Hans-Gerd Koch (Hrsg.): "Kafka in Berlin"

Eine historische Stadtreise


Als Franz Kafka am 3. Dezember 1910 mit dem Schnellzug von Prag nach Berlin fuhr, konnte er noch nicht ahnen, dass dies den Beginn einer lange Zeit ungestillten Sehnsucht bilden würde.

Mit Berlin verband ihn Felice Bauer, in die er sich schnell verliebte, obzwar er sie keineswegs als besondere Schönheit beschrieb. Er verlebte nur wenige Stunden mit ihr, und daraufhin folgten die zu "Berühmtheit" gelangten Briefe, die sogar in zwei Verlobungen ausarteten. Doch kaum hatte er dann um die Hand von Felice angehalten und ihre Familie ihm keine Steine in den Weg gelegt, begann auch schon das Martyrium. So sehr er diese Frau auch liebte, so schwer fiel es ihm, sich vorzustellen, dass er mit ihr dauerhaft zusammenleben könne. Er träumte von einem schönen Familienleben, ohne dass er sich jemals wirklich innerlich dazu bereit erklärte. Oft zerfraß ihn die Sehnsucht nach Felice, und er konnte nächtens kein Auge zu machen.

Nach vielen Stunden des Reflektierens über seine Lage kam Franz Kafka eines Tages zum Entschluss, dass er entweder Felice heiraten und mit ihr eine Familie gründen wolle, oder aber - wenn das nicht gelänge - sich in Berlin eine Existenz als freier Schriftsteller aufzubauen. Dann kam der Erste Weltkrieg sozusagen "dazwischen", und an einen Umzug nach Berlin war nicht zu denken. Nach dem Krieg hätte er genügend Geld und weitere finanzielle Zusicherungen eines Berliner Verlegers gehabt, um tatsächlich den Schritt zum freien Autor in dieser Weltstadt zu wagen. Doch den entscheidenden Schritt zögerte er solange heraus, bis es fast zu spät war.

Nach einem schweren Blutsturz und der Diagnose Lungentuberkulose dauerte es nicht lange, bis Franz Kafka am 1. Juli 1922 pensioniert wurde. Er sollte nur mehr zwei Jahre am Leben bleiben, und im allerletzten Jahr seines Lebens verbrachte er dann tatsächlich gemeinsam mit seiner letzten und wahrscheinlich innigsten Geliebten und Gefährtin Dora Diamant viele Monate in Berlin. Er war von der Krankheit schwer gezeichnet, und schließlich galt es für ihn, sich in ärztliche Behandlung zu begeben, um eine Hoffnung auf Genesung zu haben.

Franz Kafka verstarb am 3. Juni 1924, einen Monat vor seinem 41. Geburtstag. Seine Sehnsuchtsstadt Berlin hatte er stets aus der Ferne bewundert und aus der Nähe geliebt. Überall in Berlin gibt es Spuren von ihm nachzugehen. Er lebte eine Zeit lang in Grunewald, er besuchte die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, sah viele Theatervorstellungen, traf sich immer wieder einmal mit Felice Bauer, und doch war ihm am Ende nur wenig Zeit vergönnt, dieses Berlin genauer kennen zu lernen.

Hans-Gerd Koch vermittelt mit seinem kleinen Buch einen guten Eindruck des Sehnsuchtsortes von Franz Kafka. Er setzt einerseits den Autor in Relation zur Stadt und verdeutlicht andererseits die Besonderheiten von Berlin insbesondere in den 1910er-Jahren.
Zudem ergänzen einige Fotos das liebevoll gestaltete Bändchen.

(Jürgen Heimlich; 05/2008)


Hans-Gerd Koch (Hrsg.): "Kafka in Berlin. Eine historische Stadtreise"
Verlag Klaus Wagenbach, 2008. 137 Seiten mit vielen zeitgenössischen Fotografien.
Buch bei amazon.de bestellen

Hans-Gerd Koch, 1954 geboren, ist Literatur- und Editionswissenschaftler, seit 1982 mit der "Kritischen Kafka-Ausgabe" betraut.