Simon Lelic: "Ein toter Lehrer"


Amokläufer an Schulen gibt es eigentlich schon ziemlich lange; hierbei sind die Motive nicht in allen Fällen wirklich nachvollziehbar, und die Täterinnen und Täter sind in der Regel Schülerinnen (eher selten) und Schüler. Lehrerinnen und Lehrer treten als Amokläufer eher nicht in Erscheinung.

Im Debütroman des 1976 in Brighton geborenen Autors Simon Lelic ist dies an einer englischen Schule anders. An dieser Schule, die in den nationalen Schulbewertungen ziemlich weit oben steht, betritt bei einer Schulversammlung ein relativ neuer Lehrer den Raum und erschießt drei Schüler, eine Lehrerin und schließlich sich selbst mit einer alten Militärpistole aus dem Zweiten Weltkrieg. Wie so oft in solchen Fällen, werden die Ermittlungen enorm dadurch erschwert, dass man den Täter nach seinem Freitod nicht mehr direkt befragen kann.

Doch Lucia May, eine neue Ermittlerin, versucht die Beweggründe des Geschichte- und Mathematiklehrers zu ermitteln, der scheinbar ganz unvermittelt gehandelt hat, und stößt auf Mobbing im Lehrerzimmer vom ersten Tag der Anstellung an, einen gutsherrschaftlich waltenden Schulleiter, der den Schutz seines Personals nicht sonderlich ernst nimmt, und eine Gewaltstruktur innerhalb der Schülerschaft - und gestützt durch den Schulleiter -, die schon an anderen Stellen nachhaltigen Schaden angerichtet hat.

Doch auch an ihrem Arbeitsplatz macht Lucia ihre Erfahrungen mit Mobbing, während ihr Vorgesetzter ihren Fall eigentlich aufgrund des Todes des Schützen gerne für beendet erklären möchte. Doch Lucia will keinen schnellen Abschluss, sie will die Verantwortlichen finden und zur Rechenschaft gezogen sehen. Und für dieses Ziel geht sie sehr weit.

Vorwiegend im einseitigen Interviewstil geschrieben, d.h., der Leser bekommt meist nur die Antwortseite der verschiedenen Interviews mit Betroffenen und Zeugen, die Lucia im Verlaufe ihrer Ermittlungen führt, setzt sich das Bild der Vorgeschichte der Schießerei bei der Schulversammlung langsam zusammen und bekommt immer neue Facetten, so dass sich die Auflösung des Falles schließlich als überaus komplex erweist.

Wenn man sich an diesen Stil gewöhnt hat, ist "Ein toter Lehrer" eine durchaus interessante Leseerfahrung und für ein Erstlingswerk eine erstaunlich in sich geschlossene Leistung.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 04/2011)


Simon Lelic: "Ein toter Lehrer"
(Originaltitel "Rupture")
Knaur, 2011. 349 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Weitere Buchtipps:

Christine Spies: "Wir können auch anders! Gefährlichen Entwicklungen bei Schülern entgegenwirken"

Dieses Präventionsprogramm befasst sich mit bedrohlichen Entwicklungen wie bspw. Mobbing, Sucht, Suizid. Es unterstützt Lehrkräfte, die Entstehung dieser Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen, zu bewerten und mit erprobten Strategien gegenzusteuern. Das wird möglich durch den Aufbau eines Netzwerkes, das Lehrer nicht alleine lässt, sondern weitere Experten einbezieht. (Beltz)
Buch bei amazon.de bestellen

Hans-Peter Waldrich: "In blinder Wut. Amoklauf und Schule"
Amokläufe an Schulen stellen vor ein Rätsel: Wie kommt es, dass aus unauffälligen Schülern plötzlich Mörder werden? Obgleich die gesellschaftlichen Ursachen deutlich sind, werden mit Vorliebe individualistische Erklärungsansätze herangezogen. Das Buch legt dar, inwiefern eine solche Sicht zu kurz greift, und wirft dabei einen kritischen Blick auch auf die Schule. Es zeigt, wie diese selbst derartige Extremreaktionen begünstigt und damit mitschuldig an den Amokläufen ist. Solange sie die gesamtgesellschaftlichen Defizite reproduziert, kann sie der inneren Vereinsamung und Bindungslosigkeit von Amokläufern nichts entgegensetzen. Andererseits existieren bewährte Konzepte der Kriminologie, durch die antisoziales Verhalten reduziert werden kann. Nichts spricht dagegen, sie auf die Schulen zu übertragen. Allerdings hätte das eine weitgehende Umgestaltung von deren Struktur und Verfahrensweisen zur Folge. (PapyRossa Verlag)
Buch bei amazon.de bestellen