(...)
»Also hört! Ihr müßt wissen, daß meine Großmutter vor sechzig Jahren in Paris war und dort großen Erfolg hatte. Das ganze Volk lief zusammen, um die ›Venus moscovite‹ zu sehen. Selbst Richelieu machte ihr den Hof, und meine Großmutter behauptet, er hätte sich ihretwegen beinahe das Leben genommen. Um jene Zeit spielten die Damen noch Pharao. Einmal verlor meine Großmutter bei Hofe an den Herzog von Orleans eine bedeutende Summe, die sie ihm schuldig bleiben mußte. Nach Hause zurückgekehrt, erzählte sie dem Großvater, während sie die Mouches vom Gesicht nahm und den Reifrock abstreifte, von ihrer Spielschuld und befahl ihm, diese zu begleichen. Mein seliger Großvater wurde, so viel ich mich erinnere, von der Großmutter mehr als Haushofmeister behandelt und hatte vor ihr den größten Respekt. Als er aber von dieser ungeheuren Spielschuld hörte, wurde er ganz wild. Er brachte sein Ausgabenbuch und zeigte ihr, daß sie im letzten Halbjahr eine halbe Million verlebt hätten; bei Paris hätten sie weder die Moskauer, noch die Saratower Güter, er könne also unmöglich das Geld beschaffen. Die Großmutter gab ihm eine Ohrfeige und ging allein zu Bett, um ihm ihre Ungnade zu zeigen: Am nächsten Morgen ließ sie den Mann rufen, den sie durch diese häusliche Strafe bekehrt glaubte. Er war aber noch immer unerbittlich. Da ließ sich die Großmutter zum erstenmal in ihrem Leben herab, mit ihm zu verhandeln; sie redete ihm ins Gewissen und versuchte ihm zu beweisen, daß eine Spielschuld doch etwas anderes sei als eine gewöhnliche Schuld, und daß es doch einen Unterschied gäbe zwischen einem Herzog und einem Wagenlieferanten. Alles war vergebens, der Großvater ließ sich durch nichts umstimmen. Die Großmutter wußte nicht, was sie machen sollte.
Nun war sie mit einem höchst merkwürdigen Menschen intim bekannt. Ihr habt wohl alle etwas vom Grafen Saint-Germain gehört, von dem so merkwürdige Dinge erzählt wurden. .Ihr wißt wohl, daß er sich für den Ewigen Juden, für den Erfinder des Lebenselixiers und des Steins der Weisen und so weiter ausgab. Er wurde oft als Scharlatan angesehen und verlacht; Casanova behauptet aber
in seinen Memoiren, er sei ein Spion gewesen. Dieser Saint-Germain sah übriges, trotz aller Geheimniskrämerei sehr ehrwürdig aus und verstand es, sich in Gesellschaft höchst liebenswürdig zu zeigen. Meine Großmutter liebt ihn noch heute mit heißer Liebe, und sie kann es nicht leiden, wenn man von ihm unehrerbietig spricht. Sie wußte, daß er über unheimliche Geldmittel verfügte. Sie schrieb ihm also ein Billett, er möchte sie sofort besuchen. Der alte Sonderling leistete der Einladung sofort Folge und fand sie in größtem Kummer. Sie beschrieb ihm in den düstersten Farben die Barbarei ihres Mannes und sagte, sie setze ihre letzte Hoffnung auf seine Freundschaft und Liebenswürdigkeit. Der Graf geriet in einige Verlegenheit. ›Ich könnte Ihnen wohl die nötige Summe leihen,‹ sagte er, ›aber ich weiß, daß Sie keine Ruhe finden werden, ehe Sie mir das Geld zurückzahlen; ich will Ihnen aber keine neuen Sorgen machen. Ich weiß ein anderes Mittel: Sie können das Geld zurückgewinnen.‹
›Aber, lieber Graf,‹ sagte die Großmutter, ich habe Ihnen ja gesagt, daß wir kein Geld haben.‹
›Sie brauchen dazu kein Geld,‹ sagte Saint-Germain.
›Hören Sie mich nur an.‹
Und da vertraute er ihr ein Geheimnis an, für das wohl jeder von uns sehr viel geben würde...«
Die jungen Leute verdoppelten ihre Aufmerksamkeit.
Tomskij zündete sich seine Pfeife an und fuhr fort:
»Am gleichen Abend erschien meine Großmutter in Versailles beim jeu de la reine. Der Herzog von Orleans hielt die Bank; meine Großmutter entschuldigte sich zuvor, daß sie die Spielschuld nicht mitgebracht habe, wofür sie irgend einen erdichteten Grund angab, und begann zu setzen. Sie wählte drei Karten und setzte auf sie nacheinander: alle drei gewannen, und so kam sie wieder zu ihrem Geld.«
»Zufall!« sagte ein Gast.
»Ein Märchen!« meinte Hermann.
»Vielleicht waren es gar gezeichnete Karten!« bemerkte ein Dritter.
»Das glaube ich nicht,« erwiderte Tomskij.
»Wie,« sagte Narumow, »du hast eine Großmutter, die drei Karten hintereinander trifft, und hast ihr diese Hexerei noch nicht abgeguckt?«
»Ja, zum Teufel!« antwortete Tomskij. »Sie hatte vier Söhne, und alle, darunter auch mein Vater, waren verzweifelte Spieler; doch hat sie keinem von ihnen ihr Geheimnis anvertraut, obwohl sie es alle – und auch ich auch – recht gut brauchen könnten. Mein Onkel, der Graf Iwan Iljitsch, hat mir aber folgende Geschichte erzählt, deren Richtigkeit er mit seinem Ehrenworte bekräftigte: Der berühmte Tschaplizkij, der bekanntlich Millionen verspielt hat und als Bettler gestorben ist, hatte einmal in seiner Jugend dreihunderttausend Rubel – wenn ich nicht irre, an Sorin – verloren. Er war ganz verzweifelt. Meine Großmutter, die sonst dem Leichtsinn junger Leute gegenüber sehr streng war, hatte nun Mitleid mit dem Tschaplizkij. Sie gab ihm drei Karten an, die er nacheinander zu besetzen hatte, und verpflichtete ihn mit einem Ehrenwort, nie wieder zu spielen. Tschaplizkij ging zu seinem glücklichen Partner, setzte auf die erste Karte fünfzigtausend und gewann Sonika, er bot Paroli und Paroli-Pe und gewann seinen Verlust wieder und noch ein rundes Sümmchen dazu...«


aus "Pique Dame" von Alexander Puschkin
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