Terry Pratchett: "Der Winterschmied"

Ein Märchen von der Scheibenwelt


Dies ist der dritte Band über die HiA (Hexe in Ausbildung) Tiffany Weh. Nach "Kleine freie Männer" und "Ein Hut voller Sterne" ist sie nun bei Fräulein Verrat, einer 113 Jahre alten Hexe, die nicht nur die älteste Hexe der Scheibenwelt darstellt, sondern auch eine der am meisten gefürchteten. Sie hat beinahe schwarze Fenster an ihrer Hütte im Wald, die Stube hängt voller Spinnweben, doch keine Spinne ist zu sehen (angeblich isst Fräulein Verrat diese), im Keller lebt ein von ihr beherrschtes menschenfressendes Monster, sie kann mit dem Daumennagel die Bäuche von Menschen aufreißen, und zwei Schädel helfen ihr dabei, in der Gemeinde Recht zu sprechen. Das zumindest erzählen sich die Leute. 
Fräulein Verrat ist blind und taub und erlebt die Welt vorwiegend durch die Ohren und Augen Anderer. So auch durch jene von Tiffany, wenn Tiffany nicht aufpasst. Bis zu Tiffanys Eintreffen hat es keine HiA in dieser Hütte länger als einen Tag ausgehalten. Doch Tiffany, die bereits einige Abenteuer überstanden hat, ist aus härterem Holz geschnitzt, und weil sie von Oma Wetterwachs bereits viel gelernt hat, ist sie nicht so leicht zu beeindrucken.

Doch eines Tages, gegen Ende des Herbstes, wird sie von ihrer Lehrherrin zu einer nächtlichen Tanzveranstaltung mitgenommen. Es handelt sich um eine Aufführung des schwarzen Morristanzes, das winterliche Pendant zum weißen, glockenbehangenen Morristanz zum Sommerbeginn. Selbiger muss schweigend und ruhig wahrgenommen werden. Doch als Tiffany die Tänzer in Aktion sieht, kann sie nicht an sich halten, denn sie spürt, dass es in dem Reigen eine Lücke gibt - eine Lücke, in die sie genau hinein passt. Also tanzt sie mit - und im Tanz nimmt sie zwei weitere Tänzer wahr, die sie aber nicht sehen kann.

Der Winterschmied war einer der Tänzer - eine anthropomorphe Personifikation der Jahreszeit, die er schafft.
Dieser ist irritiert und verwirrt von dem Mädchen, das den Mut aufbrachte, in seinen Tanz hinein zu springen, weshalb er Tiffany seine Aufmerksamkeit zuzuwenden beginnt. Zunächst, indem er sie aufspürt, und dann indem er jede Schneeflocke mit ihrem Gesicht versieht. Eine Neuerung, die zum Glück nicht allzu vielen Leuten auffällt. Doch damit endet das Werben des Winterschmieds nicht, der sich mehr und mehr in die dreizehnjährige HiA verliebt. Bald entstehen im Morgengrauen Eisrosen auf den Rosenstöcken, und Tiffanys Name erscheint in den Frostblumen auf den Fensterscheiben. Auch Eisberge beginnen ein wenig seltsam auszusehen.

Als das Unwetter kam, traf es die Hügel wie ein Hammer.
Kein Himmel konnte so viel Schnee halten, und deshalb fiel er wie eine weiße Wand. Dort, wo sich vor einigen Stunden eine Ansammlung von Dornbüschen auf einem alten Erdwall befunden hatte, lag nun Schnee. Im vergangenen Jahr hatten hier um diese Zeit einige frühe Primeln geblüht, doch jetzt war dort alles weiß.
Der Schnee bewegte sich. Ein etwa apfelgroßer Pfropf schob sich nach oben, und darum herum stieg Rauch auf. Eine Hand, nicht größer als eine Kaninchenpfote, fächelte ihn beiseite.
Ein sehr kleines, aber auch sehr zorniges blaues Gesicht blickte unter dem Schopf aus Schnee hervor in die unvermutet weiße Wüste.
"Potzblitz!", brummte es. "Seht euch das an! Das is’ das Werk des Winterschmieds! Er meint es verdammt ernst!"
(Aus "Der Winterschmied")

Von diesem gottgleichen Verehrer verfolgt, muss sich Tiffany auch noch um ihre Ausbildung kümmern sowie um Fragen der Nachfolge verstorbener Althexen. Was soweit führt, dass sie selbst ausbildend tätig wird. Gleichzeitig muss sie sich mit der Langstreckenbeziehung mit Roland auseinandersetzen, der von seinen Tanten in der elterlichen Burg festgesetzt wird.

Zum Glück hat sie viele Helfer, wie Oma Wetterwachs, Nanny Ogg, Miss Tick, Horace, den Blauschimmelkäse, und die Nac Mac Feegles, die wieder eine sehr große kleine Rolle in ihrem Leben spielen. Aber im Endeffekt weiß Tiffany, dass sich eine Hexe im Notfall nur auf sich selbst verlassen darf. Selbst wenn sie mit Göttern und Göttinnen zu tun hat.

Es ist schwierig zu beurteilen, wie ein Neuling auf der Scheibenwelt mit den vielen ineinander verwobenen Konzepten zurechtkommen wird, die in diesem Buch eine Rolle spielen. Aber sie werden relativ gut noch einmal erläutert, und so dürfte dies keine allzu große Rolle spielen. Trotzdem sollte man - im Sinne der Reihung - erst die anderen beiden Tiffany-Romane lesen, bevor man sich dem "Winterschmied" zuwendet. Dann ist es wirklich ein typischer Pratchett-Genuss, wie man ihn kennt und liebt.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 03/2007)


Terry Pratchett: "Der Winterschmied"
(Originaltitel "Wintersmith. A Tiffany Aching Adventure")
Ins Deutsche übertragen von Andreas Brandhorst.
Manhattan, 2007. 384 Seiten.
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Hörbuch:
Gesprochen von Boris Aljinovic.
Random House Audio, 2007. 5 CDs; Laufzeit ca. 280 Minuten.
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