Leseprobe:
Sie hatte Kataloge ihrer Skulpturen mitgebracht. Ich betrachtete diese und musste zugeben, dass sie Spiegel meiner eigenen Leidenschaften waren. Ihre Skulpturen sind aus Stahl, in Plastik oder in Glas gegossen, aus Holz geschnitzt. Sie können klein sein, wie Nippes, oder lebensgroß. Es sind immer wieder Abbildungen ihrer selbst, wie sie ihrer Lust frönt, gemeinsam mit einer anderen Frau oder allein, autoerotisch. Die Paarungen und Szenerien sind lebensecht bis ins Detail. Kaye hat sie bewusst kitschig, grell und plakativ inszeniert. Auf aufdringliche Weise zeigen sie Sexuelles, und an deftigen Farben hat Kaye nicht gespart. Hie und da ragen mir Teile ihres Körpers entgegen. Ihr oberhalb des Nabels abgeschnittener Unterleib, aus Kunstharz, sich in einem ekstatischen Tanz drehend, einen Schwanz umgeschnallt, den eine, beim Gelenk abgehackte Frauenhand streichelt. Ihr Po, wenn sie sich mit dem Bauch an einen dicken Frauenhintern presst, in den sie wie wild hineinzuficken scheint. Ihr Brüste aus rosa Plastik, zwischen denen ein Messer liegt. Kaye mit ihren verschiedenen Liebhaberinnen, jeder Frau ist eine Stellung aus dem Kamasutra gewidmet. Bis zu den Fältchen unter den Augen sind diese Figuren genaues Abbild der Wirklichkeit. Was mögen all diese Frauen empfinden, wenn sie ihr Konterfei in solcher Weise der Öffentlichkeit preisgegeben wiedersehen. Zu einer Skulptur geworden, die mit Absicht die Banalität des Obszönen marktschreierisch betont? Sie müssen derselben Faszination wie ich erlegen sein.
Die Vielfalt der Posen, der Farben und Materialien zeigt mir eine Kaye, die außer Rand und Band geraten ist und der nichts heilig ist. Sie spielt mit Geschlechtsteilen wie mit Innereien, mit Frauen wie mit Materialien. Auch lebt sie Männerfantasien aus, die sie ungeniert eins zu eins reproduziert. Sie vögelt Frauen in Strapsen und Mieder, drängt sich in Ärsche, die in Latex gehüllt sind. Diese Inszenierungen strotzen vor Lebensbejahung und Hedonismus. Sie tappt mitten ins wolllüstige Leben hinein, wenn sie ihre Hände in Fischkörpern badet, die sie auf einem Frauentorso drapiert hat, oder die Brüste tief in die glitschigen Leiber von Muränen taucht.
Grausig, entsetzenerregend ist dieser Anblick. Aber Kayes exzessive Liebe für den Akt selbst trifft meinen Lebensnerv, bringt meine Genusssucht auf Touren. Während ich einen Katalog nach dem anderen durchblättere, ohne ein Wort zu sagen, wartet sie ängstlich auf meine Reaktion, von vornherein überzeugt, dass ich all dies abstoßend finde und auf Distanz gehe. Statt dessen bin ich dankbar dafür, dass eine Frau solche Fantasien öffentlich macht, als Kunst auf den Markt bringt. Ich fühle mich heimelig und geborgen bei ihr, und spreche mit Begeisterung über die Abbildungen. Eine innige Stimmung entsteht zwischen uns.
Aus
"Sex
ist die Antwort" von Karin Rick.
Roman. Konkursbuchverlag, 1999.
ISBN 3-88769-139-3.
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