Reinhard P. Gruber: "Grubers Piefke-Wörterbuch"

Der Index der verpönten Wörter für Österreicher


Mal mopsfidel beim Klönen

Reinhard P. Gruber, bewährter Kenner des Steirischen sowie bekennender Sprecher und Schreiber von zeitgenössischer Mundart, wagt einen Ausflug über die Grenzen seiner sprachlichen Heimat. Auf dieser linguistisch-humoristischen Reise kommen ihm Leute entgegen, deren Sprache sich von der vertrauten deutlich unterscheidet:

"Die häufigste Auftrittsform des Deutschen ist der deutsche Tourist", postuliert Gruber auf den ersten Seiten und am Buchumschlag. Dies mag vor Einführung von Kabel- und Satellitenfernsehen richtig gewesen sein, heute irrt Gruber - und gibt seinen Irrtum gleich einige Zeilen weiter unten zu: Das Piefke-Wörterbuch bezieht nämlich seine Einträge nicht von Touristen, sondern in erster Linie aus intensivem Studium deutscher Fernsehprogramme. Die Zeiten, wo sich deutscher Einfluss auf Fremdenverkehrszentren beschränkte, sind längst vorbei.

Gruber hat sich offensichtlich kreuz und quer durch die deutschen Sender gezappt und dabei weniger das Kulturprogramm und die soignierte Sprache der Nachrichtensprecher analysiert, sondern jenen Leuten aufs Maul geschaut, mit denen sich auch sein Hödlmoser abgegeben hätte, wenn er halt nicht Fohns-, sondern in Düsseldorfer wäre. Diese, so scheint mir, tummeln sich heute weniger am Kneipentresen als im Scheinwerferlicht deutscher "Talkshows".

Die altbekannten deutsch-österreichische Wortpaare wie Kartoffel/Erdapfel und Tomate/Paradeis kommen im Piefke-Wörterbuch kaum vor - dafür müsste sich Gruber auch nicht jahrelang vor die Glotze setzen. Sein Interesse gilt den selteneren und subtileren, auch regionalen und fachsprachlichen Fundstücken, die man sich erst auf der Zunge zergehen lassen sollte, bevor man sie wirklich versteht. Es sind häufig Ausdrücke, deren Bedeutung sich den Lesern ohne Grubers Wörterbuch (beziehungsweise ohne langwieriges wie langweiliges Studium deutschen Fernsehens) nur schwer erschließt. Deren Verösterreicherung lässt sich nicht immer in einer kurzen Wortgleichung wiedergeben. Dazu ein paar Beispiele aus der Alphabetmitte (Seiten 94, 95):

D

A

der Lugaus (landsch.)
der Luginsland
der Lummel (süddt.)
das Lungenhaschee
der Lupf (süddt.)
die Lusche (ugs.)
die Lutschstange
der Lutter
der Aussichtsturm
Wachturm, Aussichtsturm
Lendenfleisch, Lendbraten
das Beuscherl, das Lüngerl
das Hochheben, Last, die man eben noch heben kann
Spielkarte von geringem Wert
der Lutscher, der Schlecker
noch unreines Spiritusdestillat

Freilich ist nicht Platz für längere Einträge, schon gar nicht für Verwendungsbeispiele oder gar Etymologien. Auch Wörter, die in Österreich und Deutschland Verschiedenes bedeuten, wie z.B. Brötchen (D) – 'Semmel', Brötchen (A) - ‚dekorhaft belegte Brotscheibe als Büffetbestandteil’ oder das Verwirrspiel um die Verortung des simplen da (A: 'hier', D: 'dort'), müssen in den Wortlisten eines knappen Wörterbuchs ohne wissenschaftliche Ansprüche nicht unbedingt Platz haben.

Wie jedes Wörterbuch tut sich auch Grubers Werk mit Aussprache und syntaktischen Eigenheiten schwer: Zwar ist die Lautung [Betong] für Beton, [Schanx] für Chance und [Schina] für China wie auch die Verwendung einer Präposition ohne nachfolgendes Nomen (z.B. da bin ich fest von überzeugt) kennzeichnend "piefkinesisch", ließe sich aber in einem Vorwort, Nachwort oder Anhang wesentlich besser darstellen als im Abecedarium unter da von.

Gesetzlich geregelte Namen für Institutionen, die zwar in beiden Ländern vergleichbar bestehen, aber traditionell anders benannt werden, z.B. Bundstag - Nationalrat, Bundeswehr - Bundesheer, vervollständigen dieses Wörterbuch, sind aber weit weniger interessant als gewachsene Ausdrücke.

In zwei Bereichen hat aber Gruber übertrieben:
Solange wir nicht zuviel fernsehen oder uns dem Gruber'schen Diktum entsprechend unter nordwestliche Touristenhorden mischen, bleibt uns die Piefke-Sprache fremd. Bei gesundem Heimat- und Selbstvertrauen müsste man dieses Gefühl gar nicht künstlich verstärken, schon gar nicht durch die Einmengung von Sprechblasen mit äußerst seltenen und fremden Wörtern und Namen zwischen die Wörterbucheinträge: z.B. "schon gehört? die Phillumenie = Sammeln von Streichholzschachteln" (Seite 114).

Warum Reinhard P. Gruber an gut zweihundert Seiten Piefke-Wörterbuch fast unkommentiert auch noch seine umfangreiche, fünfzigseitige Wörtersammlung der untergehenden Sprache ("Wörter, die dem deutschen Sprachgebrauch abhanden gekommen sind") anhängt, bleibt unklar. Diesen Beweis dafür, dass "jede untote Sprache lebt" (Seite 7), hätte er besser zu einem eigenen interessanten Buch ausbauen können.

Mit seinem Piefke-Wörterbuch dokumentiert Reinhard P. Gruber, dass sprachliches Fremdgehen unterhaltsam ist und dass ein Steirer auch die Piefke-Sprache kreativ nutzen kann. Den Zeigefinger, mit dem er den Österreichern den Weg zur eigenen Sprache weist, hat er leicht erhoben, richtet ihn aber nicht allzu anklagend auf jene, die sich sprachlich zu weit in den Nordwesten verirrten. Dieses Buch ist der Gegenbeweis gegen die Einheitlichkeit der deutschen Sprache.

(Wolfgang Moser; 10/2006)


Reinhard P. Gruber: "Grubers Piefke-Wörterbuch"
Literaturverlag Droschl, 2006. 254 Seiten.
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Reinhard P. Gruber wurde am 20. Jänner 1947 geboren. Zwischen 1966 und 1973 Studium an der Universität Wien. 1974 bis 1977 Kulturjournalist in Graz. Seit 1978 Schriftsteller bei Stainz in der Weststeiermark.
Den Durchbruch schaffte er bereits mit seinem zweiten Werk, dem Roman "Aus dem Leben Hödlmosers" (1973), das auch in Wien, Graz, Salzburg und Ljubljana in verschiedenen Dramatisierungen aufgeführt und vom "steirischen herbst" vertont wurde. Ein durchschlagender Erfolg wurde auch "Das Schilcher-ABC" (1988), in dem er sich in der für ihn typisch ironischen Art den Bewohnern der Weststeiermark und ihrem Wein, dem Schilcher, widmet. Mit "Heimatlos" - eine steirische Wirtshausoper in einem Rausch landete er einen weiteren großen Bühnenerfolg. Das Stück kam bis heute in rund 25 Inszenierungen heraus, u. a. in Hamburg, Stuttgart, München, Frankfurt und Nürnberg. Seit 1997 verlegt der Literaturverlag Droschl sukzessive Grubers Gesamtwerk in einheitlicher Ausstattung, darunter auch alle seit langem vergriffenen frühen Arbeiten und die bisher nicht in Buchform erschienenen Texte.

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