Ha Jin: "Nanking Requiem"
Wahrheit und Fiktion
        
        1937 verüben japanische Truppen in der damaligen chinesischen Hauptstadt
        Nanking fast über zwei Monate hinweg grausame Taten an der chinesischen
        Bevölkerung. Exekutionen von bis zu zweihunderttausenden Männern und
        Frauen, Massenvergewaltigungen, Folterungen und Tötungen von
        Kleinkindern, Plünderungen und weitere Gräueltaten.
        
        Dieser Überfall von Nanking zählt zu den schlimmsten Kriegsverbrechen
        der Geschichte und wurde bis vor wenigen Jahren in China eher
        totgeschwiegen, da man die offiziellen Beziehungen zu Japan nicht
        gefährden wollte. Nichtsdestotrotz ist dieses Massaker tief im
        Bewusstsein der Chinesen verankert, vor allem im Verhältnis zu Japan.
        
        Zu den historischen Tatsachen gibt es viele Dokumente, Fotos, Berichte
        von Opfern und Zeugen, verschiedene Aufzeichnungen. Diese haben bereits
        zu einigen Dokumentationen geführt. Dokumente, die im Übrigen bereits
        1946 in einem großangelegten Kriegsverbrechertribunal in Tokyo zur
        Verwendung kamen und nach zwei Jahren zu unzähligen Verurteilungen
        geführt haben.
        
        Aus diesen Überlieferungen hat der 1956 im chinesischen Jinzhou geborene
        und seit 1985 in den USA lebende Ha Jin einen dichten, teilweise fast
        unerträglich schockierenden Roman entwickelt, der einen, auch wenn
        man immer wieder auf etwas unglückliche Formulierungen und stilistische
        Mängel stößt, nicht loslässt.
        
        Ha Jins us-amerikanische Protagonistin, die Missionarin Wilhelmine
        "Minnie" Vautrin, die Leiterin des Jingling College, versucht mit allen
        ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen und richtet in ihrer
        Schule ein Flüchtlingslager für Frauen und Kinder ein.
        
        Der Roman wird aus der Sicht einer von Ha Jin kreierten Assistentin von
        Minni Vautrin erzählt, Anling Gao. Diese Perspektive ist ein kluger
        Kunstgriff, da er Ha Jin größere Freiheit bei seiner Erzählung erlaubt,
        ohne dabei den Rahmen der historisierenden Erzählung zu verlassen.
        
        Fast unerträgliche Schilderungen der Gräueltaten, die allerdings weit
        entfernt von jeglicher Sensationsschreibe sind, die fast monoton und
        distanziert erzählt werden, wechseln sich mit der Schilderung von Minnie
        Vautrins Kampf um das Überleben der vielen Menschen ab, der ständige
        Kampf, die japanischen Truppen davon abzuhalten, in ihr Lager
        einzudringen, ein Kampf, der, obschon sie zigtausenden Menschen das
        Leben rettet, am Ende verlorengeht, was sie in den Selbstmord treibt.
        
        Ha Jin erzählt diese Geschichte nüchtern und mit schnörkelloser Prosa,
        die allerdings in deutscher Sprache einige Prozent ihrer Stärke
        verliert, weswegen er es auch schafft, die Klippen des "Reißerischen"
        oder gar "Sensationslüsternen" locker zu umschiffen.
        Reduziert auf die Geschichte, folgt man ihm gern durch die fast
        dreihundertfünfzig traurigen Seiten, auch wenn es teilweise recht schwer
        fällt.
        
        
        Ein starker Roman über ein dunkles Kapitel der Geschichte, der
        mittlerweile sogar in China erhältlich ist, allerdings in einer etwas
        zensierten Version.
        Starke Empfehlung.
(Roland Freisitzer; 01/2013)
          Ha
            Jin: "Nanking Requiem"
        (Originaltitel "Nanjing Requiem")
        Übersetzt aus dem Amerikanischen von Susanne Hornfeck.
        Ullstein Verlag, 2012. 342 Seiten.
        
          Buch
              bei amazon.de bestellen
        Weitere Buchtipps:
          
          Geling Yan: "Die Mädchen von Nanking"
        "Die Mädchen von Nanking" erzählt von Hoffnung und Liebe inmitten von
        Grausamkeit und Tod. Und davon, wie sich Verachtete durch eine mutige
        Entscheidung aus der Namenlosigkeit erheben und ihre Würde
        zurückgewinnen. Geling Yan, erfolgreiche US-Autorin chinesischer
        Herkunft, erinnert in ihrem auch bereits verfilmten Roman an das
        Massaker von Nanking.
        Nanking, Dezember 1937: Nach tagelangen Gefechten geben die Chinesen
        die Stadt den japanischen Eroberern preis. Tod und Zerstörung folgen.
        Noch glaubt Father Engelmann, dass seine Missionsschule Mädchen aus
        vornehmen chinesischen Familien Schutz bieten kann. Doch dann sucht eine
        Gruppe junger Prostituierter Zuflucht im Kloster, und der Priester
        bringt es nicht übers Herz, sie in den sicheren Tod zu schicken. Im
        Angesicht von Angst und Verzweiflung wachsen feine Verbindungen zwischen
        den ungleichen Verbündeten. Im Mittelpunkt steht die schöne Yumo, eine
        elegante und kluge Hure. Als sich die Lage zuspitzt, werfen die Prostituierten
        ihr Leben in die Waagschale, um die Mädchen zu retten. (Knaus)
        
          Buch
              bei amazon.de bestellen
      Digitalbuch bei
            amazon.de bestellen
Judith
          Brandner: "Reportage Japan. Kratzer im glänzenden Lack"
        Japan ist ein Land der spannungsvollen Gegensätze, die sich dem
        Reisenden nicht sofort erschließen. Judith Brandner, profunde
        Japankennerin, zieht den Vorhang ein wenig zur Seite und gewährt
        erstaunliche Einblicke in das fernöstliche Land. Eine "japanische
        Großmutter" weiht in die Geheimnisse der Kochkunst
        ein, und ein Besuch bei der Herzensfreundin endet mit einem Koffer voll
        antiker Kimonos. Der japanische Freund mit seinem alten Geländewagen
        erweist sich am Fischmarkt von Kyoto als verlässlicher Begleiter.
        Ausgehend von dieser vertrauten Atmosphäre unternimmt die Autorin ihre
        Expeditionen in die Randbereiche der japanischen Gesellschaft. Sie
        spricht mit Obdachlosen und Tagelöhnern, hat konspirative Treffen mit
        protestierenden Studierenden und Begegnungen mit Revisionisten oder
        jungen Menschen, die kaum etwas von der eigenen Geschichte wissen. Den
        intellektuellen Überbau liefern Haruki
          Murakami, mit dem sie über die Orientierungslosigkeit in der
        Gesellschaft philosophiert, und Literaturnobelpreisträger
        Kenzaburô Ôe, der erzählt, weshalb ihn die Rechtsradikalen zum "National
          Enemy" erklärt haben. (Picus)
        
          Buch
              bei amazon.de bestellen