Wolfgang Brenner: "Es geschah in Berlin 1924. Stinnes ist tot"

Kappes achter Fall


Der Großindustrielle Hugo Stinnes ist in Berlin nach einer missglückten Operation verstorben, und die Finanzwelt wartet auf die Regelung seines umfänglichen Nachlasses, während die fortschreitende Inflation die "kleinen Leute" zunehmend an den Rand der Existenz drückt und sich die Mittelschicht mehr und mehr auflöst. Doch da Stinnes'  Witwe nicht an einen natürlichen Tod ihres Mannes glauben möchte, zeigt sie einen seiner Ärzte wegen fahrlässiger Tötung an, und Kommissar Herrmann Kappe wird von seinem neuen Chef Dr. Brettschieß beauftragt, diesem Fall nachzugehen.

Schnell stellt sich für Kappe heraus, dass der gute Doktor eher unschuldig am frühen Ableben des Industriellen ist, aber als er ein zweites Gespräch mit der erbosten Witwe darüber führen möchte, wird er von deren Tochter, einer weitgereisten Rennfahrerin, abgefangen und auch emotional gefangen genommen. Wieder einmal tritt also eine exotisch wirkende und gefährliche junge Frau in Kappes Leben und verkompliziert sowohl seine Ermittlungen als auch sein Privatleben. Denn Klara, die zunehmend die Folgen der Inflation spürt, fordert von Kappe nicht nur das Verfolgen einer Gehaltserhöhung, sondern auch mehr Zeit, die er mit seiner Familie verbringt. Ein Zwiespalt, dem er nur zu gern durch mehr Arbeit und außerterminliche Verpflichtungen zu entkommen sucht.

Der Fall Stinnes zeigt in seinem Fortgang zunehmend politische Verbindungen, und es geht sogar so weit, dass nicht nur Dr. Brettschieß, sondern auch das Außenamt, Kappe dahingehend unter Druck zu setzen versucht, dass er den Doktor wider besseres Wissen schnellstmöglich unter Arrest stellen lässt; ein Anliegen, dem Kappe gewohnt negativ gegenüber steht und gegen das er sich in ungewohnter Härte auflehnt.

Der Verbindung von Politik und Industrie in der Weimarer Republik, den Vorteilen einer Inflation für verschuldete Großindustrielle und der Frage, wem die Polizei eigentlich dienen sollte, kommt in diesem Roman wieder einmal entscheidende Bedeutung zu, und der in wirtschaftlichen Dingen bis dahin eher unbeleckte Kappe beginnt nun immer intensiver den Wirtschaftsteil der Zeitung zu lesen, und auch der Leser wird dadurch immer detaillierter über diese Zusammenhänge in der damaligen Zeit informiert.
Auch Kappe entwickelt sich auf seinem inneren und äußeren Weg merklich weiter.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 07/2009)


Wolfgang Brenner: "Es geschah in Berlin 1924. Stinnes ist tot. Kappes achter Fall"
Jaron Verlag, 2009. 207 Seiten.
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