Friedrich Ani: "Süden und das heimliche Leben"
Von 1998 bis 2005 hatte
          der 1959 geborene Münchner Schriftsteller Friedrich Ani in 14 Büchern
          seinen Kriminalkommissar Tabor Süden mit seinem Team bei der Münchner
          Kripo Morde aufklären und schwerpunktmäßig nach vermissten Menschen
          suchen lassen. Obwohl diese Bücher niemals so hohe Auflagezahlen wie
          etwa jene vieler skandinavischer Krimireihen erreichten,  wurden
          sie regelmäßig von den Literaturkritikern hoch gelobt, die seit den
          Romanen von Sjöwahl/Wahlhöö von einem Krimiautor nicht mehr derart
          begeistert waren.
        
        Das lag und liegt an der Perspektive Friedrich Anis, an der Weise, wie
        er selbst und mit ihm seine Hauptfigur Tabor Süden die Welt und die
        Menschen betrachtet, wahrnimmt, erleidet, spürt und nicht selten
        regelrecht "liest".
        
        Mit dem Roman "Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel" war dann
        für Tabor Süden Schluss. Er hängte den Polizistenberuf an den Nagel und
        wollte etwas ganz Anderes machen. Ob Friedrich Ani damals schon daran
        dachte, ihn nach einigen Jahren zurückzuholen, wie er es zunächst anno
        2011 und nun mit dem hier vorliegenden Roman tut, glaubt der Rezensent
        eher nicht. Zunächst erfand er mit dem ehemaligen Priester Polonius
        Fischer einen Ermittler im Münchner Dezernat 11, der seine
        Ermittlungstätigkeit in leider nur drei Bänden nicht nur mit tiefen
        philosophischen und theologischen Reflexionen auch über sein eigenes
        bewegtes Leben verband, sondern auch ein ähnliches Faible wie Tabor
        Süden für die Außenstehenden, die Unsichtbaren und unsichtbar gemachten
        Menschen in einer Gesellschaft, die ihr unteres Segment aufgegeben hat,
        entwickelte.
        Fast zeitgleich entwickelte er bei DTV eine Reihe von kurzen Krimis um
        den "Seher", den bei einem Einsatz erblindeten Kommissar Jonas Vogel,
        und seinen ebenfalls bei der Münchner Kripo arbeitenden Sohn.
        
        Allen drei Polizistenfiguren hat der Autor seine eigenen Fähigkeiten und
        Vorlieben angedichtet. Sie sehen die Menschen, dort, wo andere blind
        sind, sie lieben, jeder auf seine Weise, die Menschen, auch wenn sie die
        anderen und sie sich selbst längst aufgegeben haben. Und sie suchen nach
        dem, was dahinter ist, was verschwunden ist, sie fühlen und lesen "die
        leeren Zimmer.“
        
        Nun ist Tabor Süden schon mit einem zweiten Band zurück. All die Jahre
        war er in Köln, hat dort als Kellner gearbeitet, als ihn im vorigen Buch
        ein Anruf aus München regelrecht dorthin zurückzwingt. Sein Vater, der
        vor 35 Jahren einfach verschwunden ist und damit eine noch immer
        schmerzende Wunde in Süden zurückgelassen hat, hat sich gemeldet. Weil
        er sich, ihn suchend, in München von irgendetwas ernähren muss - Süden
        ist ein armer Mann geblieben -, heuert er bei einer Detektei an, die er
        aus seiner Zeit als Kommissar kennt, und bekommt den Fall eines Mannes,
        der seit zwei Jahren verschwunden ist, zugeteilt.
        
        Ganz ähnlich beginnt auch der Roman "Süden und das heimliche Leben", in
        dem er von der Stammtischrunde einer Kneipe und dem Wirt beauftragt
        wird, nach der seit Tagen verschwundenen Bedienung Ilka Senner zu
        suchen. Und weil er wie immer vom Auftraggeber nur jene Informationen
        bekommt, die ihn eher von einer Lösung wegführen, begibt er sich, wie
        früher auch schon, auf die Spuren der Vermissten, redet mit vielen
        Menschen, liest zwischen den Zeilen, hört das, was verschwiegen wird,
        und wird irgendwann selbst zu dem Verschwundenen, lernt so zu denken und
        zu fühlen wir er.
        
        Süden kommt hinter Ilkas Geheimnis und muss erleben, dass sie fast alles
        zu tun bereit ist, damit es gewahrt bleibt.
        
        In einer Zeitungsrezension war einmal über Anis Bücher folgender Satz zu
        lesen: "Wer Anis Geschichten liest, lernt anders denken".
        Das trifft auch und erst recht auf "Süden und das heimliche Leben" zu.
        Aber der Rezensent möchte ergänzen: Er lernt auch anders mitzufühlen und
        anders über Menschen zu urteilen, welche die Gesellschaft längst
        abgeschrieben hat, die lebendig tot sind, und schon lange, bevor sie
        abtauchen, längst in sich selbst verschwunden sind, in "leeren Zimmern"
        leben.
        
        Es ist gut, dass Ani Tabor Süden "weiterleben" lässt, und vielleicht
        auch irgendwann lieben. Der Rezensent hätte auch nichts dagegen, würde
        der Autor irgendwann Polonius Fischer ebenfalls reaktivieren.
(Winfried Stanzick; 11/2012)
          Friedrich
            Ani: "Süden und das heimliche Leben"
        Knaur, 2012. 208 Seiten.
        
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        Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
          
          "Süden"
        Zurück in München
        erhält Tabor Süden als Detektiv den Auftrag, nach dem Wirt Raimund
        Zacherl zu suchen. Der Fall ist genau das Richtige für den ehemals so
        erfolgreichen Ermittler: Ein Mann verlässt sein Durchschnittsleben, und
        jeder fragt sich, warum. Mit seinen besonderen Methoden findet Süden die
        Spur des Wirts und verfolgt sie bis nach Sylt - und schon längst hat er
        begriffen, dass niemand den Mann wirklich kannte. (Knaur)
        
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"Süden und
          das verkehrte Kind"
        Haare: dunkelbraun. Augenfarbe: braun. Größe: 129 Zentimeter. Alter: 6
        Jahre. Geschlecht: weiblich. Nastassja Kolb ist verschwunden, und alle
        Vernehmungen laufen zunächst ins Leere. Bis Tabor Süden begreift,
        welches Spiel die Familienangehörigen mit ihm treiben und wie Recht sein
        Freund
        und Kollege Martin Heuer mit seinen Vermutungen hatte. Doch da ist es
        schon zu spät: Aus Wut und Verzweiflung greift Süden zu Mitteln, mit
        denen er sich selbst ins Abseits manövriert. (Knaur)
        
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"Süden und
          der Mann im langen schwarzen Mantel"
        Hauptkommissar Tabor Süden fährt in sein Heimatdorf, um das Grab
        seiner Mutter zu besuchen. Die Reise in die Vergangenheit nimmt eine
        unerwartete Wendung, als ihn der Lehrer des Ortes um Hilfe bittet,
        dessen Tochter seit einem Jahr vermisst wird. Obwohl Süden für den Fall
        nicht zuständig ist, kann er sich der neuen Herausforderung nicht
        entziehen. (Knaur)
        
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"Der Narr und seine Maschine. Ein Fall für Tabor Süden" zur Rezension ...
"Süden und
          die Stimme der Angst"
        Ariane, 36 Jahre, eine ehemalige Prostituierte,
        eröffnet ein Lokal. Kaum hat sie sich in ihrer bürgerlichen Existenz
        eingelebt, erfährt sie, dass sie HIV-positiv ist. Niklas Schilff, 39
        Jahre, ist Reporter und zählt zu den begehrtesten Berichterstattern in
        Los Angeles. So lange, bis er beginnt, Fakten und Fiktion zu vermischen.
        Desillusioniert und psychisch krank, kehrt er nach
          Deutschland zurück. In einer Nacht treffen sie aufeinander.
        (Knaur)
        
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