Karl-Heinz Göttert: "Alles außer Hochdeutsch"
Ein Streifzug durch unsere Dialekte
Mundarten
          in Zeiten medialer Globalisierung
        
        Dialekte machen die Sprache(n) bunt, scheint der Buchumschlag mit den
        vielfarbigen Buchstaben suggerieren zu wollen. Die regionalen Sprachen
        gelten als die Sympathieträger, als die Sprachform des
        Herzens, die dort ihre Verbreitung findet, wo man Emotionen ansprechen
        will: im Kabarett, in 
          Popsongs oder in den Regionalvarianten der Fernsehserie
        "Tatort".
        
        Prinzipiell ist jeder Mensch zu Mehrsprachigkeit
        fähig, d.h. jeder kann neben einer bevorzugten Sprachform auch
        noch Varianten dieser Sprache oder auch andere Sprachen gebrauchen und
        bei frühzeitiger Sozialisierung fehlerfrei beherrschen.
        Personen, die ihren Sprachgebrauch nicht variieren, also mit engen
        Freunden aus der Herkunftsregion so sprechen, als sollten sie gerade
        ein Fernsehinterview geben, sind selten. Ihnen würde auch viel
        abgehen: Sie können weder (regionale) Solidarität
        ausdrücken noch zahlreiche Witze verstehen. Der Dialekt ist
        also nicht Alternative zur standardisierten Hochsprache, sondern immer
        Bereicherung und Ergänzung.
        
        So sind auch weniger die Ausführungen zur Entstehung der
        Dialekte, die Lautverschiebungen und die Einflüsse von
        Nachbarsprachen, das grundlegend Neue an diesem Buch, sondern die oft
        minutiöse und mit literarischen Beispielen belegten Hinweise
        auf die Dialektverwendung in den verschiedenen Regionen: Im Norden
        Deutschlands ist der Dialekt fast schon ausgestorben; nur noch wenige
        Menschen sprechen Plattdeutsch. Die enormen Unterschiede zwischen den
        Sprachformen ließen kaum Mischungen zu, förderten
        ein Entweder-Oder. Südliche Dialekte stehen hingegen der
        Hochsprache viel näher, also konnten sich Mundarten und
        Hochsprache leicht vermischen.
        
        Zwar sind für den Autor die überlieferte
        Natürlichkeit der Sprachformen sowie die Grenzen und
        Übergänge zwischen den Dialekten bestimmende Elemente
        in dieser ganzheitlichen Darstellung der deutschen Sprache. Doch
        durchwegs, so hat man den Eindruck, setzt er den deutschen Sprachraum
        mit Deutschland gleich. Freilich gelten die österreichischen
        Dialekte sprachwissenschaftlich als Teil des Bairischen, somit passt
        Österreich ins Kapitel zur Sprache der Bayern. Aber die
        fünf Seiten, die unseren Mundarten gewidmet sind,
        erschöpfen sich fast zur Gänze in den Austriazismen
        in Lautung und Wortschatz. Kaum etwas wird über den
        möglicherweise anders gearteten Gebrauch des
        Österreichischen zum Unterschied vom Bairischen gesagt. Nicht
        anders ist es mit dem Schweizerdeutschen; das Elsässische wird
        auf eine halbe Seite (von insgesamt 25 Seien zum Alemannischen)
        beschränkt. Informationen zum Dialekt in Südtirol
        - immerhin rund 300.000 Sprecher - fehlen. Über die
        (ehemaligen) deutschen Sprachinseln im Osten und Südosten
        gibt es nur historische Fakten zur Be- und Absiedelung, kaum etwas
        über die Rolle von Dialekten in diesen Gebieten.
        
        Besonders überzeugend und erfrischend ist das Kapitel
        über die Forschungsgeschichte der deutschen Dialekte, die auch
        viel über die Rezeption der sprachlichen Varianten in den
        vergangenen Jahrhunderten und Jahrzehnten seit Jacob
          Grimm aussagt.
        
        Karl-Heinz Göttert, emeritierter Professor für
        Germanistik an der Universität zu Köln, belegt seine
        wissenschaftlichen Thesen in bewundernswert lockerem Schreibstil, aus
        dem dann doch immer wieder ein Vorlesungsskriptum durchzuschimmern
        scheint. Das Fachgebiet teilte er in gut verdauliche Happen - wie
        für wöchentlich stattfindende Vorlesungen - ein;
        Anekdoten bereichern den Informations- und Unterhaltungswert. Dennoch
        passieren peinliche Fehler, die weder in
        populärwissenschaftlichen Werken noch auf
        universitärem Boden passieren dürfen: Slowenen werden
        mit Slowaken verwechselt (Seite 201), das Österreichische
        Wörterbuch nennt er "Österreichisches Lexikon" (Seite
        276) usw.
        
        Kurz: ein notwendiges und rundum interessantes Werk mit
        unnötigen Schwächen im Aufbau und im Detail.
(Wolfgang Moser; 01/2012)
Karl-Heinz
            Göttert: "Alles außer Hochdeutsch. Ein
          Streifzug durch unsere Dialekte"
        Ullstein, 2011. 384 Seiten.
        
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        Ein weiteres Buch des Autors:
          
          
          "Die Ritter"
        Das weitaus populärste Relikt
        aus dem Mittelalter
        ist und bleibt der Ritter. Jeder Bub wollte einmal Ritter
        werden und hat dann Ritter gespielt, jedes Mädchen hat sich
        gefragt, ob
        Ritterin zu sein nicht attraktiver wäre als
        Burgfräulein. Aber hat es die
        Ritter wirklich gegeben? War das Mittelalter so, wie wir es in
        Kindertagen träumten?
        Ritter zu werden, Ritter zu sein, das war immer, auch im hohen und
        späten
        Mittelalter, eine schöne Fantasie, ein Spiel. Gespielt haben
        es zuerst adelige
        Krieger, die es sich leisten konnten und die aus diesem Spiel die
        Demonstration
        ihres Anspruchs auf Selbstbestimmung, Macht und gesellschaftlichen Rang
        entwickelten: Pferde, Waffen, Burgen und all das als Statussymbole
        einer
        aufstrebenden Männergruppe. Das Spiel behielt seine
        unschönen Seiten in der
        rauen Wirklichkeit, aber es entwickelte auch eine verfeinerte Kultur:
        Freiheit,
        Großzügigkeit, Vornehmheit, Maß und
        Eleganz kamen durch sie in Mode. Diesen
        fantastischen, fiktiven und manchmal ideologischen Charakter des
        mittelalterlichen Rittertums nimmt Karl-Heinz Göttert in
        seiner farbenreichen und unterhaltsamen Gesamtdarstellung aus
        historischer Perspektive erstmals in den Blick. (Reclam)
        
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Zwei
          weitere Buchtipps:
          
          Joachim Kalka (Hrsg.): "Dialekt in der Literatur"
        Das "Valerio-Heft" Nr. 13 wendet sich einem Thema zu, dessen
        mannigfache Aspekte trotz seiner alltäglichen Vertrautheit
        noch längst nicht hinreichend untersucht scheinen: Dialekt und
        Literatur. In den verschiedenen Beiträgen werden einerseits
        einige der Punkte untersucht, an denen der Dialekt große
        Literatur geworden ist - hier wären für die deutsche
        Sprache etwa Nestroy und Hauptmanns
        "Weber", Hebels
        "Alemannische Gedichte" und Niebergalls großartiger
        "Datterich", eine "Lokalposse in Darmstädter Mundart" zu
        nennen. Dieses "Lokale" gibt andererseits Anlass zu Untersuchungen, wie
        Dialekt die poetische Produktion von "hochsprachlich" arbeitenden
        Lyrikern einfärben kann; wie einzelne Dialekte von der Nation
        wahrgenommen werden (das Sächsische); wie die philologische
        Arbeit auf den langsam versinkenden Dialektkontinenten das Bewusstsein
        von Sprache und Dichtung bereichert. Aus dem Inhalt seien als Beispiele
        genannt der liebevolle Aufsatz des ehemaligen Darmstädter
        Oberbürgermeisters Peter Benz über Niebergall, Ingo
        Schulzes Reflexionen über die Mutationen des
        Sächsischen und der Versuch des Herausgebers Joachim Kalka
        über
        Karl
          Kraus und Nestroy.
        Mit Beiträgen u.A. von: Peter Benz,
        Ingo
          Schulze, Joachim Kalka. (Wallstein)
        
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