Árni Thórarinsson: "Todesgott"
Es ist schon erstaunlich, was in
der letzten Zeit seit Ende der 1990er-Jahre an interessanter und spannender
Krimiliteratur von der dünn besiedelten Insel im Norden Europas kommt. Das nur
rund 320.000 Einwohner zählende Island hat eine stattliche Anzahl von Autoren
vorzuweisen, die seit dieser Zeit nicht nur die deutschsprachigen Krimileser mit
ihren Krimireihen begeisterten und erstaunlich hohe Auflagen erzielten. Neben Anderen
gehört der 1950 geborene, in
Reykjavík,
der Hauptstadt Islands, lebende und arbeitende Journalist Árni Thórarinsson zu
denjenigen, die für dieses ganz besondere Genre den literarischen Grundstein
legten.
"Todesgott" ist der mittlerweile vierte Roman einer Serie, in welcher
der Reporter und Journalist Einar die Hauptrolle spielt. Er ist so etwas wie das
Alter Ego des Autors und verschafft diesem die Möglichkeit, dem Leser nicht nur
interessante Einblicke in die Zeitungs- und Medienwelt des modernen Island zu
geben, sondern über dessen Lebensgestaltung und Reflexionen auch Informationen
zu vermitteln über den Wandel Islands von einem vormodernen Agrarland, das
hauptsächlich durch Fischerei und Seefahrt geprägt war und wenigen Touristen
wegen seiner heißen Quellen als Ziel diente, zu einem Turbostaat, der vor der
Pleite steht.
Wer die wunderbaren Romane
von
Jón Kalman Stefánsson gelesen hat, kennt die Geschichte dieser Insel gut
und hat einen Eindruck davon, wie gewaltig die Modernisierung dieses kleine Land
getroffen hat.
Quer durch die Handlung des Buches zieht sich ein durchaus skeptisch-kritischer
Blick auf die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung in Island.
Der Arbeitgeber Einars, das "Reykjavíker Abendblatt", hat
beschlossen, in den kleinen Stadt Akureyi im Norden der Insel eine Zweigstelle
zu eröffnen. Diese 16.000 Einwohner zählende Stadt war im 20. Jahrhundert ein
Zentrum der respektablen Fischereiindustrie Islands und lange Zeit ein
Anlaufpunkt für junge Menschen aus dem Inneren des Landes, die dort, zumindest
zeitweise, einen Arbeitsplatz fanden und eine Existenz gründen konnten.
Der schon aus den früheren Romanen bekannte engagierte und auch etwas skurrile
Reporter Einar wird jedoch nicht allein dorthin versetzt. Der Büroleiter Asbjörn,
mit dem er sich so gar nicht versteht, und die lesbische Fotografin Joa, die er
umso mehr schätzt und mag, sollen als Team in Akureyi erreichen, dass die
Auflage der Zeitung zulegt. Dafür sollen sie nach Meinung der
Hauptstadtzentrale allerlei mehr oder weniger einfallslose Dinge recherchieren
und publizieren, auch hier eine Anpassung an das Niveau der anderen Länder.
Doch Einar ist das nicht genug; und ebensowenig seiner Kollegin Joa. Einar,
gerade mühsam von einer schweren Alkoholkrankheit "genesen", will
seinen Beruf richtig und engagiert ausüben, und so kommt ihm die Nachricht
gerade recht, als eine Frau bei einem Betriebsausflug stirbt. Sie ist während
einer Wildwasserfahrt auf einen Gletscherfluss aus dem Schlauchboot gestürzt
und im Beisein ihres Ehemanns ertrunken.
Einar schenkt der offiziellen Version, es sei ein Unfall gewesen, keinen Glauben.
Er beginnt, auf seine Art zu recherchieren und stößt sehr schnell auf einige
Merkwürdigkeiten.
Fast zur selben Zeit geht die Meldung ein, dass die Leiche eines Oberschülers
auf einer Müllhalde gefunden wurde. Skarphedinn Valgardsson, so heißt das
Opfer, war eine Schülerpersönlichkeit mit bemerkenswerter charismatischer
Ausstrahlung.
Auch hier beginnt Einar zu recherchieren und erkennt schon bald mögliche
Zusammenhänge zwischen den beiden Fällen.
Árni Thórarinsson lässt Einar in der Ich-Form erzählen, was den Roman nicht
nur sehr authentisch macht, sondern ihn ein plastisches, durch die kritische
Persönlichkeit Einars gefiltertes Bild der Realität der gegenwärtigen isländischen
Gesellschaft zeichnen lässt. Ein Land, das mit einer Turboentwicklung fast ein
Jahrhundert übersprungen und dafür einen hohen Preis gezahlt hat und
vielleicht bald genauso schnell wieder abstürzen wird.
(Winfried Stanzick; 10/2008)
Árni Thórarinsson: "Todesgott"
(Originaltitel "Tími Nornarinnar")
Aus dem Isländischen von Tina Flecken.
Droemer, 2008. 416 Seiten.
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Zwei weitere Buchtipps:
Karl-Ludwig Wetzig (Hrsg.): "Europa erlesen. Island"
Um einen Grenzraum also geht es, um ein Land an der äußersten Peripherie. In
der Tat scheint Island aus mitteleuropäischer Sicht selbst heute noch vielen
kaum mehr als ein ferner, undeutlicher Schemen, eine von merkwürdigen Naturphänomenen
gekennzeichnete Nebelinsel weit draußen im Weltmeer zu sein. Dabei dürfte es
kaum ein zweites europäisches Land geben, über dessen früheste Geschichte man
aus verlässlichen Schriftquellen derart vom ersten historischen Tag an
informiert ist.
Der Vulkanismus und die heißen Quellen, das ewige
Eis, die als Ursprünglichkeit
interpretierte Rückständigkeit der von Naturkatastrophen heimgesuchten
Bewohner, das vermeintlich germanische
Erbe, die unberührte Natur: die Anreize
für Islandreisende wechselten, die Islandsehnsucht mit ihren verzerrten
Wunschvorstellungen blieb. Und was setzten die Isländer dagegen, von
uneingeladen dahergereisten Fremden entweder als "Edle Wilde" bestaunt
oder, wie etwa von dem Kulturkritiker Max Nordau, im Umschlag als degenerierte "Nachkommen
germanischer Kriegerstämme, schmutzig, klein und zerlumpt" verhöhnt
zu werden? - Ihre hohe Bildung und vor allem die überlegene Ironie einer alten
Kultur- und Literaturnation.
"Jedes Bergtal ... die Flüsse, die Lavafelder und Sande, sogar das Moor
und die Heide - das ganze Land bebt von der literarischen Überlieferung. Nach
einem tausendjährigen Zusammenleben mit epischen Menschen ist die ganze
Landschaft von Literatur durchdrungen." So schrieb es der isländische
Nobelpreisträger für Literatur,
Halldór
Laxness, Ende der 1950er-Jahre einem deutschsprachigen Bildband über seine
Heimatinsel ins Stammbuch. Einige Glanzlichter aus diesem nicht immer
spannungsfreien, aber oft spannenden Dialog zwischen aus- und inländischen
literarischen Islandbildern zusammen- und manchmal auch gegeneinander zu
stellen, ist das Anliegen dieses Bändchens, aus dem es hoffentlich den Reiz für
seine Leser bezieht.
Mit Beiträgen von u.A.: Sigfús Bjartmarsson, Friedrich de la Motte Fouqué,
Arthur Dillon, Kláus Eyjólfsson, Kjartan Grasland,
Ulla
Hahn, Manfred Hausmann, Seamus Heaney, Wystan Hugh Auden, Arngrímur Jónsson,
Johannes Kepler, Halldór Laxness, Pierre Loti, Eggert Ólafsson / Bjarni Pálsson,
Per Olof Sundman, Gories Peerse, Ida Pfeiffer, Arno Schmidt, Illy Sørensen, Jón
Steingrímsson, Verena Stössinger, Eero Suvilehto, Poul Vad,
Jules
Verne, Linda Vilhjálmsdóttir, Thor Vilhjálmsson, Adam von Bremen Alberich
von Troisfontaines, Ferdinand von Freiligrath. (Wieser Verlag)
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