erschafft.
        Marek Šindelkas Debütroman verbindet Spannung und
        surreale Poesie zu einer flirrenden Mischung: Kryštof, der
        Eigenbrötler, wächst mit Andrei, dem "Raben", und der
        frühreifen Nina in einem kleinen tschechischen Dorf am
        Waldrand auf. Er entdeckt seine Pflanzenleidenschaft und wird in den
        Bann der Orchideensammler gezogen, für die er fortan unter
        Lebensgefahr verbotene Raritäten aus dem Dschungel importiert.
        Kryštof verstrickt sich in eine geheimnisvolle Geschichte,
        in der ein vierzehnjähriger, blinder Mörder, eine
        wertvolle, fleischfressende Orchidee, aber auch die russische Mafia und
        nicht zuletzt seine verlorene große Liebe Nina eine
        entscheidende Rolle spielen. Als Kryštofs Leiche in einem
        Feld riesiger Giftpflanzen gefunden wird, steht die Polizei vor mehr
        als nur einem Rätsel
        ... (Residenz) zur
          Rezension ...
        
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Walter
          Schamschula: "Geschichte der tschechischen Literatur. Von der
          Gründung der Republik bis zur Gegenwart"
        Der dritte und abschließende Band der "Geschichte der
        tschechischen Literatur" führt von der reichen Schaffensepoche
        der Zwischenkriegsjahre über die schweren Zeiten der
        Unfreiheit zwischen dem Münchner Abkommen und dem Fall des
        Kommunismus bis in das Jahrzehnt der wiedergewonnenen
        Unabhängigkeit. Wie in den vorausgehenden Bänden wird
        das literarische Geschehen mit der allgemeinen politik-, kultur- und
        ideengeschichtlichen Entwicklung in Beziehung gesetzt.
        Es werden auch Textproben in der Übersetzung durch den Autor
        und andere Interpreten in die Darstellung eingearbeitet, sodass das
        Werk die zusätzliche Funktion einer modernen tschechischen
        Anthologie erhält. Neben solch bedeutenden Namen wie Seifert,
        Nezval, Halas, Hrabal,
        Kundera,
        Havel präsentiert das Buch viele Namen, die für den
        deutschsprachigen Leser Neuentdeckungen bedeuten können.
        (Böhlau)
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