HONIG. Der Bibel zufolge benötigt der Mensch zum Leben Wasser, Feuer und Eisen, Salz, Milch und Mehl zum Backen sowie Honig, Trauben, Öl und Kleidung. In biblischen Zeiten kam dem Honig größere Bedeutung zu, als es heute der Fall ist, denn er war der wichtigste und oft genug einzige Süßstofflieferant des Menschen. Die wenigen Alternativen, die die Antike kannte, waren nicht sonderlich befriedigend: Traubenzucker im westlichen Mittelmeergebiet, Johannisbrotschoten im südlichen Mittelmeergebiet (von ihnen heißt es, sie seien der "wilde Honig" Johannes des Täufers gewesen) und Dattel- oder Feigensirup in Kleinasien und Afrika sowie Sirup aus dem Mark bestimmter Süßgräser, der jedoch nur von lokal begrenzter Bedeutung war. Sogar im Orient, wo Zuckerrohr wuchs, das einzige Süßgras mit mehr als lokaler Bedeutung, wurde diesem oft der Honig vorgezogen, weil er leichter zu gewinnen und zu verwenden war; in Indien ersetzte Zuckerrohr den Honig als Hauptsüßungsmittel erst im 3. Jahrhundert. Europa erreichte das Zuckerrohr im 13. Jahrhundert, doch blieb es zu kostspielig und zu selten, um dort vor dem 18. Jahrhundert eine bedeutende Rolle zu spielen.

Die älteste bekannte Darstellung der Honiggewinnung befindet sich in der Höhle von Arana nahe Valencia; sie zeigt einen Steinzeitmenschen beim Ausplündern eines Nests wilder Bienen. (Noch heute wird Honig dort auf die gleiche Weise geerntet; auch auf Ceylon beziehungsweise Sri Lanka raubt man den Honig aus den Nestern der wilden Bienen in den Felsspalten, während die Hottentotten in Südafrika die Bienen aus ihrem Schlupfwinkel herausräuchern.) Lange Zeit genügte dem Menschen der Honig, den er wilden Bienen abspenstig machen konnte, doch spätestens seit der Bronzezeit änderte sich das.

Ägyptische Basreliefs aus der Zeit um 2600 v. Chr. schildern die Bienenhaltung durch den Menschen nicht viel anders, als sie noch heute praktiziert wird. Die Bienenkörbe sind zylindrisch geformt, wahrscheinlich in Anlehnung an die hohlen Baumstämme, die die allerersten "Bienenkörbe" bildeten, und zylindrische Bienenkörbe werden heute noch in Ägypten verwendet. Zweifellos lernten die Griechen von den Ägyptern, wie man Bienen hält, doch sie bevorzugten den Honig der Wildbienen. Die Römer wiederum verfeinerten die Bienenhaltung zu einer Kunst und Wissenschaft, wenngleich ihre Praxis ihrer Theorie überlegen war, denn die Sexualität der Bienen war ihnen nicht recht ersichtlich, da sie die Königin als König bezeichneten (doch das taten alle westlichen Kulturvölker bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, als der Zootom Jan Swammerdam zuerst entdeckte, dass die als Könige betrachteten Insektenherrscher in Wahrheit Weibchen sind.)

Karl der Große befahl, dass Bienenwachs und Honig stets vorrätig zu sein hätten, und das ganze Mittelalter hindurch war Honig das verbreitetste Süßungsmittel. Klöster waren besonders verlässliche Honigproduzenten; sie hielten Bienen, um Wachs zu erzeugen, das sie für Kerzen benötigten, und so war der Honig gewissermaßen ein Abfallprodukt der Wachsherstellung. Als Heinrich VIII. die Klöster abschaffte, wurde in England Honig zur Mangelware - glücklicherweise zu einer Zeit, da Zuckerrohr bekannt und billig genug wurde, um bald seinen Platz einzunehmen.

Die ersten Spanier, die die Neue Welt erreichten, stellten fest, dass sowohl Azteken als auch Mayas den Honig einer gezähmten einheimischen Bienenart verzehrten, die wir heute Melipona beecheii nennen, doch die Pilgerväter zogen es wenig später vor, ihre europäische Honigbiene Apis mellifica nach Amerika mitzunehmen, wo diese von den Indianern prompt als "Fliege des weißen Mannes" bezeichnet wurde.

Honig ist möglicherweise das einzige vorverdaute Nahrungsmittel, das der Mensch kennt (mit Ausnahme der Muttermilch, die man nur in einem bestimmten Alter zu sich nimmt, und der Vogelnester der asiatischen Küche, deren essbarer Anteil nicht Zweiglein sind, sondern die Sekrete der Schwalben.) Der Verdauungsprozess, der den Nektar der Blüte in Honig verwandelt, beginnt bereits auf dem Rückflug der Biene zum Bienenkorb. In ihrem Honigmagen fügt die Biene dem Nektar ein enzymhaltiges Sekret ihrer Kropfdrüsen hinzu. Die Mischung wird sodann in den Waben des Bienenstocks gespeichert, wo sie unter Wasserverdunstung und enzymatischen Reaktionen zum Honig heranreift.

Der Wabenhonig ist flüssig; viele glauben, kristallisierender Honig sei nicht mehr genießbar, doch dies ist ein Irrtum: Die Kristallisierung ist ein natürliches Ergebnis der voranschreitenden Wasserverdunstung, und man kann sie rückgängig machen, indem man den Honig behutsam erhitzt (allerdings nicht über 50 Grad Celsius, denn sonst verliert er Nährstoffe und Aroma); Honig, der nicht zum Kristallisieren neigt, ist leider nicht naturrein.

Honig enthält den Duft und das Aroma der Pflanzen, die den Nektar lieferten, aus dem er entstanden ist. An erster Stelle unter den begehrtesten Sorten scheint von alters her der Thymianhonig zu figurieren, und dasselbe kann man guten Gewissens auch vom Akazienhonig, vom Milleflori-Blütenhonig, vom Apfel-, Orangen- und Heideblütenhonig, vom Rosmarin-, Nelken-, Salbei- und sogar Löwenzahnhonig sagen. Tannenhonig hingegen ist nicht unbedingt jedermanns Sache, obwohl er überaus aromatisch ist. Jean Paul erfand die Begriffe "Honigwoche" und "Honigzeit"; offenbar misstraute er dem Honigmond, denn, wie das Sprichwort sagt, "zuviel Honig macht speien".


(Aus: "Alles, was man essen kann. 
Eine kulinarische Weltreise von Aakerbeere bis Zwiebel"
von Waverley Root)